Hoffnungsträger Chevrolet Volt Enterprise für die heimische Garage
26.10.2010, 12:26 Uhr
Der Chevrolet Volt soll in Europa im Herbst 2011 auf den Markt kommen.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Mit dem Modell "Volt" will Chevrolet nichts geringeres als das Auto neu erfinden. In rund einem Jahr soll es in Deutschland auf den Markt kommen. n-tv.de konnte den GM-Hoffungsträger jetzt schon fahren.
Der Blick ist auf die grüne Säule auf der linken Seite des Monitors fixiert. Sie symbolisiert die Batterie, das Kontrollsystem zeigt eine Restreichweite von 22 Meilen an. 29,3 sind schon zurückgelegt, zusammen wären das 51,3 Meilen oder 82 Kilometer. Sachtes Beschleunigen, maximale Rekuperation im Schiebebetrieb - so könnte es klappen. Ein Auto als Lehrmeister für wirtschaftliches Fahren, eine Digitalanzeige, die den Ehrgeiz weckt.

An der Rückansicht fällt die geteilte Heckscheibe auf. Derunter stehen rund 300 Liter Kofferraum zur Verfügung.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Am Chevrolet Volt ist vieles anders als bei anderen Autos. Der eher unscheinbare Viertürer könnte General Motors aus dem Tal der Tränen fahren und Opel gleich mit. Der Rüsselsheimer Autobauer wird nächsten Herbst das fast baugleiche Modell Ampera auf den Markt bringen. Das Management von GM mag bei Entscheidungen in der Vergangenheit oft daneben gegriffen haben, die Sicherung der Namensrechte an den gängigsten Strombegriffen war sicher ein Volltreffer. Jetzt müssen nur noch die Kunden an die Story vom emissionsfreien Kurzstreckenverkehr mit der Option auf die lange Ferienreise glauben.
Der Auspuff bleibt verborgen
Erst auf den zweiten Blick offenbart der Volt seine Andersartigkeit. Der geschlossene Frontgrill und ein verkleideter Unterboden sorgen für einen Luftwiderstandsbeiwert von 0,28. Die kompakte Karosserie hat statt einer zwei Klappen, über die Energieträger zugeführt werden können. Am Kotflügel vorn links ist der Anschluss für das Ladekabel, hinten rechts der Tankstutzen für den Betriebsstoff des Verbrennungsmotors. Das 1,4-Liter-Aggregat hat zu Spekulationen geführt, dass der Volt vielleicht gar kein "richtiges" Elektrofahrzeug sei. Mit Sorgfalt haben die Erbauer das Auspuffrohr unter der Heckschürze verschwinden zu lassen, damit es nicht das Bild vom Umweltauto störe. Vor den Augen des Fahrers geht es zu wie bei Commander Kirk im Raumschiff Enterprise. Und das nicht nur wegen der weißen Konsole mit Berührungsfeldern für die Navigations-, Klima- oder Entertainment-Steuerung.

Ein Standardanschluss, wie ihn passionierte Camper bestens kennen, stellt die Verbindung zum Netz her.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Zwei Sieben-Zoll-Monitore bestimmen die Informationspolitik, das System sondert beim Hochfahren Melodien wie bei einem PC-Start ab. Außer dem Ladebalken der Batterie, der sich nach dem Entladen in eine blaue Tanksäule verwandelt, spielt ein grüner Leuchtfleck eine wichtige Rolle. Er bewegt sich auf und ab wie ein Tischtennisball auf einem Luftstrom im Glaszylinder. Verharrt er in der Mitte, ist das Auto mit optimaler Energieeffizienz unterwegs, steigt er in die Höhe wird mehr verbraucht als nötig. Kräftiges Bremsen kann den Ball nach unten drücken, dann wird kinetische Energie in elektrische zurückverwandelt.
Teuerstes und mit 200 Kilogramm schwerstes Bauteil des gesamten Fahrzeugs ist die Batterie. Der wie der Buchstabe "T" geformte Block aus 228 Zellen ist auf eine Kapazität von 16 Kilowattstunden (kWh) ausgelegt. Zwischen 10 und 12 kWh – genau verraten es die GM-Ingenieure nicht – werden zum Fahren genutzt, der Rest bleibt für die reibungslose Funktion der Bordsysteme erhalten.
Zarte Warnung für den Fahrer

Von außen nicht zu sehen: Der Auspuff des Verbrennungsmotors, der als "Range Extender" fungiert.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Geschmeidig und doch druckvoll, fast lautlos und doch mit der Kraft von bis zu 370 Newtonmetern zieht der Volt an. Der grüne Ball schnellt nach oben und ändert seine Farbe in Gelb. Die zarte Warnung wird verstanden: "Lieber Fahrer, das war nicht besonders stromsparend". Schnell stellt sich heraus, dass der Stadtverkehr der ideale Einsatzort für den Wagen ist. Sanft beschleunigen, vorausschauend fahren, vor Stoppschildern oder der Ampel die zuvor verbrauchte Energie fast vollständig wieder einfangen – so geht das. Das Auto kann mithelfen, denn der Automatik-Wählhebel hat eine "L"-Stellung, die im Schiebebetrieb optimal verzögert und maximale Rückgewinnung erlaubt.
Auf der Autobahn spielt sich nur das Rollgeräusch der Reifen in den Vordergrund, aber die Energiebilanz sieht nicht ganz so rosig aus. Tempi zwischen 80 und 120 m/h werden souverän und zügig erreicht, doch bietet der fließende Verkehr nur wenig Möglichkeiten, Energie zurück zu gewinnen. Der grüne Balken schrumpft, bald wird der Verbrennungsmotor eingreifen. Er tut dies schließlich auf sehr dezente Weise, macht erst bei energischer Leistungsanforderung durch hörbare Drehzahlen auf sich aufmerksam. Der 83-PS-Motor ist ein hunderttausendfach bewährtes Konzernaggregat, findet beispielsweise im Opel Astra Verwendung. Ob rein elektrisch oder mit Benzin-Unterstützung – zum Rasen ist der Volt nicht gebaut. Mehr als 160 km/h erlaubt die Steuerungselektronik mit Rücksicht auf die Reichweite nicht.
Schwerer Akku, leichte Türen

Runde Skalen sind passé: Im Chevi Volt werden alle Informationen auf dem Monitor angezeigt.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Weil der Stromspeicher so viel Gewicht ins Fahrzeug bringt, wurde anderswo eingespart, was nur geht. Die stabile Kofferraumabdeckung, bei Fahrzeugen dieser Klasse üblich, wurde durch ein dehnbares Tuch ersetzt. Folge: Schläge von Querrillen, die die vom Astra geliehene Hinterachse einstecken muss, nehmen Fondpassagiere als recht laut wahr. Auffallend leicht sind auch die Türen, man merkt es beim Zuziehen. Die Bose-Soundanlage wiegt 40 Prozent weniger als ein System vergleichbarer Leistung. Aluminiumfelgen sind Standard. Auf der Waage werden trotz allen 1715 Kilo protokolliert.
Federung und Dämpfung wirken eher europäisch straff als amerikanisch weich, die Lenkung ist um die Mittellage etwas schwammig, sonst aber ausreichend direkt. Hinten sitzen Erwachsene bequem, aber mit der Heckscheibe unmittelbar über dem Scheitel. Der flach abfallende Dachholm zwingt beim Ein- und Aussteigen zum Einziehen des Kopfes. Die Bremse ist gut dosierbar, setzt stärkeren Fußdruck unmittelbar in festen Biss auf die Scheiben um, der grüne Ball flitzt ans untere Ende der Skala.
Stromverbrauch wie ein Kühlschrank

Die weiße Konsole wirkt gewöhnungsbedürftig, Sensoren unter der Verkleidung ersetzen Drucktasten.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Den täglichen Gebrauch des Volt stellt sich GM so vor: Entsprechend programmiert entnimmt das Fahrzeug nächtens den preisgünstigsten Strom aus dem öffentlichen Netz, heizt bis zur Abfahrt um 7.30 Uhr die Batterie schon mal auf Betriebstemperatur und im Winter den Innenraum auf ein angenehmes Niveau. Da laut einer Untersuchung des US-Verkehrsministeriums fast 80 Prozent aller Autofahrten weniger als 50 Kilometer lang sind, ist der Durchschnittsnutzer nach 35 km bei seiner Arbeitsstelle angekommen und schließt auf dem Firmenparkplatz gleich wieder das Ladekabel an. Zurück an der heimischen Steckdose verlässt er seine Garage mit dem erhabenen Gefühl, die Minderung der Ölressourcen anderen überlassen zu haben. Die jährlichen Stromkosten sollen laut GM-Rechnung dabei die des Kühlschranks nicht übersteigen.

Die Karosserie ist für Amerikaner eine Herausforderung. Sie mögen lieber klassische Limousinen.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Soweit die Theorie. Ob die Praxis tatsächlich so funktioniert, können in den nächsten Wochen die ersten amerikanischen Kunden testen. Möglich, dass sie einige Zeit brauchen, den für sie optimalen Betriebsmodus zu finden. Sehr wahrscheinlich können sie aber auch das erleben, was diese Testfahrt so einzigartig machte: Freundliches Winken, anerkennende Blicke, neugierige Fragen an der Ampel, hochgereckte Daumen und Sympathiebekunden aller Art von anderen Autofahrern.
Quelle: ntv.de