Jetta legt seinen "Rucksack" ab Nur ein Hauch von Golf
26.07.2010, 07:27 Uhr
Weich fließende und harmonische Karosserie: der neue VW Jetta.
(Foto: Abdruck fuer Pressezwecke honorarfrei)
Nur noch einen Hauch von Golf erkennt, wer sich den neuen VW Jetta ansieht. Die Limousine wird in Mexiko gebaut, in den USA zuerst eingeführt und kommt 2011 dann in Deutschland an.
Man hätte ihm einen besseren Start gewünscht: Als "Rucksack-Golf" wurde der Jetta einst geschmäht und auch ganz ohne Häme war nicht wegzudiskutieren, dass der beeindruckend große Kofferraum wie ein Fremdkörper an dem als Fließheck-Limousine konzipierten Golf klebte. Der Jetta des Jahrgangs 2011 wird in erster Linie durch das einheitliche Markengesicht identifiziert, an der weich fließenden und harmonischen Viertür-Karosserie erinnert sonst nichts mehr an ein Golf-Derivat.
Als "Compact Sedan" bezeichnen die Amerikaner diese Autos und der Jetta hat sich die Eigenständigkeit des neuen Designs bei den dortigen Kunden redlich verdient: Er ist der Umsatzträger der Marke in den USA und auch aus VW-Sicht das "Brot-und Butter-Auto". Zum Erstaunen vieler erreicht es in der Kombiversion dort Diesel-Quoten, die an europäische Verhältnisse erinnern. Seit 30 Jahren ist der Jetta in den USA die am besten verkaufte Limousine einer europäischen Marke. Rund 80.000 Exemplare konnte VW bislang jährlich vom Jetta an die Amerikaner und Amerikanerinnen bringen, doch zu den Führenden des Segments herrscht noch ein gewaltiger Abstand. Vom Modell Corolla verkauft Toyota etwa dreimal so viele und auch der Zweiplatzierte, der Honda Civic, erreicht noch mehr als 200.000 Einheiten.
Solidität statt Design-Experimente
Wer am Jetta-Design Spannung und Pfiff vermisst, dem werden die Entwickler entgegen halten, dass die Karosserie vor allem massenkompatibel gestaltet sein muss. Auch der Toyota Corolla ist optisch alles andere als ein Aufreger. Aber der mit 4,64 Metern Länge sehr erwachsen dimensionierte Jetta verkörpert nach Worten des VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn eine "eigene Identität" und biete außerdem "mehr Auto fürs Geld". Das Fahrzeug sei entwickelt unter Berücksichtigung "der speziellen US-amerikanischen Bedürfnisse und Erwartungen", weshalb der Jetta auch ein wichtiger Faktor für die Erreichung des VW-Zieles sei, bis 2018 in der USA 800.000 Fahrzeuge pro Jahr abzusetzen.
Die Motorenpalette umfasst drei Benziner mit 85 kW/115 PS, 125 kW/170 PS und 147 kW/200 PS und einen TDI mit 103 kW/140 PS. Der Top-Motor ist ein turbobeatmeter Zweiliter-TSI und wird ab 2011 den Jetta GLI antreiben. Der 115 PS starke Einstiegsbenziner und der Common-Rail-TDI sind neu. In Kombination mit dem 6-stufigen DSG-Getriebe hinterließ der 200-PS-Jetta einen aufgeweckten und agilen Eindruck. Das Drehmoment erreicht mit 240 Newtonmetern zwar nicht die Zugkraft des gleich großen Dieselmotors, schiebt aber mit spontaner Reaktion auf Gashebelbewegungen munter an und vermittelt deshalb einen fahraktiven Eindruck.

... in den USA ist er die am besten verkaufte Limousine einer europäischen Marke.
(Foto: Textfabrik)
Die Lenkung ist griffig und direkt, so dass kurvige Landstraßen gern mit Schwung und Mut zum energischen Einlenken genommen werden können. Das Fahrwerk präsentierte sich auf diesen Testkilometern als erstaunlich europäisch abgestimmt, ein ausgewogener Kompromiss aus sportlicher Robustheit und komfortabler Dämpfung hinterließ einen tadellosen Eindruck. Prompt schlug sich die Fahrfreude im Verbrauch nieder: Statt der normgemäßen neun Liter je 100 Kilometer endete die Testfahrt mit dem Top-Benziner bei 10,1 Litern. Gut möglich, dass sich der Fahreindruck bei den für Deutschland produzierten Modellen noch etwas von der gefahrenen US-Version unterscheiden wird, denn das Europa-Auto bekommt eine Mehrlenker-Hinterachse. Der Grund: In den USA kommen Geschwindigkeiten jenseits von 90 Meilen (145 km/h) praktisch nicht vor, denn dann droht dem Fahrzeugführer Haft. In Deutschland, wo es kein Tempolimit gibt, soll die geänderte Hinterachse für die technisch möglichen höheren Tempi mehr Fahrstabilität garantieren.
In Europa ein Gang mehr
Die US-Version des Diesels soll laut Datenblatt 6,9 Liter je 100 Kilometer verbrauchen, auf den überwiegend auf der Autobahn absolvierten Probekilometern erwies sich das Fahrzeug als genügsamer: 6,2 Liter zeigte der Bordcomputer beim Einparken. In der Europa-Konfiguration soll das Auto allerdings nach deutlich sparsamer sein: 4,8 Liter je 100 Kilometer gibt Volkswagen als Zielgröße für den dann mit sechs Gängen verfügbaren 140-PS-Diesel an.
Auch dieser Motor hat dank 320 Newtonmetern Drehmoment ein ganz ordentliches Temperament zu bieten. Das mit einer 5-Gang- Handschaltung ausgestattete Fahrzeug drehte willig und vermittelte so einen anerkennenswerten Sportsgeist, die Geräuschentwicklung war jedoch bei höheren Drehzahlen nicht immer in einem gutzuheißenden Bereich. Vor allem für andauernde schnelle Passagen werden es die deutschen Kunden zu schätzen wissen, wenn dieser Motor auch mit einem 6-Gang-Getriebe angeboten wird, was Drehzahl- und Geräuschniveau bei zügiger Reisegeschwindigkeit deutlich minimieren wird.
Den 2,5-Liter-Fünfzylinder, den Amerikaner als "2,5 SEL" bestellen können, wird in Deutschland niemand vermissen. Beim Hochdrehen klingt er angestrengt und mühevoll, die Automatik dazu schaltet träge und temperamentslos. Zwar läuft der Motor sonst kultiviert und ruhig, Fahrspaß will sich mit dem Motor aber nicht recht einstellen.
Vorbildliche Verarbeitung in Innenraum
Wer aufgrund des Herkunftslandes auf Kritikwürdiges im Innenraum spekuliert hatte, dürfte enttäuscht die Testfahrt beendet haben. Wenn auch die US-Version ein wenig nüchtern möbliert daher kommt, wurde von der VW-typischen Wohnlichkeit mit klarer und übersichtlicher Struktur der Handhabung und Bedienung kein Deut abgerückt. Die Oberflächen sind ansehnlich gestaltet, die Verkleidungen und Dekorteile passen haargenau und alles, was in die Hand genommen werden muss, fühlt sich wertig und solide an. Da ist ganz offensichtlich streng nach den Vorgaben des Chefs gearbeitet worden. Wie hatte doch Martin Winterkorn bei der Präsentation verkündet? Man wolle 2018 die Nummer eins in der Welt sein, und zwar "nicht nur zahlenmäßig, sondern auch bei der Kundenzufriedenheit und der Qualität."
Eifrig spekuliert wird noch über den Preis, den das nach "Bora" und "Vento" nur wieder Jetta getaufte Auto in Europa kosten wird. Die Rede ist von einem Startpreis von etwa 25.000 Euro. Dank einer üppigen Aufpreisliste soll es den Deutschen an nichts fehlen. Elektronische Hilfen wie etwa Spurhalte- oder Toter-Winkel-Assistent sollen auch für den Jetta verfügbar sein. Amerikanische Kunden müssen auf solche High-Tech-Zusätze verzichten.
Quelle: ntv.de