Neuer Jaguar-Roadster soll E-Type beerben Eine Katze mit Rasse und Klasse
17.04.2013, 12:01 Uhr
Wer möchte, kann seinem F-Type bis zu 21 Zoll große Räder anziehen.
(Foto: Nick Dimbleby)
Eine automobile Legende in der Markenhistorie zu haben, kann nicht nur Segen, sondern auch ein Fluch sein. Alles, was wie Nachfolger aussieht, wird an dem großen Vorbild gemessen. Wie geht der neue Jaguar F-Type mit dieser Bürde um?
Breiträdrig und selbstbewusst reflektiert der Roadster die ersten Blicke, ein flaches, dunkles Stoffdach spannt sich über einem schlanken Karosseriekörper, dessen taillierte Seiten von den versenkbaren Türgriffen nicht unterbrochen werden. "Das ist das Auto, das wird immer machen wollten", sagt Matt Baeven aus dem Jaguar-Designteam. Der fast waagerecht stehende Kofferraumdeckel überlappt optisch die schmalen Heckleuchten, fast so, als ob ein Augenlid den oberen Teil der Pupille bedeckt. 4,47 Meter ist der F-Type lang, die Proportionen lassen ihn kürzer erscheinen, weil das Auto mit den Spiegelgehäusen klar das Breitenmaß von zwei Metern knackt.
Mehr als 50 Jahre ist es her, dass Jaguar ein ähnlich spektakuläres Auto auf die Pneus stellte: Der E-Type entzückte das Publikum und wurde zur Ikone der englischen Sportwagenmarke. Schon vor zehn Jahren gab es die Idee einer Neuauflage des puristischen Zweisitzers, aber erst die Ablösung vom Ford-Konzern und der Erfolg der Limousinen XF und XJ gaben die nötige Bewegungsfreiheit, das Projekt durchzuziehen. Nun ist der F-Type Realität, zunächst als Cabrio, wie es bei E-Type und dem Gran Turismo XK ebenfalls war. Offiziell bestätigt ist das F-Type Coupé noch nicht. Aber niemand rechnet damit, dass Jaguar sich und den Kunden eine derart sehnsuchtsvoll erwartete Ergänzung des Produktangebots versagt.
Stoffdach, wie es sich gehört
Mit der Vorstellung des F-Types geht eine Neuinterpretation des Marken-Gesichts einher. Der Kühlergrill fällt deutlich größer aus als bei den Limousinen, Gitter und Spange unter dem Firmenlogo sind abgedunkelt. Seitlich eingefasst wird das gefräßige Maul von senkrechten Lüftungsöffnungen, darüber ragen die elliptischen Scheinwerfergläser in die breit ausgestellten Kotflügel. Ob dieses stilistische Versprechen auf Sportlichkeit und Biss das Zeug zu ikonenhafter Wertbeständigkeit hat, muss erst die Zukunft erweisen. Es gibt auch Stimmen, die sich durch Form oder Anordnung der Elemente an Sportwagen von Maserati oder Nissan erinnert fühlen.
Zum englischen Roadster gehört ein Stoffdach, daran kann es keinen Zweifel geben. Natürlich ist es beim F-Type mehrlagig und gut gedämmt. Für das Innere des Verdeckhimmels können statt schwarz auch hellere Farben in Abhängigkeit zur Innenausstattung bestellt werden. Die Haube öffnet und schließt in zwölf Sekunden, auch in Fahrt bis zu 50 km/h. Vom drehbaren Drive-Selector für die Gangwahl hat man sich verabschiedet, weil ein aufrecht stehender Schaltknüppel besser zum sportlichen Charakter des Fahrzeugs passe. Beim Wechsel zwischen Vorwärts- und Rückwärtsgang muss jeweils eine Sperre deaktiviert werden, was zumindest in der Gewöhnungsphase an das neue Auto zu Schaltfehlern führen kann. Ein extrem kurzer Überhang hinten trägt das flache Heck, in dem knapp 200 Liter Gepäckvolumen nutzbar sind, wenn man die 82 Zentimeter hohe Ladekante überwindet. Während die Sechszylinder ihre Verbrennungsgase über ein mittig angeordnetes Doppelendrohr entsorgen, zeigen die V8- Modelle dem nachfolgenden Verkehr vier Abgasöffnungen, die links und rechts den Heckdiffusor einrahmen. Der Spoiler, der bis zu 120 Kg zusätzlichen Anpressdruck auf die Antriebsachse laden kann, fährt tempoabhängig elektrisch aus und ein.
Jaguar gehört auf den deutschen Markt zu den wenigen Marken, die sich dem Abwärtstrend der Verkaufszahlen widersetzen konnten. Ab Ende Mai werden die Kunden die ersten Exemplare der vierten Baureihe bei den Händlern vorfinden. Es gebe bereits eine nicht unerhebliche Anzahl von Blind-Bestellungen, heißt es aus der Deutschland-Zentrale in Schwalbach/Taunus. An prominenten Wettbewerbern fehlt es in der Preisregion, wo sich diese Kunden umschauen, nicht: Sie könnten ebenso bei Porsche oder auch bei dem amerikanischen Kult-Sportler Corvette fündig werden.
Jaguar bleibt dem Kompressor treu
Mit zwei verschiedenen Motoren und drei Modell-Varianten tritt der F-Type an. Wer den Einstiegspreis von 73.400 Euro aufbringt, bekommt einen drei Liter großen Sechszylinder-Motor mit 340 PS. 84.900 Euro kostet die "S"-Version, die mit zusätzlichen Komfortmerkmalen und weiteren 40 PS Leistung aufwartet. Spitzenmodell ist der V8 S, der aus fünf Litern Hubraum schöpft und 495 PS bietet. Alle drei Motoren nutzen zur Leistungssteigerung einen mechanischen Lader und übertragen ihre Kraft mittels Achtgang-Automatik an die Hinterräder. Ein Stopp-Start-System ist obligatorisch. Warum Jaguar auf Kompressor und nicht wie viele andere Hersteller auf Turbolader als Muntermacher setzt, erklärt Motorenentwickler Andy Lowis mit spontanerem Ansprechverhalten und besserer Leistungscharakteristik. Außerdem sei das Management des Abgasgegendrucks bequemer.
Seit Jahrzehnten hat sich Jaguar im Karosseriebau der Verwendung von Aluminium verschrieben. Um die für Cabrios besonders wichtige Steifigkeit zu erreichen, wurde nicht nur eine neue Legierung verwandt, sondern auch viele Schweißnähte durch Klebe- und Niet-Verbindungen ersetzt. Gegenüber traditionellen Fertigungsmethoden, sagt Jaguar, habe man so allein im Rohbau mehr als 100 Kilogramm eingespart. Am Ende zeigte die Waage für das Einstiegsmodell 1597 Kilogramm an. Das ist in Relation zu 340 PS ein guter Wert. Gut informierte Kunden wissen aber auch, dass 911er- oder Corvette-Cabrios deutlich unter 1500 Kg wiegen.
Ein paar Pfund wären vielleicht noch durch Einbau einer elektro-mechanischen Servolenkung rauszuholen gewesen, aber das kam für Jaguar unter Hinweis auf das natürliche, präzise und unverfälschte Handling-Gefühl der hydraulischen Lenkung nicht in Frage. In der Tat gab es bei den verschiedenen Testfahrten auf öffentlichen und abgesperrten Straßen mit der variablen Übersetzung keine Defizite in Sachen Lenkpräzision, Spurtreue oder Lastwechsel zu vermelden. Die ausgewogene Gewichtsverteilung von 50:50 ist ein Beitrag zu neutralem Fahrverhalten, lediglich bei exzessiven Kreiselfahrten ist die konzeptbedingte Neigung zum Untersteuern über die Wahrnehmbarkeitsschwelle zu bringen.
Der Ton macht die Musik
Schäumendes Temperament, hohe Agilität, schnelle Gangwechsel und tosender Sturm über dem Frontscheiben-Rahmen sind nur wenig wert, wenn der akustische Faktor nicht stimmt. Bei Jaguar weiß man das nicht erst seit dem XK 120 von 1949. Ansaug- und Verbrennungsgeräusch sowie das Ableiten der Gase durch die Schalldämpfer müssen die passende Melodie für längs- und querdynamisch unterhaltsame Ortswechsel bieten. Mit großem Eifer wurden deshalb die Abgaskanäle mittels beweglicher Klappen, Hohlräume und perforierter Gehäuse dahin getrimmt, jedem Gasstoß eine unverwechselbare und hörenswerte Quittung zuzuordnen. Ab 3000 Kurbelwellen-Umdrehungen öffnen sich im hinteren Teil das Abgasstrangs Bypass-Ventile, die den satten Sound vervollkommnen. Unterbrechungen der Gemischzufuhr, Gangwechsel oder automatisches Zwischengas – für Andy Lowis erzeugt das aktive System einen sehr typischen und "knusprigen" Sound.
Auffällig dabei, dass die Sechszylinder dem V8 in Sachen Geräuschkulisse kaum nachstehen. Nicht dumpfes Bollern bestimmt den Antritt des Achtzylinders, sondern ein heller und bissiger Klangteppich, der das Fahrerlebnis um eine authentische Nuance bereichert. Wer das Knattern im Heck für unauffällige Ortsdurchfahrten dämpfen will, drückt einfach die Sound-Taste auf der Mittelkonsole. Während das Drehmoment der beiden Sechszylinder fast auf einem Niveau liegt (450 zu 460 Newtonmeter) platziert sich der Achtzylinder mit 625 Nm in der Klasse der Schwergewichte. Analog zum finanziellen Einsatz der Kundschaft greift die elektronische Bremse der Höchstgeschwindigkeit ein: 260, 275 und 300 km/h lauten die Daten.
Beschränkter Luxus ist mit dem Selbstverständnis der Marke Jaguar nicht zu vereinbaren. Mit gegerbter Rinderhaut sind Sportsitze und Oberflächen bezogen, wahlweise werden für Verkleidungen und Dekor Hölzer, Karbon oder Klavierlackeinsätze verwand. Bi-Xenon-Scheinwerfer und Klimaautomatik gehören ebenso zur Serienausstattung wie die elektrisch verstellbare Lenksäule und die 180-Watt-Audio-Anlage. Dem Verdacht, die Kunden ebenso schröpfen zu wollen, wie es deutsche Hersteller zuweilen tun, ließe sich aus dem Wege gehen, würde das Windschott zwischen den Überrollbügeln den Frischluft-Freunden kostenfrei überlassen. Noch steht es mit 210 Euro in der Preisliste. Mit dem Basispreis wird sowieso kein Kunde auskommen, sind die serienmäßigen Leichtmetall-Felgen doch nur 18 Zoll groß. Richtig schick wird der F-Type erst ab 20 Zoll.
Optik, Leistung und Fahreindrücke sprechen eine eindeutige Sprache: Der F-Type hat das Zeug dazu, legitimer Erbe des E-Type zu werden. Laut Datenblatt verbraucht der Fünfliter-Kompressormotor im kombinierten Verbrauch nach EU-Norm übrigens 11,1 Liter je 100 Kilometer. Und damit 2,1 Liter mehr als der "kleine" Sechszylinder. Die ebenso lustvolle wie temporeiche Ausfahrt über die bergigen Landstraßen Nordspaniens ergab, dass man den Verbrauch auch auf 9,8 Liter bringen kann - pro Sitzplatz.
Quelle: ntv.de