Den Großen dicht auf den Fersen Mehr Benz-Cabrio braucht keiner
09.08.2010, 18:07 Uhr
(Foto: Textfabrik/Busse)
Reicht ein Vierzylinder im E-Klasse-Cabrio? Und ob! Durch die Direkteinspritzung mobilisiert der Motor so viel Temperament wie ein "Großer". Aber auch sonst bringt das Cabrio viel Spaß und wenig Zugluft beim Fahren.
Es mag Gründe gegen, weshalb sich Autokunden beim Cabriokauf für ein faltbares Stahl- oder Aludach entscheiden. In der Premiumklasse ist so etwas bei BMW oder Lexus zu finden. Man muss kein Traditionalist sein, um die gute alte Stoffmütze zu bevorzugen, ein Klassiker, für den sich auch Mercedes bei der Neuauflage des E-Klasse-Cabrios entschieden hat. Was das Einstiegsmodell kann, zeigt dieser Praxistest.
Die Abkehr vom Traditionellen kann man bei Mercedes anderswo beobachten. Die Ziffer am Heck ist schon lange kein verlässlicher Hinweis mehr darauf, wieviel Hubraum das Auto besitzt. Der E 200 CGI hat deshalb auch nicht zwei Liter, sondern nur 1800 Kubikzentimeter, verteilt auf vier Zylinder. Geht das in der gehobenen Mittelklasse bei stattlichen 4,70 Meter Länge und robustem Kampfgewicht?
Vier Zylinder sind nicht zur spüren

Schon nicht mehr C-, noch nicht ganz E-Klasse: Das Cabrio liegt genau dazwischen.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Der Sechszylinder, so viel sei schon verraten, wurde keine Sekunde vermisst bei diesem ausgiebigen Testzyklus, denn dank Direkteinspritzung und Aufladung mobilisiert der Motor so viel Temperament wie ein "Großer". So richtig "groß" ist das E-Cabrio ohnehin nicht, denn an den Maßen der Limousine fehlen ihm glatte 17 Zentimeter. Wer genau hinschaut, wird die nahe Verwandtschaft zur C-Klasse erkennen, denn auch die hat einen Radstand von exakt 2,76 Metern. Bei den Außenmaßen sortiert sich das Cabrio mittig ein, denn die C-Klasse misst 4,58 Meter.
Wer würde bestreiten, dass das bewegliche Dach das identitätsstiftende Merkmal eines Cabriolets ist. Deshalb tat Mercedes gut daran, den Bedienelementen für die Haube einen hervorgehobenen Platz einzuräumen. Unter einer Klappe verborgen, als hufeisenförmige Metallspange ausgeführt, liegt der Hebel. Zusätzlich sind dort die Tasten für jene Ausstattungsmerkmale untergebracht, die das E-Cabrio zu einem Sonderfall unter den Open-Air-Viersitzern macht.
"Warmluftsee" hält die Zugluft draußen

Mit versenktem Air-Cap sieht das E-Klasse-Cabrio deutlich eleganter aus - aber es zieht auch mehr.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Oberhalb des Frontscheibenrahmens ist ein zusätzliches Windleitblech verborgen, das elektrisch ausgefahren wird und die anströmende Luft anhebt, so dass sie nicht gleich hinter der Scheibe verwirbeln kann. Gleichzeitig gibt es zwischen den hinteren Kopfstützen ein zusätzliches Windschott. Was zwischen den beiden Begrenzungen des noch oben offenen Innenraums verbleibt, haben die Mercedes-Entwickler mit lyrischer Fantasie einen "Warmluftsee" genannt. Man kann das amüsant finden, spürbar ist es aber tatsächlich. Die Zugluft bleibt weitgehend draußen, auch jenseits von 100 km/h ist das Offenfahren kein Stress.
Schade nur, dass dieses elegant geschnittene Fahrzeug durch das Ausfahren des "Air-Cap" genannten Leitblechs alles andere als schöner wird. Die Insassen dürfen sich damit trösten, dass sie den abstehenden Fremdkörper nicht sehen und bis in den weiten Herbst hinein Freiluft-Fahrten genießen können. Wer die Schönheit wählt, muss im Zweifelsfall leiden, spart aber auch 1249,50 Euro Zusatzkosten, die für das so genannte Cabrio-Comfort-Paket berechnet werden. Geschlossen bietet das Verdeck einen sehr guten Geräuschkomfort, der einem Coupé fast ebenbürtig ist.
Motor knurrt bei schneller Fahrt
Zum Motor: 184 muntere PS mobilisiert das Aggregat auf eine vorbildlich dezente Weise. Im Leerlauf kaum hörbar, schnurren die vier Zylinder beim Gasgeben zügig los, als wollten sie von vornherein die letzten Zweifel an ihrer Leistungsfähigkeit beseitigen. Ungewohnt, aber keineswegs störend, ist beim verhaltenen Losrollen das Singen des Turboladers, dessen Melodie von einem gemütlichen Knurren abgelöst wird, wenn man den Motor unter Last setzt. Ein maximales Drehmoment von 270 Newtonmetern erscheint nicht gewaltig, jedoch ist ein kultivierter, durchgängiger Zug spürbar und verkürzt die Zeit bis zum Cruising-Tempo. Die erfreuliche Agilität verdankt das Fahrzeug nicht zuletzt dem vergleichsweise moderaten Leergewicht von nicht einmal 1700 Kilo.
Im Normalfall wird das Auto mit einem manuellen Getriebe ausgeliefert. Der Testwagen verfügte über die fünfstufige Automatikschaltung, die den Besteller 2200 Euro extra kostet. In den leistungsstärkeren Varianten dieser Baureihe ist auch die bewährte 7-G-Tronic im Einsatz, dem E 200 fehlt sie nicht. Wer die spürbare Bedenkzeit des Wandlers beim spontanen Gasgeben meiden will, kann immer noch den Sport-Modus wählen, der die Schaltzeiten und Kennlinien verändert. Komfortabel und gemütlich sind die Attribute, die einem als erstes zu dieser Automatik einfallen.
Stoffdach während der Fahrt bedienen
Mit einem Testverbrauch von 9,3 Litern je 100 Kilometer lag das Fahrzeug einen guten Liter über der Norm, was gelegentlicher Hochgeschwindigkeitsfahrt ebenso geschuldet ist wie dem ausgiebigen Genuss des versenkten Verdeck, das den Luftwiderstand bekanntlich nicht zum Vorteil verändert. Geschlossen ist der Beiwert mit 0,28 nämlich außerordentlich gut.
Des Cabriofahrers natürlicher Feind war Jahrzehnte lang der Platzregen. Er hat seinen Schrecken verloren, seit die Stoffdächer auch während der Fahrt bedient werden können. Mit dem Testwagen klappte das Öffnen (bei 30 km/h) in 28 Sekunden, das Schließen einer Sekunde schneller. Auch der Waschstraßentest verlief tadellos. Leichtes Knistern und andere Verwindungsgeräusche auf unebenem Geläuf erscheinen hinnehmbar, denn die Bewegungsmechanik des Daches ist umfangreich und kompliziert.
Viel Raum für kostspielige Sonderausstattungen

Gediegenes Ambiente und viel Komfort: Im E-Cabrio kann man sich wohlfühlen - je mehr man zahlt, desto besser.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Nicht nur Freude machte das immerhin mehr als 3400 Euro teure Command-APS-System, das Entertainment-Steuerung und Navigation vereint. Die digitalen Kartendaten erwiesen sich als lückenhaft, so dass vor drei Jahren in Betrieb genommene Umgehungsstraßen nicht erkannt wurden. Da sollte Mercedes ein ernstes Wörtchen mit seinem Zulieferer reden. Außerdem gibt es heute Systeme, die das Abspielen laufender CD- oder Mediadateien unterbrechen, wenn der Verkehrsfunk sich einschaltet. APS ist noch nicht soweit, doch Freunde von Hörbüchern würden es danken.
Das Interieur bietet viel Raum für kostspielige Sonderausstattungen, aber nur wenig für die Beine der hinten Sitzenden. Da ist es eben doch keine vollwertige E-Klasse, die immerhin elf Zentimeter mehr Radstand besitzt. Auch wenn man sich mehr Platz wünschte, sind die Passagiere dort keineswegs schlechter gestellt als in den vergleichbaren Modellen anderer Hersteller. Mit dem Warmluftschal "Air-Scarf" (+ 476 Euro), den belüfteten Komfortsitzen (sehr wohltuend bei mehr als 30 Grad Außentemperatur, +1261 Euro) oder der Abstandsregulierung Distronic-Plus (+ 1844 Euro) kann man aus dem E 200 Cabrio ein richtig kostspieliges Auto machen.
Kofferraum ist beachtlich
Serienmäßig und inklusive ist aber etwas, was bei Cabrios immer Erwähnung verdient: Der Kofferraum. Mit 300 bis 390 Litern hebt sich der Benz wohltuend von den Erzeugnissen ab, die der Beifahrerin allenfalls Hutschachtel und Schminkköfferchen als Gepäck zugestehen wollen.
Fazit: Mehr Mercedes-Cabrio braucht kein Mensch. Der kleine Motor kommt mit dem großen Auto gut zurecht, auch der Durst ist moderat. Der Drehmomentvorteil des Diesels ist geschmolzen. Dessen Mehrpreis durch niedrigen Verbrauch heraus zu fahren, braucht eine erhebliche Laufleistung. Das Cabrio ist uneingeschränkt alltagstauglich, verlangt aber auch ein lockeres Portemonnaie, will man den Basiskomfort aufbessern. Doch da die Marke sowieso für Wertstabilität steht, und Cabrios darin immer noch einen Tick besser sind, als die vergleichbaren Coupés, kann man eigentlich nichts falsch machen.
Datenblatt | Mercedes E 200 CGI Cabrio Blue Efficiency |
Abmessungen L / B / H | 4,70 / 1,79 / 1,40 m |
Leergewicht | 1685 kg |
Sitzplätze | 4 |
Ladevolumen | 300 / 390 l |
Maximale Zuladung | 470 kg |
Motor | Vier-Zylinder, Direkteinspritzung, Turbplader |
Antrieb und Getriebe | Heckantrieb, Fünfgang-Automatik |
max. Leistung | 184 PS (135 kW) bei 5250 U/min |
Kraftstoffart | Superbenzin |
Tankinhalt | 66 l |
Höchstgeschwindigkeit | 231 km/h |
max. Drehmoment | 270 Nm bei 1800 U/min |
Beschleunigung 0 - 100 km/h | 8,6 sek |
Verbrauch pro 100 Kilometer(Innerorts / Außerorts / Schnitt) | 11,2 / 6,4 / 9,4 l |
CO2-Emissionen | 190 g/km |
Schadstoffklasse / Feinstaubplakette | EURO 5 / Grün |
Grundpreis | 48.815,- Euro |
Testwagenpreis | 63.319,90 Euro |
Quelle: ntv.de