Lotus Exige S vs. Porsche Boxster S Purist gegen elegante Rennmaschine
11.01.2015, 18:28 Uhr
Das Konzept mag das selbe sein, aber die Philosophie ist eine andere.
Die Konzepte des Lotus Exige und des Boxsters sind gleich: Sechszylinder-Mittelmotor, Heckantrieb, kein Dach und selbst der Zusatz "S" in der Modellbezeichnung. Darüber hinaus jedoch haben Lotus Exige S Roadster und Porsche Boxster S wenig gemeinsam.
Um Kritikern gleich den Wind aus den Segeln oder besser aus den Haaren zu nehmen: Ja, es soll Leute geben, die einen Porsche Boxster als Hauptfahrzeug nutzen. Seine Anlagen machen ihn aber eigentlich zum idealen Zweitwagen. Zwei Sitzplätze, knapp bemessener Innenraum und ein Stoffverdeck, das sich bei schönem Wetter leicht öffnen lässt. Und dann der 3,4 Liter große Mittelmotor im Boxer-Style mit üppigen 315 PS bei einem Leergewicht von weniger als 1,4 Tonnen. Das alles ruft doch förmlich nach der Rennstrecke.
Nun zum Lotus Exige. Sein V6-Aggregat sitzt auch in der Mitte und leistet üppige 350 PS. Zudem bringt der Roadster nicht einmal 1,2 Tonnen auf die Waage. Ein elektronisches Stabilitätsprogramm haben die Ingenieure dem Briten gerade noch spendiert, kommen damit aber nur ihrer gesetzlichen Pflicht nach, denn eigentlich widerspricht das Sicherheitssystem der sportlichen Grundausrichtung.
Komfort ist im Lotus Nebensache
So viel zur Theorie, jetzt wird gefahren. Aber dazu muss man erst einmal einsteigen – beim Lotus auf Grund der breiten Schweller ein wahrhaft akrobatischer Akt. Erst die Beine, dann abstützen und irgendwie in die kleine Fahrgastzelle eintauchen. Aluminium-Elemente im Fußraum lassen jetzt ahnen, was beim Exige Sache ist. Unter der etwas zerklüftet anmutenden Haut steckt ein geklebtes Leichtmetall-Chassis. Wegen des relativ schweren Toyota-Triebwerks ist das Leergewicht mit knapp 1,2 Tonnen aber gar nicht so gering, wie man angesichts der Karosserie und der kargen Ausstattung glauben möchte. Gegen Aufpreis gönnt der Hersteller den Insassen immerhin kleinere Komfort-Extras wie eine Klimaanlage für 1650 Euro oder eine Sitzheizung für 450 Euro.
Ansonsten stellt sich die Frage nach Komfort eigentlich nicht. Das drahtige Gestühl ist perfekt für den Kurs, aber strapaziös auf der Langstrecke. Dafür bleiben die Passagiere auch bei extremer Querbeschleunigung fest umklammert in der Sitzmitte. Frei von jeder elektronischen Unterstützung gibt der Pilot über das Voland die zackigen Richtungswechsel vor. Der Hecktriebler giert förmlich nach Kurven, besitzt verschiedene ESP-Modi, um ebenso verschiedene Fahrtalente an die kürzere oder längere Leine zu nehmen. Bei Bedarf lässt sich der Rettungsanker auch ausschalten. Auf der Geraden schlägt dann die Stunde des Kompressors. Füllig und leichtfüßig dreht das 3,5-Liter-Aggregat posaunend bis 7000 Touren und sorgt für angespannte Nackenmuskeln. Nur in der Höchstgeschwindigkeit haben die Konstrukteure den Roadster auf fast schon jämmerliche 233 Sachen begrenzt.
Geschwindigkeit ist keine Zauberei
Da kontert der Porsche mit fast 280 km/h lässig. Er mag vielleicht der Schnellere sein in diesem Vergleich, aber echte Lotus-Freunde können darüber nur müde lächeln. Einsteigen in den Boxster, na und? Dabei fällt nichts Besonderes auf, der Zuffenhausener ist quasi ein normales Auto. Wo die Innenarchitekten beim Exige eher billig wirkende Einfach-Anzeigen für Drehzahl und Tempo platzierten, zieht der Boxster alle Register der anno 2015 beim Sportwagenhersteller aus Stuttgart üblichen Infotainments. Und wo beim Briten ein DIN-Schacht-Radio aus dem Zubehör hockt, winkt beim Schwaben ein ausladender Monitor.
Der große Drehzahlmesser gehört beim Porsche in die Mitte. Das ist Tradition. Genauso muss heute TFT-Technik in ein modernes Auto, so ist die rechte der drei Skalen flexibel und kann die G-Kräfte bei der Querbeschleunigung auf Wunsch ebenso anzeigen wie die Straßenkarte der Navigation. Stichwort Querbeschleunigung: Der Boxster mit dem bissigen Sauger und betörendem Sound kann es natürlich auch. Quer durch die Kurve, gezielter Schlupf an der Hinterachse und Rauch aus den Radhäusern. Die Lenkung arbeitet mit elektrischer Unterstützung, vermittelt aber dennoch eine geballte Ladung Fahrbahnkontakt. Als Hightech-Duftmarke bietet er darüber hinaus eine variable Lenkübersetzung für angemessene Kurswechsel auf windungsreichen Landstraßen und kommodes Verhalten in der City oder auf der Autobahn.
Porsche zieht den Mainstream an
Dass der Porsche den Mainstream anzieht, liegt nicht zuletzt an seiner Vielfältigkeit. Hinters Steuer und von Köln nach München – kein Problem. Die Sitze sind sportlich, aber zugleich auch komfortabel, die Dämpfer können für zusätzliche 1428 Euro in ihrer Kennlinie angepasst werden. Damit innen stets ein kuscheliges Klima herrscht, sind die Sessel gegen 928 Euro Aufpreis nicht nur beheizt, sondern auch belüftet. Für weitere 267 Euro gibt es sogar eine Lenkrad-Heizung. Das einst in der automobilen Oberklasse geborene schlüssellose Schließsystem wandert gegen 880 Euro ebenfalls an Bord, und ein aktiver Tempomat kostet 2011 Euro extra.
Doch Moment, so schnell gibt sich der Lotus nicht geschlagen – Tempomat sowie USB-Anschluss dürfen die Kunden gegen 450 Euro auch bei ihm ordern, damit sie zumindest ein Quäntchen Langstrecken-Fähigkeit sowie Unterhaltung erhaschen. Mit einem Grundpreis von 69.040 Euro ist der Exige S in der Frischluftausführung (die beiden Dachhälften können herausgenommen werden) ein kostspieliger Individualist – aber er ist die Sünde wert. Die im Vergleich dazu günstig erscheinenden 61.381 Euro für den Boxster S sind wohl eher theoretischer Natur, denn mit ein paar Sonderausstattungen gehen rasch 80.000 oder gar 90.000 Euro über den Ladentisch. Dafür ist beim Lotus auf jeden Fall noch ein Erstwagen nötig. Oder man nimmt für weite Reisen oder bei schlechtem Wetter gleich die Bahn. Doch welcher Autofan will das schon?
Quelle: ntv.de, hpr/sp-x