Mit dem VW Amarok im Gelände Gefahr für die Platzhirsche
13.02.2010, 12:53 Uhr
Auch wenn der Bodenkontakt einmal verloren geht, rollt der Amarok im Kriechgang unbeirrt weiter vorwärts.
(Foto: Klaus Huber-Abendroth)
Ein Pickup zeichnet sich durch zwei Dinge aus: Ladeplatz und Geländetauglichkeit. Die USA und Japan haben in dieser Disziplin die Nase vorne. Jetzt setzt VW zur Verfolgungsjagd an.
Erst mal schauen, was die anderen machen, deren Fehler vermeiden und dann mit einem eigenen Produkt abräumen. Das Geschäftsprinzip ist so simpel wie wirksam, hat Volkswagen im Pkw-Bereich einige stattliche Verkaufserfolge beschert und wird wohl auch bei den Nutzfahrzeugen funktionieren. Der VW Amarok soll zunächst in Südamerika, ab Juli auch bei uns den arrivierten Pickups vom Schlage eines Toyota Hilux, Nissan Navarra oder Mitsubishi L 200 auf die Pelle rücken. Gefahr für die Platzhirsche also.
Auf zwei Millionen Einheiten jährlich schätzen Experten den weltweiten Markt für Pickups. Von diesem Kuchen will Volkswagen mit seinem neuen Kleinlaster ein appetitliches Stück abhaben. Bisher ist das Segment fest in der Hand von US-amerikanischen und japanischen Herstellern. Aber das Abwarte-Prinzip hat sich schon bei den Modellen Eos und Tiguan, bei Touran und Touareg als richtig erwiesen. Die Nummer eins im Segment war, zumindest in Deutschland, nach der jeweiligen Modellvorstellung immer nur noch eine Frage der Zeit.
Zwei Dinge braucht ein Pritschenwagen, wenn er erfolgreich sein soll. Außer einer ordentlichen Ladekapazität muss er auch geländetauglich sein, denn in den bevorzugten Einsatzgebieten in Südamerika, Afrika und Asien sind Straßen nach europäischem Standard eher die Ausnahme. Nicht auszuschließen, lässt Vorstandschef Dr. Wolfgang Schreiber durchblicken, dass später auch Indien die Länder-Riege ergänzt. Die Voraussetzung ist gut, denn Volkswagen ist an Suzuki beteiligt, die dort Marktführer sind.
Heckantrieb fürs Lifestyle-Publikum
Nur an die Einführung in den USA ist nicht gedacht, obwohl es der größte Markt für diese Fahrzeuggattung ist. Einerseits erschweren Einfuhrbestimmungen und hohe Zölle den Wolfsburgern ein konkurrenzfähiges Angebot gegenüber Ford, GM und Dodge, andererseits erscheint die Vierzylinder-Diesel-Auslegung des Amarok mit der Vorliebe der Amerikaner für V8-Benzin-Trucks nur schwer kompatibel.

Zwar hat der Fahrer keinen Sichtkontakt mehr zur Strecke, der VW-Pickup schraubt sich aber auch 45 Grad steile Hänge hoch.
(Foto: Klaus Huber-Abendroth)
VW wird zwei Versionen mit Allrad- und eine Variante vom Amarok mit konventionellem Heckantrieb anbieten. Letztere soll vor allem ein Lifestyle-Publikum ansprechen, das sein Autofahrerglück weniger auf Schotterpisten oder in Kieskuhlen, dafür mehr in der City und auf dem Boulevard sucht. Für diese Klientel gibt es dann auch ein reichhaltiges Angebot an verchromten Trittbrettern, Bügeln und anderem Schnickschnack bis hin zu 19 Zoll großen Leichtmetallfelgen.
Angetrieben wird der Amarok von einem zwei Liter großen Vierzylinder, der je nach Ausführung 163 PS oder 112 PS abgibt. Die stärkere, für diesen Test zur Verfügung stehende Version, wird mittels Biturbo auf Leistung gebracht, die schwächere verfügt über nur einen Lader. Dank 400 Newtonmeter maximalem Drehmoment packt die längs eingebaute Maschine kräftig zu, ein manuelles Sechsganggetriebe sorgt für die möglichst verlustfreie Weitergabe an die Antriebsräder. Ein Automatikgetriebe ist zum Marktstart nicht im Angebot. Laut Wolfgang Schreiber, Vorstandssprecher von VW-Nutzfahrzeuge, "braucht so ein Auto eine Automatik", aber an ein Doppelkupplungsgetriebe sei nicht gedacht. Das derzeit in der Entwicklung befindliche Automatikkonzept werde etwa 2012 seine Markteinführung erleben.
Zwei Allradkonzepte zur Auswahl
Der Euro-5-genormte Diesel verbraucht im EU-Zyklus 7,8 Liter je 100 Kilometer. Mit diesem Wert steht der neue VW-Lastesel im Vergleich zur Konkurrenz blendend da. Einer seiner deutschen Mitbewerber, etwa der Ford Ranger, schöpft 156 PS aber aus einem drei Liter großen Vierzylinder, weshalb er kaum unter zehn Litern je 100 Kilometer zu fahren ist. Fahrpraxis und EU-Normtest haben bekanntermaßen wenig miteinander zu tun, weshalb die für den Amarok auf patagonischen Pisten erzielten 9,1 Liter als realistischer Blick auf den tatsächlichen Verbrauch gelten können.

Härtetest Patagonien: n-tv.de-Autor Axel F. Busse auf einem Offroad-Parcours mit "Weitblick".
(Foto: Klaus Huber-Abendroth)
Ob man sich eines traditionellen zuschaltbaren Vierradantriebs bedienen möchte oder auf modernere Audi-Permanenttechnik zurückgreift, liegt in der Entscheidungshoheit der Kunden. Der zuschaltbare Allradantrieb, wie er auch von vielen Wettbewerbern bevorzugt wird, bietet den Vorteil einer Geländeuntersetzung. Sie kann auf schwierigem Geläuf den entscheidenden Traktionsvorteil bedeuten. Für die überwiegende Zahl der fahrtechnischen Herausforderungen reicht auch der permanente 4x4-Antrieb, bei dem ein Torsen-Differenzial für die Kraftverteilung sorgt, aber eine Untersetzung nicht vorgesehen ist.
Die Leistungen des Kleinlasters jenseits der Straße brauchen sich vor denen klassischer Geländewagen nicht zu verstecken. Steigungen bis zu 100 Prozent (45 Grad) meistert er ebenso souverän wie steile Abfahrten, bei denen man dank elektronischer Steuerung nicht einmal mehr einen eingelegten Gang braucht, um das Fahrzeug selbst sein Gewicht abbremsen zu lassen und kontrolliert zu Tal zu rollen. Offroad-ABS ist in der Lage, kurzzeitiges Blockieren der Räder zuzulassen, damit der Reifen einen Kleinsteinhaufen vor sich herschieben und so die Bremswirkung vergrößern kann. Hinterachssperre und Getriebeuntersetzung für maximale Traktion vervollständigen schließlich die Geländeausstattung. Die hintere Starrachse mag in der Komfortwertung Punkte kosten, wenn es maximal Verschränkung gefordert ist, gibt es nichts Besseres.
Vorbildliches Sicherheitsniveau
Obwohl nach bekannter Art mit Leiterrahmen, Starrachse hinten und Blattfedern gebaut, legt der Amarok einen erstaunlichen Fahrkomfort an den Tag. Bis zum Limousinengefühl ist es zwar noch ein Stück, aber auf der Testfahrt mit längeren Schotter- und Asphaltpassagen machte das Fahrwerk einen ausgewogenen und hinreichend bequemen Eindruck. Die Lenkung ist für präzise Geländemanöver ausreichend direkt und die Geräuschentwicklung geht über das für einen Pickup angemessene Niveau nicht hinaus. Vor allem die großen Außenspiegel fangen reichlich Fahrtwind, so dass der Pegel steigt.
Lasttieren wie der Amarok können selten mit besonderer Wohnlichkeit im Innenraum glänzen, da macht der VW-Newcomer keine Ausnahme. Ihre Cockpit-Gestaltung hat robust und pflegeleicht zu sein, da kann man schon mal ein Überangebot an Plastikflächen hinnehmen. Immerhin bemüht sich der Hersteller, in höheren Ausstattungslinien durch Chromapplikationen und andere Merkmale ein bisschen Pfiff in die Optik zu bringen. Die kastenförmige Bauweise schafft ein gutes Raumgefühl, die Nutzer der hinteren Sitze können sich zwar über reichlich Kopffreiheit freuen, müssen sich aber mit bescheidenem Knieraum arrangieren.
Die Komfortausstattung ist ebenso wie das Angebot an serienmäßigen Sicherheitseinrichtungen ein gutes Vorbild für das ganze Segment. An allen Seitenscheiben gibt es elektrische Fensterheber, ESP und Seitenairbags sind in allen Varianten ab Werk an Bord. Volkswagen will die Preise, vor allem für den europäichen Markt noch nicht verraten. Sie sollen sich an den Wettbewerbern, vor allem dem Toyota Hilux, dem Nissan Narava und dem Mitsubishi L 200 orientieren, und es gilt als ausgemacht, dass wenigstens eine Einstiegsversion den Preis des billigsten Toyotas unterbietet.. Es ist damit zu rechnen, dass von der günstigsten bis zur komplett ausgestatteten "Highline"-Version eine Spanne von etwa 25.000 bis 35.000 Euro gezogen wird. Kunden sollen in Deutschland aus dem Bereich von Handwerk und Dienstleistung kommen, aber auch, so Wolfgang Schreiber, "der Forstwirt, der am Wochenende seine Freizeit damit gestaltet" ist als Käufer willkommen.
Der billigste VW Amarok ist auch der schnellste: Er kostet 10,90 Euro und ist jetzt schon für jedermann zu haben. Für den Transport von Lasten bis zu 1,15 Tonnen taugt das Modellauto von Wiking freilich nicht.
Quelle: ntv.de