Gewichtiges Schaustück von Cadillac Hybrid kommt nach Europa
01.11.2010, 12:05 UhrMit fünf Modellen in 17 Varianten wagt Cadillac einen Neustart auf dem europäischen Markt. Nach der Insolvenz der Muttergesellschaft General Motors war die Verkaufstätigkeit vorübergehend eingestellt worden. Die Nobelmarke des US-Konzerns wird Kunden mit Hang zu amerikanischer Lebensart und Wunsch nach Exklusivität ansprechen.

Mit 5,14 Metern Länge übertrifft der Cadillac Escalade Hybrid sogar den Audi Q7.
(Foto: Walter Tillmann)
Ein natürlicher Sinn für effektvolle Inszenierungen ist Amerikanern selten abzusprechen. Welcher Ort könnte für einen europäischen Neustart von General Motors besser geeignet sein als Schengen, jenes 1600-Seelen-Nest an der Mosel, dessen Name inzwischen als Synonym für die Abschaffung von Grenzkontrollen in der EU gilt.
Nur die Autos, die von der GM-Marke Cadillac hier vorgestellt werden, lassen den Bezug zu Europa etwas vermissen. Es geht nämlich nicht um Mittelklasse- oder Kompaktwagen mit Dieselmotor, wie sie europäische Kunden am häufigsten bestellen, sondern um V6 und V8-Benziner, darunter ein Geländewagen der Fünfmeter-Plus-Klasse, noch dazu mit Hybrid-Motor. Solche Fahrzeuge spielen auf dem alten Kontinent nur eine winzige Nebenrolle in der Zulassungstatistik.
Fahrendes Schaufenster
Der Cadillac Escalade spielt in einer Liga mit Porsche Cayenne, VW Touareg und BMW X6, die alle mit der Zielrichtung US-Markt als Hybrid-Autos entwickelt und auf den Markt gebracht wurden. Im Schnitt rechnen die Hersteller mit fünf bis zehn Prozent Verkaufsanteil an der Gesamtbaureihe. Bei den homöopathischen Dosen, in denen deutsche Kunden Cadillacs bestellen, wären dies für den Escalade Zahlen im einstelligen Bereich. In guten Jahren hatte die Marke in ganz Europa etwa 2500 Einheiten jährlich abgesetzt. Also muss das Auto außer Geld verdienen auch noch eine andere Funktion haben.

Verbrauch Null: Solch eine Anzeige beruhigt das Gewissen, aber es funktioniert nur bei City-Tempo.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Der Escalade Hybrid ist eine Art fahrendes Schaufenster. Seine Aufgabe in Europa ist dieselbe, die ein Hybrid von Porsche, Volkswagen oder BMW in den USA hat. Er sagt: "Wir können das auch" und wendet sich dabei an ein Publikum, das einen Siebensitzer mit Allradantrieb und viel Komfort fahren, aber keine Gewissensbisse wegen der Umwelt haben will. Durch die Kombination von V8- und Elektromotor, durch die Fähigkeit bis zu 50 km/h emissionsfrei dahingleiten zu können, erfüllt das 2,7-Tonnen-Dickschiff diesen Wunsch.
Selbstbewusstsein vonnöten
Dass das Fahrzeug nicht mehr nach der allerneuesten Cadillac-Mode gekleidet ist, kann man auf Anhieb sehen. Das Crossover SRX und das Coupé CTC sind viel schärfer auf Kante modelliert, provozieren durch Falten und Sicken im Blech. Der Escalade repräsentiert sich sozial verträglicher - ein Kaliber von Personenwagen, neben dem ein Audi Q7 wie ein Kompaktwagen aussieht. Eine gehörige Portion Selbstbewusstsein gehört dazu, solch einen Trumm durch die Straßen zu bewegen - und seine Motordaten zu nennen: Sechs Liter Hubraum, verteilt auf acht Zylinder, 337 PS. Nur der Hinweis "Hybrid" bewahrt den Eigentümer davor, in seinem Bekanntenkreis per se als Umweltschädling zu gelten. Im Verbrauchsdisplay am Armaturenbrett während der Fahrt die Zahl "0" zu sehen, verschafft ihm allerhöchste Glücksgefühle.

Viel Holz und Leder schaffen eine wohnliche und komfortable Atmosphäre im Innenraum.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Doch es geht wirklich: Das patentierte Two-Mode-Hybridsystem generiert die Energie für das Aufladen der 300 Volt Batterie selbst, indem die beiden Elektromotoren beim Verzögern des Fahrzeugs, also beim Bremsen oder bei Bergabfahrt, als Generatoren funktionieren. Die in die Batterien eingespeiste Energie steht danach wieder für den Antrieb der Elektromotoren zur Verfügung. Das System basiert auf einem elektrisch gesteuerten stufenlosen EVT-Getriebe, einem 300 Volt Nickel-Metall-Hydrid-Energiespeicher. Diese Systeme arbeiten im Verbund mit der Zylinderabschaltung und der Schließverzögerung der Einlassventile. Im Display erscheint dann entsprechend des Arbeitszustandes die Information "4V" für ein abgeschaltetes Zylinderquartett.
Keine Rekorde zu erwarten
Über so profane Dinge wie Spurtfähigkeit oder Höchsttempo gibt das offizielle Cadillac-Datenblatt keine Auskunft. Da jede Pferdestärke mehr als acht Kilogramm zu stemmen hat, ist in dieser Disziplin nichts Rekordverdächtiges zu erwarten. Der Spritkonsum soll dank der Hybridtechnik nach EU-Norm 11,1 Liter je 100 Kilometer nicht überschreiten. Das wäre respektabel, jedoch zeigte die kurze Testfahrt mit verhaltenen Beschleunigungs- und größtmöglichen Rekuperationsphasen, dass in der Praxis wohl eher mit 13 bis 15 Litern zu rechnen ist. Dennoch bleibt die Reichweite ordentlich, denn der Tank fasst mehr als 90 Liter.
Die üppigen Dimensionen des Innenraums lernen die Insassen bald zu schätzen. Zwischen den Frontsitzen ist eine Ablagebox von der Größe eines Trolleykoffers angebracht, Aus- und Einsteigen werden durch elektrisch ausfahrbare Trittbretter erleichtert. Allgegenwärtig ist eine gediegene Mischung aus Lederpolstern, Holzapplikationen und flauschiger Auslegeware anzutreffen, die den Aufenthalt an Bord zum Kurztrip in die Wellness-Lounge werden lässt. Allerdings muss man sich auch mit Unzulänglichkeiten arrangieren, wie etwa der dürftigen Navigations-Grafik, die bei der Umstellung des Maßstabes von 400 auf 500 Meter schon mal ein komplettes Vier-Block-Kernkraftwerk einfach verschwinden lässt.
Der "Cadillac Escalade 6.0 Hybrid Automatic Sport Luxury", so der vollständige Modellname, ist für Menschen gedacht, die in einem Q7, Mercedes GL oder BMW X5 nicht den rechten Ausdruck ihres Lebensstils finden können. Mit einem Preis von 83.490 Euro ist er das teuerste Auto im aktuellen Cadillac-Programm für Europa. Wer sich für ihn interessiert, weiß aber auch, dass eine vergleichbar ausgestattete Allrad-Großraumlimousine aus deutscher Produktion mit mindestens 120.000 Euro zu Buche schlägt.
Quelle: ntv.de