Auto

Kraftstrotzende Neuheiten von überall Goodwood füllt die Messe-Lücke

Mit reichlich Audi-Technik unter dem Karbon-Kleid gewann Bentley 2003 das 24 Stunden rennen von Le Mans.

Mit reichlich Audi-Technik unter dem Karbon-Kleid gewann Bentley 2003 das 24 Stunden rennen von Le Mans.

Ein stolzes Land mit traditionsreicher Autoindustrie - das war England einmal. Was an Marken übrigblieb, ist längst in ausländischer Hand, 2006 fand die letzte British Motor Show statt. Doch im Südwesten der Insel entwickelt sich ein Zentrum der PS-Kultur neu: Das Goodwood Festival of Speed zieht dieses Jahr so viele Besucher an wie nie zuvor.

Das Festivall in Goodwood ist vor allem etwas für PS-Junkies.

Das Festivall in Goodwood ist vor allem etwas für PS-Junkies.

Hersteller wie Austin und Morris, Wolseley und MG sind von der automobilen Landkarte längst verschwunden, Bentley gehört zu Volkswagen, Vauxhall zu Opel und bei Jaguar-Landrover hat eine Riege ehemaliger BMW-Manager das Sagen. Dass dennoch immer mehr internationale Hersteller im Sommer nach England kommen, um ihre neuesten Boliden zu präsentieren, hat einen einfachen Grund: Das Goodwood Festival of Speed zieht PS-Junkies nicht nur auf der Insel an, sondern hat sich auch als Neuheitenjahrmarkt von medialem Interesse etabliert. Auf dem Anwesen eines alten Adelsgeschlechts rangeln prominente Großkonzerne um ein Plätzchen Wiese zur Präsentation ihrer Produkte.

Adlig und obendrein noch Großgrundbesitzer zu sein, ist vor allem in England kein Zuckerschlecken. Schon der Unterhalt eines einfachen Schlosses kann Unsummen verschlingen. Charles Henry Gordon-Lennox, der Earl of March, ist dennoch aus dem Gröbsten raus. Für ihn zahlen Autoenthusiasten aus aller Welt.

Goodwood war schon in den 1930er Jahren ein Mekka des Autorennsports.

Goodwood war schon in den 1930er Jahren ein Mekka des Autorennsports.

Vor genau 20 Jahren hatte er eine Idee: Warum nicht Teile seiner weitläufigen Besitztümer für ein Treffen von Sportwagen-Fans öffnen? Der Earl hat, nicht zuletzt Dank seiner Automobilbegeisterten Vorfahren, Benzin im Blut, besitzt etliche klassische Automobile und mit Gleichgesinnten lässt sich bekanntlich gut feiern. Das "Festival of Speed" war geboren. Im Jubiläumsjahr ist das Ereignis schon zu einer Art inoffizieller Auto-Messe geworden, denn Hersteller aus aller Welt stehen Schlange, um beim Earl neue Kreationen von Sportwagen und Gebrauchsautos zeigen zu dürfen.

Zusammenballung von Jubiläen

Der Niedergang der britischen Automobilindustrie steht in krassem Gegensatz zur Begeisterung der Inselbewohner für alles, was vier Räder hat. Die British Motor Show ist vor sieben Jahren sanft entschlafen. Doch haben es der Earl of March und zahlreiche Hersteller gemeinsam verstanden, die Lücke zu füllen und das Interesse, nicht nur des britischen Publikums, in Richtung der rund 45 Quadratkilometer großen Latifundien im Südwesten der Insel zu lenken. Wie Insider erfahren haben wollen, decken allein die Eintrittsgelder zum Festival of Speed inzwischen die Unterhaltskosten nicht nur von Goodwood House, sondern auch für die Pferdezucht, die Rennstrecke und den nahen Sportflugplatz.

Der neue Rekordhalter des "Pikes Peak"-Bergrennens, der Peugeot 208 T16.

Der neue Rekordhalter des "Pikes Peak"-Bergrennens, der Peugeot 208 T16.

Eine seltene Zusammenballung von Jubiläen prägte in diesem Jahr das ungewöhnlich heiße Wochenende in der Grafschaft Sussex. Die Marken McLaren und Lamborghini feiern ihr 50-jähriges Bestehen, für den 911er von Porsche wird ebenfalls das "Goldene" zelebriert. Wie in einem rollenden Museum präsentierte die Marke Ikonen des Rennsports wie die Le-Mans-Fahrzeuge 962, 911 GT1 `98 und 935/78 "Moby Dick", unter anderem pilotiert von Rennlegenden wie Walter Röhrl und Hans Herrmann. Vor 30 Jahren rief Audi seine Sportabteilung Quattro GmbH ins Leben, zehn Jahre liegt der letzte Sieg einer englischen Marke in Le Mans zurück. Citroen hat für das Festival den DS3 Racing mit dem DS3 Cabrio kombiniert, McLaren zeigte den MP4-12C GT Sprint, der rein für den Rundstreckenbetrieb ausgelegt ist.

Jaguar und Aston Martin präsentierten mit dem Aston Martin CC 100 Speedster und dem Jaguar Project 7 radikale Fahrmaschinen. Einsitzig und offen jagten sie die 1,8 Kilometer lange Test- und Showstrecke hinauf. Ein in Europa noch wenig bekannter Neueinsteiger ist die mexikanische Marke Vuhl, das ebenfalls offene Modell 05 hat 285 Turbo-PS. Seinen ersten Auftritt hatte in Goodwood auch die R-Variante des Peugeot RCZ; direkt daneben der neue Rekordhalter vom "Pikes Peak"-Bergrennen, der 208 T16. Peugeot kann übrigens auch feiern: Vor 25 Jahren war das Modell 405 "Auto des Jahres".

Heck- statt Allradantrieb

Der Continental GT3 ist mit 600 PS ein echter Kraftprotz.

Der Continental GT3 ist mit 600 PS ein echter Kraftprotz.

Für Bentley gibt es plausible Gründe, englischen Boden als Schauplatz der dynamischen Premiere seines neuen Rennwagens zu wählen. Die Marke zehrt schon länger von verblichenem Ruhm. In den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts dominierte sie die Rennstrecken, 2003 gelang mit dem Sieg im 24 Stunden-Rennen in Le Mans ein fulminantes Comeback. Dass unter der in British Racing Green gehaltenen Karbon-Oberfläche reichlich deutsche Audi-Technik steckte, interessierte damals nur wenige. Bentley war wieder wer im Rennzirkus. Nicht ohne Pathos spricht Motorsport-Chef Brian Gush deshalb auch vom Beginn der "dritten Ära im Bentley-Motorsport".

Basis für den 600- PS-Boliden ist das kommerziell überaus erfolgreiche Modell Continental GT. Ausgestattet mit einem Vierliter-V8-Motor und einem Heckflügel, der manchem Sportflieger zur Ehre gereichen würde, wird dieses Auto 2014 sein erstes Rennen bestreiten. Wie viel Abtrieb der gewaltige Spoiler bei hohem Tempo erzeugen kann, mag Gush nicht verraten: "Das würde Porsche, BMW oder Mercedes auch sehr interessieren", gibt er zurück. Zu den prominenten Konkurrenten auf der Strecke werden auch McLaren, Ferrari, Lamborghini und Aston Martin gehören. "Wir sind dort in guter Gesellschaft", sagt der Rennleiter.

700 Newtonmeter Drehmoment zerren an den beiden Antriebsrädern.

700 Newtonmeter Drehmoment zerren an den beiden Antriebsrädern.

Der normaler Weise rund 2,4 Tonnen schweren Fuhre wurden in einer einzigartigen Hungerkur mehr als 1000 Kilo Gewicht entzogen. Übrig blieben 1300 Kilo Kampfgewicht, gerade so viel, um in der GT3-Serie mitfahren zu dürfen. Die Leistung ist etwa so hoch wie beim Serienfahrzeug, doch es muss ganz anders gefahren werden. Während das Alltagsauto über 4x4-Antrieb verfügt, konzentriert sich die Kraft beim Rennwagen nur auf die Hinterachse. 700 Newtonmeter Drehmoment zerren an den beiden Antriebsrädern. Um eine optimale Gewichtsverteilung zu erreichen, wurde der Motor gegenüber dem Ausgangsmodell um gut 300 Millimeter nach hinten versetzt. Das Sechsgang-Getriebe sitze an der Hinterachse, was die Experten "Transaxle-Position" nennen.

Kein Bentley ohne ein bisschen Luxus

Auch wenn mehr als 50 Elektro- und Komfortsysteme verschwanden, Ledersessel und Rückbank entfernt wurden und an ihre Stelle ein stabiler Stahlkäfig trat, ganz ohne ein bisschen Luxus geht es für diese Marke auch im Rennsport nicht. Die Türen haben komplette Innenverkleidungen – natürlich aus Sichtkarbon - und die Armaturentafel ist in der gleichen symmetrischen Schwingen-Architektur gestaltet, wie beim Kundenmodell. "Ohne etwas typische Bentley-Optik geht es nicht", schmunzelt Brian Gush und deutet auf die großkalibrigen Ausströmer hin, die auch hier mit Chrom eingefasst und mit den althergebrachten Zughebeln versehen sind.

Ob Rennfahrer Guy Smith dies als Komfortgewinn ansehen wird, wenn er um Punkte und Platzierungen fährt, ist zweifelhaft. Tatsache ist, dass die Zuschauer beim Festival of Speed die Vorführung des bollernden Boliden mit großem Hallo begleiteten. Viel Freude hat die englische Autoindustrie ihnen in den letzten Jahrzehnten auf Rennstrecken schließlich nicht gemacht.

Quelle: ntv.de

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