Lamborghini Gallardo Performante Macho als Hungerkünstler
09.12.2010, 11:16 Uhr
Zehn PS mehr und 65 Kilogramm weniger unterscheiden den Performante vom "normalen" Spyder.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Der neueste Lamborghini ist ein Beleg für die schleichende Abschaffung eines ehernen Grundsatzes der Autoindustrie: Früher gab es für mehr Geld mehr PS und Tempo. Künftig wird es für mehr Geld weniger Gewicht geben.
Zu den Eigenheiten der italienischen Sportwagenmarke gehört es, ihren Produkten Namen zu geben, die auszusprechen länger dauert, als die Autos von Null auf Hundert zu beschleunigen. Nur begabte Muttersprachler schaffen das in 3,9 Sekunden. Und will man dazu noch die Langform des Kürzels "LP" formulieren wird, knackt der Renner bereits die 200er-Marke. "Longitudinale posteriore" heißt das und bezeichnet die Einbauposition des V10-Motors.

Karbon, wohin das Auge blickt. Mittels des teuren und besonders leichten Werkstoffs wurden dem Sportler 65 Kilogramm abgehungert.
Es scheint, als habe Lamborghini die Maxime entdeckt "Von Porsche lernen, heißt Vielfalt lernen": Aus einem Sportcoupé eine 20 Mitglieder zählende Modellfamilie zu machen, ist ein Zuffenhausener Kunststück, das in Sant'Agatha bei Bologna offensichtlich dankbare Nachahmer findet. Mit dem Gallardo Spyder Performante bringt Lamborghini das fünfte Derivat eines eigentlich schon austrainierten und voll entwickelten Supersportlers auf die Straße.
Karbonteile im Übermaß
Es ist es nicht die Kunst des Weglassens, die das Fahrzeug erleichtert, sondern in erster Linie der verschwenderische Einbau des edlen Karbon-Verbundwerkstoffs, die zur Abmagerung führt. An Frontschürze und Außenspiegeln, an Heckspoiler und Diffusor, dazu an Türverkleidungen und Mittelkonsole ist das charakteristische Gewebemuster der aufwändig zusammen gebackenen Bauteile zu erkennen. Das größte freilich tarnt sich unter einer Lackschicht: Auch der Deckel für Motor und Verdeckkasten ist aus dem äußerst stabilen High-Tech-Material. So zeigt die Waage offiziell 1485 Kilogramm, wobei den Kunden eine unvermeidliche und mehrere freiwillige Optionen offen stehen, diesen Wert wieder zu erhöhen. Die vom Hersteller als "Trockengewicht" angegebene Masse vergrößert sich durch Befüllen des Tanks ebenso wie durch die Bestellung von Komfortmerkmalen wie Navigationssystem oder Rückfahrkamera.

Der richtige Ort, um dicke Spoiler zu zeigen: Der Mullholland Drive nördlich von Los Angeles.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Am Antrieb ist nicht so leicht zu sparen wie an seiner Verpackung. Das Motorgewicht von rund 200 Kilo blieb gleich, doch die nächste Generation des Zehnzylinders wird wohl ebenfalls Ballast abwerfen. Der neue Zwölfzylinder von Lamborghini wiegt mit 235 Kilo trotz größeren Hubraums nur noch wenig mehr als der schon vor Jahren entwickelte Zehnzylinder.
In Bewegung fällt auf, dass der Performante alles andere als ein notorischer Krawallmacher ist. Beim Ampelstopp ist der voluminöse Zehnzylinder fast gar nicht zu hören, im City-Tempo schnurrt das Kraftwerk fast bescheiden vor sich, aber nur, um das Respekt gebietende Getöse bei "Grün" erst so richtig zu entfachen. In der Nähe von 4000 Umdrehungen – also der halben Nenndrehzahl – brüllt das Aggregat schon so infernalisch, dass der auf abgedunkelten 19-Zoll-Felgen dahin schießende Bolide den Vergleich mit einem startenden Jet nicht zu scheuen braucht.
Wuchtig einrastende Gangwechsel
Die Macho-Manieren müssen sein, alles andere würde den Charakter des Athleten in Frage stellen. Ebenso zwingend wie typisch sind die spürbaren Gangwechsel des e-Gear-Getriebes. Wo andere sich am "Schalten ohne Zugkraftunterbrechung" begeistern können, setzt Lamborghini auf den krassen Gegenentwurf. Obwohl technisch unnötig, wird auch beim sanften Beschleunigen immer eine kleine Pause eingelegt und die manuell per Wippe aktivierten Gangwechsel rasten im Sportmodus so wuchtig ein, wie der Sattelschlepper-Auflieger an der Zugmaschine. Wer den kernigen Hieb der Kupplung mag und entsprechend oft abruft, dürfte gar nicht merken, dass der Motor kein Vorbild an Elastizität ist. Die leichte Schläfrigkeit um 2500 Touren ist verzeihlich, putzmunter und gar giftig wird’s rund 1000 Umdrehungen später. Auch die Nick-Neigung auf welliger Piste mag man dem Roadster nicht wirklich übel nehmen.
Ein weites, ebenes Geläuf ohne Beschränkungen und ruhebedürftige Anwohner ist deshalb unerlässlich, um das Spaßpotenzial des LP 570-4 voll auszukosten. Eilige Kehren und schnelle Lastwechsel, eine dauerhaft hohe Drehzahl für ungezügeltes Temperament, das ist die Erlebniswelt, für die Sammler und andere Betuchte gern 217.651 Euro anlegen. Sie halten sich nicht mit profanen Fragen nach Kofferraum (110 Liter) und Verbrauch auf ( bei straffer Fahrt oder in der Stadt gern auch um 20 Liter/100 km). Ihnen geht es um Druck im Kreuz, den die dünnen Karbon-Sitzschalen authentisch an die Insassen übertragen und akustischen Genuss, wie ihn nur wenige Autos vermitteln können.
Als sinnlich und zielstrebig beschreibt die Astrologie die in Zeichen des Stiers Geborenen, wobei das Streben dieses Stieres nur ein natürliches Ziel kennt: Die schwarz-weiß karierte Flagge.
Quelle: ntv.de