Neuauflage des Klassikers Golf bleibt Golf
09.09.2008, 15:07 UhrDas ist die wohl schwierigste Aufgabe, die man Autobauern stellen kann: Einen Nachfolger zu entwickeln für das erfolgreichste Auto der Welt. Alle sechs bis sieben Jahre bekommt bei VW ein Entwicklungsteam diese Last aufgebürdet und über allem schwebt die Vorgabe: Macht bloß keine Fehler! Denn vom Golf hängt nach wie vor das Wohl und Wehe des drittgrößten Autoherstellers der Welt ab. Mit bislang rund 26 Millionen Verkäufen hat der Golf längst den Käfer (21 Millionen) überholt und sollte er floppen, gingen in Wolfsburg die Lichter aus. So einfach ist das.
Also ist vorsichtige Weiterentwicklung angesagt, nicht zuviel riskieren aber auch nicht zu wenig wagen, denn technologisch sollte ein neuer Golf seiner Klasse immer eine Nasenlänge voraus sein. Und er muss für breiteste Käufergruppen in aller Welt ein begehrenswertes Produkt sein, denn nur dann kann man für das Premium-Produkt Golf ein paar Euro, Dollar oder Yen mehr nehmen als die anderen für ihre Konkurrenzprodukte. Gilt das auch für den Neuen? Wir hatten anderthalb Tage Zeit, den neuen Golf auf Island ausgiebig probe zu fahren und meinen: Spagat zum fünften Mal geglückt.
Karosserie: Hier waren die Entwickler und Designer mutiger als beim Übergang von Golf IV zu Golf V. Der Neue wurde deutlich angeschärft. Durch eine komplett neue Front und eine markant über die ganze Seite gezogene Lichtkante wirkt der Neue wesentlich sportlicher und dynamischer als sein Vorgänger. Der ganze Karosseriekörper wirkt straffer, sehniger und die Leuchteneinheiten sind skulpturenhaft herausgearbeitet. Wesentliche Designelemente wurden dagegen beibehalten: Ohne eine breite C-Säule zwischen hinterem Seitenfenster und Heckklappe wäre ein Golf eben kein Golf. Und auch beim Nutzwert ist er ganz der Alte: Nach wie vor finden vier Personen ordentlich Platz zum Reisen und der Kofferraum hat das gewohnte Format. Deutlich zu spüren im Inneren: Auf eine hochwertige Anmutung der Materialien wurde äußerst großer Wert gelegt. Alles wirkt gediegen und ganz klar eine Klasse hochwertiger als in diesem Segment üblich. Und last but not least: Dank neuer Türdichtungen und gedämmter Frontscheibe ist das Auto hörbar leiser geworden.
Fahrwerk: Auch hier wurde Bewährtes beibehalten. Die Federbein-Vorderachse und Mehrlenker-Hinterachse setzten auch bislang schon den Maßstab. Doch jetzt hat VW noch einen draufgesetzt: Gegen Aufpreis gibt es das elektronisch geregelte Fahrwerk namens DCC, das das Fahrverhalten noch einmal spürbar verbessert. Bis zu 1000-mal pro Sekunde wird hier die Dämpferhärte an die aktuelle Fahrsituation angepasst und z.B. heftiges Bremsnicken oder starkes Kurvenwanken deutlich reduziert. Das System kommuniziert auch mit dem neu abgestimmten ESP, was auf den vielen isländischen Schotterstrecken zu heftigen Anfällen von Fahrvergnügen führte. Man kann den Golf wunderbar kontrolliert im leichten Rallye-Drift durch die Kurven zirkeln, ohne dass das System einen allzu harsch einbremst. Im Gegenteil: Ganz sanft und kaum spürbar wie eine liebende aber sich sorgende Mutter fängt die elektronische Hand das Auto und seinen allzu übermütigen Fahrer wieder ein.
Antrieb: Spätestens in diesem Kapitel will VW seine Innovations-Führerschaft beweisen - und hat alle Register gezogen. Besonders bei den Benzinern sind die Fortschritte gravierend. Sie sind jetzt alle nach dem Down-Sizing-Prinzip konzipiert, das heißt, mit möglichst wenig Hubraum, dem dann durch Turbo- und/oder Kompressor-Aufladung die nötige Leistung eingehaucht wird. Der Vorteil: Leistung und hoher Kraftstoffverbrauch fallen nur dann an, wenn sie wirklich gebraucht werden. Hält der Gasfuß still, arbeitet vorne eben nur ein sehr kleiner Motor. Am Beispiel des von uns gefahrenen 1.4 TSI zeigt sich das deutlich. Aus nur 1,4 Litern Hubraum holt VW dank kombinierter Kompressor- und Turboaufladung 118 KW Spitzenleistung. Anders herum: 160 PS aus 1,4 Litern Hubraum bedeuten eine Liter-Leistung von rund 115 PS - Sportwagenwerte! Und der Norm-Verbrauch? 6.0 Liter! Was das bedeutet, zeigt der Vergleich mit dem Vorgänger. Der bislang verbaute 2,0-Liter FSI-Motor mit 150 PS verbrauchte noch 8,3 Liter im Mix. Macht eine Ersparnis von 28 Prozent! Zu verdanken ist die Verbrauchssenkung auch den jetzt für alle Motoren erhältlichen Direkt-Schalt-Getrieben (DSG). Verfügte der Vorgänger noch über eine konventionelle Sechs-Stufen-Automatik werden im neuen DSG sieben Gänge ohne die spritfressende Wandler-Kupplung dennoch automatisch eingelegt. Das funktioniert blitzschnell und im Normalbetrieb kaum spürbar. Lediglich sanftes Anfahren gelingt nicht sehr geschmeidig. Da war der alte Automat einfach besser.
Ausstattung: VW hat gelernt und bietet den Golf ab sofort serienmäßig mit Klimaanlage an. Der Verzicht zum Serienstart des Vorgängers hatte noch für wütende Proteste gesorgt. Ansonsten ist die Ausstattung VW-üblich sparsam. Options-Fetischisten werden woanders glücklich. Aber: Alles Notwendige ist drin. Vor allem die Sicherheitssausstattung ist mit sieben Airbags, ESP und Sicherheits-Kopfstützen komplett. Was den neuen Golf aber heraushebt, sind eine ganze Reihe von Extras, die woanders nicht für Geld und gute Worte zu haben sind. Zum Beispiel das oben erwähnte aktive Fahrwerk. Oder der Park-Assistent samt Rückfahr-Kamera, der das Auto quasi selbstständig in die Parklücke fährt. Wer will kann auch einen Tempomat bestellen, der den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug mittels Laser überwacht und automatisch konstant hält. Nicht zu vergessen, die VW-Multimedia- und Navigationseinheit, die mit Ihrer genial einfachen Bedienung derzeit das beste System am Markt ist. Alles zusammen kann man den Golf bei Bedarf auf das Niveau von Oberklasse-Fahrzeugen aufrüsten.
Preise: Alles wird teurer, auch der Golf. Begann die Preisliste für den kleinsten Golf mit einfacher Ausstattung früher bei 16.300 Euro, werden jetzt 16.500 Euro fällig. Der empfehlenswerte 1,4 TSI mit 122 PS in hochwertiger Highline-Ausstattung kommt auf 21.925 Euro und - Überraschung! - das sind rund 100 weniger als der vergleichbare Vorgänger. Doch erst der Blick auf die Konkurrenz zeigt, wo der Golf wirklich steht: Ein vergleichbarer Opel Astra ist rund 1 500 günstiger. Nur gut, dass der neue Golf soviel besser geworden ist, sonst wäre der Premium-Zuschlag ja nicht gerechtfertigt.
Anmerkung: Einen ausführlichen Fahrbericht des neuen Golf sehen sie am Samstag, den 13.9. in der Sendung "n-tv Motor" mit Klaus Niedzwiedz.
Quelle: ntv.de