Praxistest

320 km/h, 500PS, 80.000 ? "Schnäppchen" Corvette Z06

Hubraum – diese Weisheit ist gleichermaßen bekannt wie zutreffend – ist durch nichts zu ersetzen. Außer durch Hubraum. Nach diesem einfachen Prinzip funktioniert auch die neueste Version der amerikanischen Sportwagen-Ikone Corvette. Die sieben Liter, aus denen der V8-Motor jetzt schöpft, machen die Z06 zur stärksten und schnellsten Corvette aller Zeiten.

Erstaunlich simpel werden in dem bauartbedingt als "small block" geltenden Kraftpaket 512 PS zubereitet. Wer aus Zylindern schöpft, die annähernd Maßkrug-Format haben, kann auf Technik-Doping wie Direkteinspritzung, Turbo- oder Kompessoraufladung getrost verzichten. Ein schlichter Saugmotor mit zwei Ventilen pro Zylinder jagt den Fahrer in unter vier Sekunden auf 100 km/h. Die Skala auf dem Tacho kommt ohne Übertreibung aus: 320 lautet die Ziffer am Anschlag, und niemand bezweifelt, dass die Vette diesen Wert auch erreicht.

Wenn amerikanisch gleichbedeutend mit groß ist, dann ist die Z06 ein sehr, sehr amerikanisches Auto. Nicht nur Hubraum und PS sind gegenüber der gewiss nicht untermotorisierten Normal-Corvette gewachsen, sondern auch Räder, Bremsen, Kühlsystem und Auspuffanlage. Eben alles, was man braucht, um die schiere Kraft halbwegs beherrschbar zu machen.

Nicht mehr als ein Golf

Diese Bauteile brachten rund 40 Kilo Mehrgewicht mit. Wie kommt es dann, dass die Super-Vette fast um den gleichen Wert leichter ist, als das Basismodell? Die Antwort klingt teuer: Das Stahlskelett der Karosserie wurde durch eines aus Aluminium ersetzt, mit Titan, Magnesium und Karbon nicht gespart. Ergebnis: Ein ganzer Vorderkotflügel wiegt nur noch anderthalb Kilo, der ganze Motor derer 208. In der Endabrechnung bringt die Z06 noch 1.420 Kilogramm auf die Waage, etwa so viel wie ein gut ausgestatteter VW Golf.

Das schafft Dynamik. Die freigesetzte Energie ist brachial und am ehesten mit einer fliehenden Büffelherde zu vergleichen. Auch akustisch. Das Bollern der acht Töpfe erreicht seine volle Wirkung, wenn die Ventilklappen in den Endrohren auf Durchlass stehen. Für Fahrer mit gestörter Feinmotorik im rechten Fuß sollte eine Gesundheitswarnung auf der Armaturentafel angebracht werden. "Sorgloser Umgang mit dem Gaspedal kann zu unfreiwilligen Pirouetten führen" – oder so ähnlich. Natürlich ist das komplette Angebot an elektronischen Sicherheitssystemen an Bord, aber die Gesetze der Physik kann auch das beste ESP nicht überwinden.

Wenn der V8 losbrüllt, schieben 623 Nm Drehmoment so gegen den Horizont, dass es eine wahre Pracht ist. Zum Glück verzögern die Bremsen genauso vehement. Sechs Kolben vorn und vier hinten nehmen die gelochten Bremsscheiben – jede von ihnen im Langspielplatten-Format -in die Zange.

Um die Fahrdaten im Auge zu behalten, braucht der Pilot den Blick nicht von der Straße zu nehmen. Ein Head-up-Display informiert über Tempo und Drehzahl, wenn gewünscht auch über die Navigation zum Ziel. Das hatte schon die letzte Corvette-Generation, neu ist die Anzeige für die Querbeschleunigung, die dem verhinderten Rennfahrer die Einsicht vermittelt, dass es einen auch unter 1 g schon ganz schön in die Seitenwülste der Lederpolster drücken kann.

In PS pro Euro unschlagbar

Im Zusammenhang von mehr als 300 km/h Top-Tempo und über 500 PS scheint das Wort "Alltagstauglichkeit" eher unangebracht. Tatsache ist aber, dass unter Glaskuppel am Heck mehr als 600 Liter Ladung zu verstauen sind und das manuelle Getriebe sich wie eine Automatik fahren lässt. Dank des riesigen Drehmoments ist in der Stadt eigentlich nur der zweite, über Land nur der 4. Gang erforderlich. Bei all dem geht der Motor auch noch sehr effizient mit dem Kraftstoff um: Angesichts des Hubraums lässt sich über einen Durchschnittswert von 14,7 Litern auch 100 km nicht meckern. So viel kann man auch in einem halb so großen aufgeladenen V6 verfeuern.

Und was kostet der Spaß? Brutal eingebremst wie ein Prototyp auf Testfahrt stoppt der Preis kurz vor 80.000 Euro. Das ist viel Geld, aber ein Schnäppchen, kostet die Z06 pro Pferdestärke doch nur etwa halb so viel wie die neuesten Produkte der Wettbewerber Porsche oder Lamborghini. Folgerichtig ist das erste Produktionsjahr der Z06 schon ausverkauft.

Seit 53 Jahren ist die Vette das, was ein Amerikaner "The Real McCoy" nennt – der wahre Jakob eben. Doch angesichts des Leistungspotenzials wäre es nicht verwunderlich, wenn für den Betrieb auf deutschen Straßen die Waffenscheinpflicht eingeführt würde.

Von Axel F. Busse

Quelle: ntv.de

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