Der üble Halloween-Streich Als Welles die Marsmännchen rief
30.10.2013, 08:53 Uhr
1938 war Orson Welles erst 23 Jahre alt, weltberühmt wurde er spätestens drei Jahre später mit seinem Film "Citizen Kane".
(Foto: AP)
Im Herbst 1938 blicken die USA in den Abgrund. Als in New Jersey Raumschiffe mit Außerirdischen landen, rät der Innenminister den US-Amerikanern im Radio zur Flucht. Viele Menschen fürchten eine Katastrophe. Dabei ist der "Krieg der Welten" nur gespielt.
Am 30. Oktober 1938 greifen die Nazis die USA an. Das glauben zumindest viele US-Amerikaner, als sie an diesem Sonntagabend das Radio einschalten. Immer wieder wird das Programm des Columbia Broadcasting Systems für Katastrophenmeldungen unterbrochen. Es gibt Explosionen, tausende Tote, die US-Armee ist machtlos. Allerdings sind weder die Deutschen noch die Japaner an der Invasion schuld. Nein, viel besser: Die ungebetenen Besucher kommen direkt vom Mars. Ein Land steht vor dem Untergang.
Den kurzen, aber entscheidenden Hinweis zu Beginn der Sendung verpassen viele Zuhörer. "Das CBS präsentiert Orson Welles und das Mercury Theater auf Sendung mit H. G. Wells' Krieg der Welten" - das hatte ein Sprecher verkündet. Alles ist nur eine Fiktion. Doch die meisten der etwa sechs Millionen Radiohörer schalten wohl erst später ein. Während des knapp einstündigen Live-Hörspiels glauben daher viele an eine echte Katastrophe. So kommt es an jenem Abend vor 75 Jahren zu einer inzwischen legendären Massenpanik.
Als gerade die Dunkelheit über der US-amerikanischen Ostküste hereingebrochen ist, beginnt die Show von Theater- und Filmregisseur Welles und seinen Darstellern. Nach dem Wetterbericht ertönt die lauschige Tanzmusik des Ramón Raquello Orchesters aus den Radiogeräten. Mit seichter Sonntagabendunterhaltung stimmen sich die USA auf die neue Woche ein, alles mutet ganz harmlos an. Doch dann gibt es plötzlich die erste Unterbrechung. Der Nachrichtensprecher berichtet, dass ein Astronom vom Princeton Observatorium eine Gasexplosion auf dem Mars beobachtet habe. Dann spielt wieder Musik.
Die Katastrophe vom Band
Doch die Dramaturgie der Welles'schen Inszenierung nimmt bereits ihren Lauf. Immer wieder stoppt das Orchester abrupt für eine weitere Sondersendung. Der Sprecher schaltet zu einer Farm in Grovers Mill in New Jersey, wo es einen Meteoriteneinschlag gegeben haben soll. "Vor meinen Augen spielen sich unwirkliche Szenen ab", berichtet Außenreporter Carl Phillips, der direkt nehmen dem Einschlagskrater zu stehen scheint. Im Hintergrund heulen Sirenen. Die Lage wird immer bedrohlicher. Philipps beschreibt das absurde Schauspiel. Es klingt wie Filmstoff aus der Feder kreativer Hollywood-Autoren. Der Meteorit entpuppt sich als Raumschiff, aus dessen Innern fremdartige Wesen mit Tentakeln kriechen. "Das ist das Unheimlichste, was ich jemals gesehen habe", sagt der Reporter.
Die suggerierte Katastrophe gibt es natürlich gar nicht. Die Geräusche von Polizeisirenen, schreienden Menschen und dem Artilleriefeuer der Armee laufen vom Band oder werden künstlich erzeugt. Die wenigsten Zuhörer wissen, dass Welles mit anderen Sprechern zeitgleich im CBS-Studio steht und das Hörspiel live produziert. Hier sprechen sie den abgeklärten Nachrichtensprecher und den zunehmend traumatisierten Außenreporter ein. "Feuer breitet sich überall aus, es kommt auf uns zu, es sind nur noch 20 Meter", schreit der plötzlich in sein Mikro. Dann setzt die Übertragung aus.
Wie es das Drehbuch will, treibt Welles die fiktive Reportage bis zum Höhepunkt. Als überall in den USA Raumschiffe landen, wird das Land unter Kriegsrecht gestellt. Immer mehr Menschen verbrennen, die 7000 US-Soldaten, die rasch zur Hilfe eilen, sind machtlos. Seinen Höhepunkt nimmt das Spektakel, als der vermeintliche US-Innenminister die Bevölkerung zur Flucht aufruft. Der Nachrichtensprecher spricht schließlich vom Dach des Rundfunksenders zu den Hörern. Kirchenglocken läuten, als er verkündet: "Unsere Armee ist ausgelöscht. Dies ist wohl unsere letzte Sendung, aber wir bleiben hier bis zum Schluss."
"Das war ein großer Spaß"
Geschichte oder Realität? Für viele Menschen im Großraum New Jersey und New York fühlt sich das alles echt an. In den Telefonzentralen von Radio und Polizei laufen die Drähte heiß. Einige berichten sogar von Rauchwolken am Himmel. Die Anrufer erhalten schnell Entwarnung. Dass die Ereignisse in Grovers Mill nicht real sind, meldet um 20.48 Uhr auch die Agentur "Associated Press". Doch stoppen lässt sich die Panik teilweise nicht mehr. "Überall in New York verließen Familien ihre Häuser. Einige begannen ihre Möbel zu bewegen", schreibt die New York Times am nächsten Tag. Einige Zeitungen berichten sogar von Millionen US-Amerikanern, die die Flucht ergreifen. Wie viele Menschen im Oktober 1938 wirklich auf Welles' Schauspiel hereingefallen sind, ist bis heute nicht ganz sicher.
Die Auflösung am Ende des Live-Hörspiels geht in dem Trubel jedenfalls fast unter. "Hier spricht Orson Welles. Meine Damen und Herren, wir vernichteten die Welt vor Ihren Ohren. Ich hoffe, Se sind erleichtert zu erfahren, dass wir es nicht so ernst gemeint haben", sagt Welles. "Wenn Ihre Klingel läutet und es steht niemand vor Ihrer Tür, dann war es gewiss kein Marsmensch, sondern ein Halloween-Streich." Alles ist nur ein Scherz, also alles gut? Von wegen.
Von der Invasion der Außerirdischen bleiben die USA verschont, doch der damals erst 23-jährige Welles steht heftig für sein Werk in der Kritik. Öffentlichkeit und Politik werfen ihm vor, er habe die Bevölkerung bewusst manipulieren wollen. Es gibt sogar Schadensersatzklagen. Andere loben den jungen Regisseur, sein Werk sei ein Paradebeispiel für die Macht der Medien. In Anspielung auf die umstrittene Radio-Show macht sich sogar Adolf Hitler in einer Rede im April 1939 über die Panik der US-Amerikaner lustig.
Für Welles ist das Hörspiel ein Glücksfall. Fortan ist er das "Wunderkind" der US-amerikanischen Kultur. Filme wie "Citizen Kane" machen ihn zu einem der einflussreichsten Regisseure Hollywoods. Doch die Hörspiele - und besonders "Krieg der Welten" -, die er zu Beginn seiner Karriere produzierte, bedeuten Welles besonders viel. In einem Interview sagt er später einmal: "Nichts habe ich so genossen wie diese Radio-Shows. Das war ein großer Spaß."
Quelle: ntv.de