Praxistest

Continental Flying Spur Speed Bentley will Umwelt-Vorbild sein

Es muss wohl der bitterste Moment im Leben von Walter Owen Bentley gewesen sein: Die Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre des vorigen Jahrhundert hatte dem englischen Autoproduzenten so zugesetzt, dass schließlich Erzrivale Rolls Royce die Firma übernahm. Die aktuelle Krise dürfte keine Gefahr für das traditionsreiche Unternehmen sein, denn im Markenportfolio des VW-Konzerns gehört Bentley mittlerweile zu den Perlen.

Eine der Ursachen dafür ist, dass Bentley mittels raffinierter Modellpolitik auch außerhalb von Hoch- und Geldadel Kunden gewonnen hat. Während andere Hersteller ihr Heil in immer größeren und teureren Fahrzeugen suchten, ging Bentley den umgekehrten Weg. Früher musste der geneigte Interessent eine halbe Million locker machen, heute kann er "schon" für 200.000 Euro ein überaus akzeptables Fahrzeug mit geflügeltem "B" bekommen. Früher wurden die Autos entweder bar bezahlt oder vererbt, heute werden sie nicht selten finanziert. Und: Außer gekrönten Häuptern und Hollywood-Größen steigt heute auch schon mal ein mittelständischer Unternehmer oder Freiberufler ein.

Laut Bentley-Marktforschung hat der durchschnittliche Kunde zwei bis vier Millionen (Euro, nicht Yen) auf der hohen Kante und drei oder vier Autos in der Garage. Zwar könnte er sich in der Preisgruppe jenseits 200.000 Euro auch einen Mercedes S 65 AMG zulegen, aber ein Bentley ist eben etwas anderes. Schon der Name: Continental Flying Spur Speed. Das klingt mondän, entrückt und hat einen Hauch von britischer Oberklasse-Dekadenz. Vor allem aber ist in Deutschland sehr exklusiv, Bentley zu fahren. Von den Fahrzeugen der Continental-Baureihe wurden 2008 laut Kraftfahrtbundesamt ganze 434 Exemplare neu zugelassen, also inklusive Coup und Cabriolet. Eine S-Klasse und ihre mehr als 8000 Einheiten ist verglichen damit schon ein richtiger Massenartikel.

Besondere Form der Unterhaltung


Als sechsmalige Siegermarke der 24 Stunden von Le Mans hat Bentley geradezu die Verpflichtung, nicht nur beim Komfort, sondern auch bei den Fahrleistungen Akzente zu setzen. Der 5,30 Meter lange Flying Spur Speed tut dies, in dem er in Tempo-Regionen vorstößt, die sonst den Ferraris, Lamborghinis und ein paar weiteren Exoten vorbehalten sind. 322 km/h oder 200 Meilen in der Stunde lautet die offizielle Ansage des Herstellers. Es muss eine besondere Form der Unterhaltung sein, wenn irgendein Herausforderer deutscher, italienischer oder amerikanischer Herkunft auf der linken Spur drängelt und das 2,5-Tonnen-Schiff dem aufmüpfigen Zweisitzer mal eben die ovalen Endröhre zeigt.

Dies geht mit einem brachialen Anschub vonstatten. Den Namen des Autos auszusprechen dauert länger, als von 80 auf 120 km/h zu beschleunigen. Begleitet wird die Leistungsexplosion von einem herzhaften Verbrennungs- und Auslassgeräusch, das die Rennsporttradition der Marke akustisch rezitiert. Der Motor dieses Ungetüms hat sechs Liter Hubraum, stößt jeden Kilometer fast 400 Gramm CO2 aus und lässt sich nur mit äußerster Zurückhaltung mit weniger als 16 Litern Verbrauch je 100 Kilometer bewegen. Ein leichtes also, dieses Fahrzeug als Klima-Schwein zu verdammen. Wer behauptet, dieser doppelt aufgeladene Zwölfzylinder sei ein Vorbild als Effizienz, wird im günstigsten Falle ungläubiges Kopfschütteln ernten.

Rechnen wir trotzdem mal nach und schauen uns zum Vergleich ein anderes Produkt des VW-Konzerns an. Vier VW Golf 1.4 FSI haben zusammen 5,6 Liter Hubraum und leisten 488 PS. Sie geben 576 Gramm Kohlendioxid je Kilometer ab und verbrauchen im Schnitt 24,8 Liter Sprit. Klar, werden die Verteidiger der Kompaktklasse jetzt sagen, "da sind ja auch 16 Zylinder am Werk statt zwölf, wie beim Bentley". Nur, wer die Rechnung mit vier dreizylindrigen VW Fox aufmacht, wird auch keine Vorteile für den Kleinwagen erkennen.

Alternativen im Konzern

Nicht überzeugt? Vielleicht gibt es Alternativen. Konzernschwester Audi zeigt gerade in seinem Q7 und wohl auch im nächsten A8 dass man ein mehr als zwei Tonnen schweres Auto auch mit einem Normverbrauch von 11,3 Litern bewegen kann. Der entsprechende Dieselmotor verfügt dank zwölf Zylindern und sechs Litern Hubraum über eine standesgemäße Bauart. Dazu Bentley-Entwicklungsvorstand Dr. Ulrich Einhorn: "Wir setzen auf die konsequente Reduzierung von Emissionen mittels Einsatz von Biokraftstoffen. Derzeit verfolgen wir keine konkreten Pläne zum Einsatz von Dieselmotoren. Als Teil des Volkswagen-Konzerns hat Bentley jedoch Zugang zu einer Reihe von technologischen Entwicklungen, die es uns ermöglichen bei den Antrieben verschiedene Szenarien in die Entwicklung einzubeziehen."

Bleibt als Kriterium der Nutzwert über. Gegenüber einem Quartett Gölfe hat der Bentley nur ein Viertel der Sitzplatzkapazität. Doch die Herrschaften aus dem englischen Oberhaus reisen in einer Wellness-Oase aus edlen Hölzern und feinstem Leder, in der es weder an Video-Unterhaltung, noch an Massagesitzen und Vier-Zonen-Klimatisierung fehlt. Praller Luxus und Ausstattung auf höchstem Niveau stimmen nachsichtig, denn an einer Stelle könnte auch der Flying Spur Speed eine Renovierung gebrauchen. Dass die Konsolenbedienung allzu sehr an den VW-Phaeton erinnert, daran hat man sich gewöhnt. Nicht gewöhnen möchte man sich aber daran, dass inzwischen Golf oder Scirocco über eine modernere Touchscreen-Navigation mit besserer Grafik und Bedienbarkeit verfügen.

Individualit ät in Luxus

Die Innenarchitektur des Flying Spur ist, wie bei der Marke üblich, in jeder denkbaren Art individuell veränder- und dekorierbar, doch auch die serienmäßige Gestaltung weiß durch ein ausgewogenes Verhältnis von aktueller Komforttechnik und Remininszenzen an traditionelle Bedienmerkmale zu gefallen. Zu Letzteren gehören die großen runden Lüftungsöffnungen und die verchromten Zugknöpfe für ihre Bedienbarkeit.

Selbst in der edlen Atmosphäre des Innenraums können die wohlsituierten Insassen Argumente finden, warum gerade ihre Luxuskarosse nicht dazu taugt, als Umweltschädling an den Pranger gestellt zu werden: CO2 bist eine Sache, aber wer tut etwas gegen das noch viel gefährlichere Methan? Bentley natürlich! Elf Kühe lassen ihr Leben und verschonen so die Umwelt vor den Ausdünstungen ihres Verdauungstraktes. Sie geben ihre Haut dafür, dass die Insassen des Flying Spur die Ledertapete auch noch an den entlegensten Winkeln fühlen und schnuppern dürfen.

Und zu guter Letzt liefert die englische Pracht-Limousine sogar noch rhetorische Munition gegen jene, die von besser verdienenden Autokunden verlangen, sie mögen mit ihren Einkäufen doch bitte deutsche Arbeitsplätze sichern. Wo ein Großteil der anmutig verpackten Technik herkommt, ist dezent zwar, aber gut lesbar am Zigarrenanzünder vermerkt: "Made in Germany" steht da drauf.

Quelle: ntv.de

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