Depression und Hoffnung Trotz in Motor-City
13.01.2009, 12:49 UhrSelten ist so viel über das Sterben einer Stadt geschrieben worden wie im Falle von Detroit. Am Sitz der großen drei US-Autohersteller ist der Verfall allgegenwärtig. Doch selbst die Meldungen über eine bevorstehende Pleite der "Big Three" General Motors, Ford und Chrysler hinderten nicht daran, die "Motor-City" auch in diesem Januar zur Welthauptstadt des Automobilbaus auszurufen. Zur Eröffnung der Automesse am vergangenen Wochenende ist zwar vieles anders als gewohnt, manches aber ist wie immer.
Anders zum Beispiel war, dass nicht ein amerikanischer Automanager das Eröffnungsstatement der North American International Autoshow (NAIAS) hielt, sondern ein Deutscher. Matthias Wissmann, Ex-Bundesverkehrsminister und Präsident des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA), machte sich in seinem Statement jedoch gleich eine uramerikanische Wesensart zu eigen: plakativen Optimismus. Die Krise sei in erster Linie als Chance auf einen Wandel zu begreifen, meinte er, die Autoshow "soll zeigen, dass die notwendigen Veränderungen in die Tat umgesetzt werden". Schließlich sei der US-Markt trotz des Absatzrückgangs von 18 Prozent (Deutschland 1,8 Prozent) im Jahr 2008 für die globale Autoindustrie noch immer der wichtigste Welt. Schon 2010 könne die Branche mit einem spürbaren Umschwung rechnen.
Zahlreiche Absagen
Diese Zuversicht wird, das ist in den Messehallen des Cobo-Centers in Detroit unübersehbar, nicht überall geteilt. Eine Reihe von namhaften Marken hat darauf verzichtet, mit der Präsentation von Serien- und Konzeptfahrzeugen Flagge zu zeigen. Nissan, mit der Marke Infinity in den USA einer der größten Importeure, blieb ebenso fern wie Suzuki, Rolls Royce, Ferrari und Land Rover.
Anders als gewohnt auch der Auftritt von Mercedes Benz. Statt wie Audi, BMW oder Volkswagen mit lichtdurchfluteten Inszenierungen und einer medienwirksamen Show Aufmerksamkeit zu binden, war es an den Pressetagen auf dem Stand mit dem Stern überraschend ruhig. Auch die als künftiger Umsatzträger vorgesehene E-Klasse blieb für das Messepublikum unsichtbar.
Stattdessen hatten Dieter Zetsche und seine Vorstandskollegen am Vorabend in einem Hotel vor geladenen Gästen den Schleier gelüftet. Der neue Mercedes der gehobenen Mittelklasse wird nicht nur etliche Designelemente der nächsthöheren Baureihe aufweisen, sondern auch so viel Sicherheits- und Assistenzsysteme in sich vereinen, dass sich mancher fragen könnte, wozu er dann überhaupt noch eine S-Klasse braucht.
Neue Bedeutung für die E-Klasse
Die Vierzylinder der E-Klasse sind dann mit Start-Stopp-Automatik zu haben, ihr Verbrauch wird mit zwischen 5 und 6 Litern angegeben. Das Publikum muss sich allerdings noch bis zum Genfer Autosalon gedulden, bis es die neue E-Klasse live in Augenschein nehmen darf. Und auch die E-Klasse scheint noch nicht am Ende ihrer Öko-Karriere. Man werde, orakelte Dieter Zetsche, "der Bezeichnung E-Klasse eine völlig neue Bedeutung geben".
Dass es dem Stuttgarter Konzern ernst ist mit alternativen Antrieben, zeigte die Detroiter Show eindrucksvoll. Kompaktfahrzeuge, die mit Elektro-, Brennstoffzellen- sowie unterstützendem Verbrennungsmotor ausgerüsteten Fahrzeuge der Reihe Concept BLUE Zero bieten verschiedene Antriebs- und Reichweiten-Alternativen. Von der reinen Batteriefahrt (200 km Reichweite), über die Brennstoffzelle (400 km) bis zum Hybridfahrzeug (600 km) sollen die ersten Varianten bereits ab 2010 zur Verfügung stehen.
Eher wie eine nostalgische Verklärung der schlechten alten Zeit des sorglosen Spritverbrennens mutet dagegen das letzte Sondermodell der SLR-Baureihe an, das vom offenen Roadster mit dem Beinamen "Stirling Moss" dargestellt wird.
Konkurrenz für Mazda MX-5
Volkswagen verblüffte indes mit einem Zweisitzer ganz anderer Qualität, der dank 180 Diesel-PS nicht nur viel Fahrspaß bis 226 km/h erlauben, sondern mithilfe mehrstufiger Spritspartechnik auch mit 4,3 Litern Kraftstoff je 100 Kilometer auskommen soll. Der Concept BlueSport getaufte Freiluft-Renner ist als Konkurrent für den Mazda MX-5 zu sehen und weist äußerlich eine starke Verwandtschaft mit dem Audi TT Roadster auf. Mit einer Serienfertigung ist trotz der positiven Resonanz allerdings nicht vor 2013 zu rechnen.
Die deutschen Marken konnten in den letzten Jahren ihren US-Absatz kontinuierlich steigern. Obwohl auch sie aktuell von Einbußen betroffen sind, setzen sie langfristig weiter auf den Markt. BMW und Mercedes unterhalten seit langem Fertigungsstätten in südlichen Bundesstaaten, Volkswagen wird mit einer neuen Fabrik in Tennessee bald dazu kommen.
Ob die einheimischen Hersteller die Zeichen der Zeit richtig deuten, ist trotz der besonderen Umstände, unter denen die diesjährige NAIAS stattfindet, keineswegs sicher. Manches sieht aus wie "business as usual". Die mit Spannung erwartete Pressekonferenz von General Motors erinnerte eher als den Nominierungsparteitag für einen Präsidentschaftskandidaten, als an die selbstkritische und zukunftsweisende Bestandsaufnahme, die sie hätte sein können.
GM-Show mit Mitarbeiterunterstützung
Hundertschaften von GM-Mitarbeitern ließen sich mit Plakaten bewehrt artig an einem Fahrweg aufstellen, um die vorbei defilierenden Produkte aus einheimischer Fertigung zu bejubeln. Konzernchef Rick Wagoner wurde bei der Aufzählung der vermeintlichen Erfolge immer wieder von bestelltem Applaus unterbrochen, auch wenn die gelobten Fahrzeuge teilweise den doppelten Durchschnittsverbrauch aufweisen, den deutsche oder japanische Fahrzeuge erreichen.
Immerhin: Die GM-Marke Chevrolet will schon im nächsten Jahr das Elektromobil Volt in Serie anbieten. Man darf gespannt sein, ob der versprochene Wandel tatsächlich von statten geht. Zwei Dinge sprechen derzeit dagegen. Der Spritpreis ist in den USA seit Monaten drastisch gefallen, der wirtschaftliche Druck, ein sparsames Auto zu fahren, für viele Haushalte damit entfallen. Und auch in der veröffentlichten Meinung spiegelt sich ein Umdenken noch nicht wider: Als "Truck of the Year" wählten die nordamerikanischen Fachjournalisten nicht das ebenfalls nominierte Stuttgarter BlueTech-Modell, sondern den Ford F-150 - einen Kleinlaster mit offener Ladefläche und 5,7-Liter-V8-Motor.
Quelle: ntv.de