Praxistest

Kratzen am 911er-Denkmal Unterwegs mit dem Cayman S

Im Gegensatz zum Kaiman, der außerhalb Südamerikas nur in Tierparks zu bewundern ist, hat der Cayman inzwischen weltweite Verbreitung gefunden. Für viele ist das aus dem Porsche Boxster hervorgegangene Coup noch immer eine preiswerte Alternative zum 911er, der inzwischen nicht mehr unter 83.000 Euro zu haben ist. Den Cayman S, der für diesen Praxistest zur Verfügung stand, gibt es schon ab 61.500 Euro.

Das ist aus Sicht des Normalverdieners natürlich kein wirklich günstiger Preis, doch hat Porsche auch nicht den Anspruch, ein Massenhersteller zu werden. Der Cayman ist in diesem Frühjahr als vorsichtig überarbeitete Variante vorgestellt worden, wobei die optischen Veränderungen überschaubar, die technischen jedoch vielfältig sind. Größere Lufteinlässe, das Zwei-Röhren-Design der Frontscheinwerfer, LED-Heckleuchten und das mittig angeordnete Doppel-Endrohr des Auspuffs sind die auffälligsten äußeren Merkmale. Innen fällt vor allem die neue gestaltete Mittelkonsole ins Auge, die analog zu den Veränderungen im 911 von Funktionen und Schaltern entschlackt sowie mit einem berührungsempfindlichen 6,5-Zoll-Monitor ausgestattet wurde.

Mit Direkteinspritzung und 25 Mehr-PS

Die Neuzulassungen von Fahrzeugen der Baureihe Boxster/Cayman waren seit 2006 in Deutschland leicht rückläufig, weshalb eine Auffrischung dringend geboten schien. Mit 1477 Einheiten wurden 2008 beim KBA rund 600 Caymans weniger als Boxster registriert. Nicht einmal der schwäbische Sportwagenbauer kann sich dem Zwang verschließen, immer stärker auf Effizienz und Umweltverträglichkeit seiner Produkte zu achten. Das die Kunden aber gleichzeitig mit jeder Modellgeneration eine Leistungssteigerung erwarten, führt nichts an einer Direkteinspritzung vorbei. Beim Caymann ist der Hubraum des Sechszylinder-Boxers bei 3,4 Liter geblieben, als Ausbeute stehen nunmehr jedoch 320 PS zu buche. Das sind 25 mehr als bisher.

Und nur 25 weniger als beim 911er, wobei der Cayman ein um etwa 75 Kilogramm geringeres Gewicht mitbringt. So schrumpft der Vorteil des Porsche-Klassikers im Leistungsgewicht gegenüber dem Newcomer gewaltig und jedes PS des Cayman S hat nur 50 Gramm mehr zu bewegen als die Pferdchen des 911 Carrera. Wer Spaß an Zahlenspielen hat, kann auch noch folgenden Vergleich anstellen: Beim Cayman S kostet jedes PS knapp 50 Euro weniger als beim 911 Carrera.

Diese Rechnung hat allerdings nur so lange Bestand, wie der Kunde das manuelle Sechsganggetriebe bevorzugt. Neu am Cayman und Cayman S ist aber das Doppelkupplungsgetriebe, mit dem das Coup sogar noch ein Zehntel schneller von Null auf hundert sprintet als von Hand geschaltet. Verantwortlich für den Zeitgewinn ist die fast unterbrechungsfreie Zugkraft, die mit 370 Newtonmetern ihren Höhepunkt erlebt. Zwei radial angeordnete Lamellenkupplungen, die hydraulisch gesteuert sind, stellen die Kernbauteile des Getriebes dar. Die eine Kupplung ist für das erste Teilgetriebe mit den ungeraden Gängen und dem Rückwärtsgang zuständig, die andere Kupplung für die geraden Gänge. Wenn man beispielsweise im ersten Gang fährt und beschleunigt, wird automatisch der zweite Gang vorgewählt, aber dessen Kupplung noch nicht geschlossen. Beim Gangwechsel wird die erste Kupplung geöffnet und die zweite blitzschnell zugemacht. Dies geschieht innerhalb von Millisekunden und bewirkt den beeindruckenden Schub.


Elektronik regelt des Renn-Start

Wer 2945 Euro zusätzlich für das Doppelkupplungsgetriebe PDK locker macht, kann meist auch noch 1094 Euro für das Sport Chrono Plus Paket erübrigen. Eine harmlos erscheinende Taste unterhalb des Temperaturreglers auf der Mittelkonsole mit der Aufschrift "Sport Plus" macht den Cayman S noch bissiger. Mit dem so genannten Launch-Control-Verfahren kann man die Sprintfähigkeit auf unter fünf Sekunden drücken. Wer geringschätzige Blicke provozieren will und Kopfschütteln von Passanten nicht scheut, geht folgender Maßen vor: Taste gedrückt, linker Fuß aufs Bremspedal, rechts ruckartig Gas geben bis der Drehzahlmesser bei 6500 Touren verharrt und Bremse lösen.

So geht es mit maximaler Schubkraft vorwärts, wobei der Reibwert des Straßenbelags der limitierende Faktor ist. Unnötig zu erwähnen, dass man mit dieser Prozedur keine neuen Freunde in der Ökofraktion gewinnt und sein Treibstoff-Budget zusätzlich belastet. Beim EU-Normtest erreichte der Cayman S mit PDK sein Verbrauchsziel bei 9,4 Litern je 100 Kilometer. Launch-Control und erhöhtem Kurzstreckenanteil sei Dank waren es in diesem Praxistest knapp zwölf. Zur Beruhigung des Gewissens kann allenfalls herangezogen werden, dass der mit PDK ausgestattete Cayman weniger CO2 emittiert als der Wagen mit Handschaltung.

Aber, Hand aufs Herz: Wer will schon einen Porsche als rollende Sparbüchse bewegen? Die Firma baut Spielzeuge für Männer (die häufig und gern auch von Frauen bewegt werden) und jedes spielerische Vergnügen kostet Geld. Und die Krise? Alles halb so schlimm, so scheint es: Porsche verzeichnete im ersten Quartal 2009 einen um fast 15 Prozent höheren Auftragseingang als in den ersten drei Monaten 2008.

Mehr lenken als bremsen

Zur Fahrspaß-Steigerung bietet der Porsche-Wunschzettel noch eine Fülle von Möglichkeiten. Zum Beispiel das elektronische Dämpfungssystem Porsche Active Suspension Management PASM. Es ermöglicht auf Tastendruck, die Dämpfung spürbar zu straffen, während die "Sport"-Taste ein noch schnelleres Ansprechen des Gaspedals und ein späteres Eingreifen der Stabilitätskontrolle bewirkt. Kostenpunkt: 1547 Euro extra. Das Geld ist vernünftig angelegt, kommt es doch dem Fahrvergnügen zugute. Und wer davon schon reichlich hat, darf gern in Sinnfreies wie farbige Sicherheitsgurte (plus 243,95 ) oder lederbezogene Defrosterblenden (+368,90 ) investieren.

Im "Sport Plus"-Modus sind die vormals sanften Fahrstufen-Übergänge des PDK dahin, energisch rasten die Gänge ein, während hinter den Sitzen der Mittelmotor wild faucht. Da das Hauptgewicht vor der Antriebsachse liegt, ist der Cayman noch agiler und dabei gleichzeitig so neutral und spurtreu zu bewegen, dass es eine wahre Pracht ist. Die absolut präzise Lenkung schont die Bremsbeläge, denn die Tempoverminderung vor Kurven gewöhnt man sich in diesem Auto nur zu schnell ab.

Die Fahrwerks- und Schaltelektronik kann die Charakteristik des Coups vom sanften Cruiser bis zum aggressiven Kurvenjäger verändern. Die Grenzen des Systems sind da zu finden, wo akute Bedarfsänderungen im gewählten Sport-Modus nicht nachvollzogen werden. Wo eine herkömmliche Automatik bei plötzlicher Unterbrechung der Gaszufuhr im Nu in eine längere Übersetzung schaltet, verharrt der Cayman in hohen Drehzahlen, weil das auf Dynamik getrimmte Anforderungsprofil es so vorschreibt.

Fazit: Ein handlicher Sportwagen mit herausragenden dynamischen Qualitäten, der fühlbar am Denkmal des 911ers kratzt. Das Fahrerlebnis hat hohes Suchtpotenzial, die Mittelmotor-Konstruktion lässt durch Belademöglichkeiten in Front und Heck gleichzeitig noch eine für die Fahrzeugklasse ungewöhnliche Alltagstauglichkeit erkennen. Wer rechnet und auf den Prestigevorteil des 911ers gelassen verzichten kann, kauft sich mit dem Cayman S viel Freude ein.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen