Stier mit vier Nasenringen 435 PS im Audi S6
29.03.2006, 15:38 Uhrvon Axel F. Busse
Die Bezeichnung "S-Klasse" ist bekanntlich auf ewig für die Marke mit dem Stern reserviert. Dass ein "S" auch unter einem anderen Logo klasse sein kann, beweist Audis jüngster Kraftprotz: Mit der Limousine S6 bzw. dem Kombi Avant stellen die Ingolstädter erneut ihre Kompetenz unter Beweis, aus Luxus und Sportlichkeit extravagante – aber leider auch teure – Automobile zu formen.
In der äußerlich nur gering modifizierten Karosse des A6 (14 mm breitere Kotflügel) schlägt das Herz eines Stieres. Genauer gesagt eines Lamborghini-Stieres, denn Ausgangsaggregat ist der Zehnzylinder des Lamborghini Gallardo, der dort 520 PS leistet. Audis Markenlogo wird gleichsam zum vierfachen Nasenring für den Stier, denn mit 435 PS im S6 ist das Triebwerk weit entfernt von seinen Möglichkeiten.
Dass er sie im Audi nicht ausnutzen darf, liegt unter anderem daran, dass der preis- und prestigemäßig höher rangierende S8 auch "nur" 450 PS hat. Gleichwohl verhilft der Hochdrehzahlmotor der Audi-Mittelklasse zu beeindruckender Performance. Und damit jeder Blick in den Rückspiegel unzweifelhaft erkennen lässt, wer da auf der Überholspur heran sprintet, ist der ohnehin alles andere als dezente Kühlergrill durch weite Maschen im Gitternetz noch ein bisschen aggressiver gestaltet. Neu an der Front ist auch das Tagfahrlicht, das aus zweimal fünf weißen Leuchtdioden besteht und der Optik eine spezielle Note verleiht.
Wer hinter dem Dreispeichen-Lenkrad Platz nehmen darf, ist gewarnt. Die neuen Sportsitze haben zwar keine extra einstellbaren Kopfstützen, sind aber in ihrer ausgeprägten Seitenführung so geformt, dass sie auch massiver Querbeschleunigung des Insassen standhalten. Sicher in der Schale fixiert kann sich jeder an den Grenzbereich herantasten – aber der ist weit weg. Permanenter Allradantrieb und ein speziell abgestimmtes Sportfahrwerk lassen sich auch durch heftige Lastwechsel oder Lenkeinschläge kaum aus der Ruhe bringen.
Gleiches ist von den Bremsen zu behaupten: Auf den vorn 385 mm großen Stahlscheiben beißen die Beläge mit solcher Wucht zu, dass die Tachonadel Mühe hat, mit der Tempo-Vernichtung Schritt zu halten. Das Beste am S6 ist aber weder der sanfte Druck im Lendenwirbelbereich, den schon geringfügige Gashebelbewegungen auslösen können, noch das Nackenmuskeltraining, das mit jedem Kickdown verbunden ist. Das Beste ist die Klangkulisse, die Melodie aus Ansaug- und Auspuffgeräusch, die von 40 Ventilen instrumentiert wird.
Der bärige Sound, dessen Färbungen von finsterem Grollen bis zu angriffslustigem Fauchen reichen, ist beim Avant-Modell sogar noch ein bisschen stärker zu vernehmen. Vielleicht liegt's, wie bei anderen Klangerzeugern auch, am größeren Volumen des Resonanzkörpers. Um das ganze Orchester genießen zu können, sollte man Tunnel grundsätzlich mit offenen Seitenscheiben durchfahren.
Objektive Vorzüge, wie die abgeregelte Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h oder die 5,2 Sekunden von null auf 100 km/h verlieren im Lichte des subjektiven Fahrvergnügens schnell ihre Bedeutung. Ganz und gar nicht unbedeutend ist jedoch ein objektiver Nachteil, den der Audi S6 mit Auto ähnlichen Kalibers teilt: Der Preis. Mindestens 80.000 Euro sollte auf der hohen Kante haben, wer einen S6 sein eigen nennen will.
Quelle: ntv.de