Krach und Krimi in Madrid Bibliothekschefin schießt Böcke
03.09.2007, 11:45 UhrDie langen Regale mit den alten Büchern in der spanischen Nationalbibliothek strahlen etwas Ehrfurchtgebietendes aus. Hinter den Kulissen des Madrider Kulturtempels ging es zuletzt jedoch nicht gerade würdevoll zu. Es begann damit, dass aus einem besonders gesicherten Saal zwei wertvolle Weltkarten gestohlen wurden, die im Jahr 1482 gedruckt worden waren. Sie waren mit einer Klinge aus der "Cosmographia" des griechischen Geographen, Astronomen und Mathematikers Claudius Ptolemäus herausgetrennt worden.
Die Direktorin der Bibliothek, Rosa Regs, beschloss, den Diebstahl geheim zu halten. Die 74-Jährige, eine renommierte und vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin, wollte - wie sie später erklärte - die Ermittlungen der Polizei nicht beeinträchtigen. Ihr Dienstherr, Spaniens Kulturminister Csar Antonio Molina, erfuhr vom Verschwinden der Weltkarten erst drei Tage später von seinen Beamten. Er zitierte Regs sofort zu sich ins Ministerium. Die Katalanin besuchte gerade ihre 17 Enkel in Gerona im Nordosten Spaniens.
Nach dem Gespräch mit Molina erklärte die Direktorin ihren Rücktritt. "Ich genieße nicht mehr das Vertrauen des Ministers", sagte Regs. "Er sagte mir, ich hätte in meiner dreijährigen Amtszeit nichts gemacht." Die Zeitung "ABC" will gar erfahren haben, dass der Minister gesagt habe, die Bibliothekschefin habe "nichts als Scherereien gemacht". Der Minister betritt diese Darstellungen später. "Wir haben nur über das aktuelle Problem (des Diebstahls) gesprochen", berichtete er im Parlament. "Und das reichte schon."
Damit gab er zu verstehen, dass der Rücktritt der Direktorin wohl eher ein Hinauswurf war. Die streitbare Autorin ließ die Sache jedoch nicht auf sich beruhen. Der Minister habe sich wie ein "Choleriker" benommen, keilte sie zurück. Sie sei als Frau buchstäblich aus dem Amt gemobbt worden. "Mit einem Mann wäre man nicht so umgesprungen." Den konservativen Medien, die sich seit langem auf die Bibliotheksdirektorin eingeschossen hatten, hielt sie vor: "Ihnen gefällt es nicht, wenn Frauen den Ton angeben. Schon gar nicht wollen sie in einer Chefposition eine Frau wie mich haben, die der Linken angehört und nicht den Mund hält."
Die Nationalbibliothek ist mit ihren 500.000 alten Werken, sechs Millionen neueren Büchern und 110.000 Zeitschriften eine der bedeutendsten Kulturinstitutionen in Spanien. Die spanischen Medien begrüßten fast einhellig die Ablösung der Direktorin. "Das wurde höchste Zeit", meinte "ABC". "Regs war engstirnig und fanatisch bis zur Lächerlichkeit."
Das monarchistische Blatt hatte ihr unter anderem vorgehalten, ihren Mitarbeitern die Anweisung gegeben zu haben, sich vor Mitgliedern des Königshauses nicht zu verneigen und keinen Knicks zu machen. "In meiner Bibliothek verneigt sich niemand", soll die überzeugte Monarchie-Gegnerin gesagt haben. Aber auch das linksliberale "El Pas" reagierte erleichtert. "Regs hat zu viele Böcke geschossen", schrieb Spaniens größte Zeitung. "Dazu gehörte ihre Empfehlung, man solle keine Zeitungen mehr lesen. Nun kehrt sie zu ihrer Literatur zurück. Die Leser werden es ihr danken."
Von Hubert Kahl, dpa
Quelle: ntv.de