Zapp Maier - die WM-TV-Kolumne Der Anzeigetafel-Trick
01.07.2014, 16:39 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Regisseure dieser WM lieben es, die Fans im Stadion vor die Kamera zu bringen. Wir erleben eine bunte Fankultur in Brasilien. Das Fernsehen will aber auch stärker als je zuvor die Kontrolle über die Bilder von den Rängen behalten.
Es gibt Dinge, in denen ähneln sich Menschen auf der ganzen Welt. Dazu gehört die Reaktion von Fußballfans, die sich selbst auf der Anzeigetafel in einem WM-Stadion erblicken. Egal ob der Fan aus Kolumbien, Japan, Frankreich oder Sonstwo kommt, bricht er oder sie sofort in euphorischen Jubel aus, beginnt zu winken und zu schreien – bis der kleine Moment des großen Ruhms wieder vorbei ist. Wir Zuschauer durften dieses Phänomen in den vergangenen Wochen unzählige Male beobachten. Die Regisseure dieser WM lieben die kleinen Einspieler, in denen ein einzelner Anhänger oder eine kleine Gruppe auf den Rängen herausgepickt und groß ins Bild geholt wird. Unermüdlich streuen sie diese kurzen Szenen ein. Und die Fernsehmacher lieben es, dass sie meist nach demselben Muster ablaufen – sonst würden sie nicht das Bild zeitgleich ins Stadion übertragen: Fan ahnt nichts, Fan sieht sich, Fan flippt aus.
Durch die Fan-Einspieler sind wir Zeuge einer kreativen und bunten Fankultur geworden. Das Fernsehen hat uns Menschen gezeigt, die sich mit viel Aufwand als Ritter, Hühnchen oder Frosch ins Stadion aufgemacht hatten. Und es hat uns sehr viele hübsche Frauen mit Bemalung in ihren Landesfarben gezeigt. Die Einspieler haben sogar einigen WM-Fans zu Internet-Ruhm verholfen. Wie zum Beispiel dem US-Amerikaner, der sich beim Spiel gegen Portugal als Präsident Roosevelt verkleidet hatte. Seine verstörende Kombination aus Schnauzbart, Khaki-Uniform und irgendwie böse aufgerissenem Mund blieb den Fernsehzuschauern so sehr in Erinnerung, dass dem Kerl bei amerikanischen Medien noch eine kurze Folgekarriere gelang.
Jubel in die falsche Richtung

Bunte Kostüme und immer am Lachen: Die Fans sollen das WM-Feeling ins heimische Wohnzimmer transportieren.
(Foto: REUTERS)
Das sind schöne Bilder. Dass sie das Geschehen im Stadion authentisch wiedergeben, darf man bezweifeln. Das Fernsehen will bei dieser WM die Macht über die Bilder behalten – und wählt genauer als je zuvor aus, welche Teile der Fankultur zur großen WM-Party passen. Das zeigt die Diskussion um die Flitzer, die einfach ausgeblendet werden, weil man sie nicht haben will. Auch die Transparente, die seit Jahrzehnten in Stadien dazugehörten, werden in Brasilien offenbar rigoros entfernt. Im Stadion gibt es dafür neben den gefühlt 250 Kameras, die das Spielfeld überwachen, neuerdings auch eine eigene Abteilung Fan-Casting, die nach telegenen Besuchern Ausschau hält. Das erklärt vielleicht auch den angeblichen Trend, dass mehr schöne Frauen ins Fußball-Stadion gehen. Dicke alte Männer schaffen es jedenfalls selten auf die Anzeigetafel.
Mal abgesehen von solchen Bedenken gegen die WM-Übertragung: Zwei erstaunliche Dinge haben uns die Einspieler gelehrt. Erstens, wie viele Inhaber teurer WM-Tickets lieber auf die Anzeigetafel als aufs Spielfeld schauen. Selbst in den dramatischsten Momenten auf dem Platz dauert es nur wenige Sekunden, bis der Fernseh-Fan sich auf der Tafel bemerkt oder zumindest ein Nachbar ihn darauf hinweist. Zweitens, dass der Mensch von unserer hochtechnisierten Welt überfordert ist. Der Großteil der Fans jubelt nicht in die Kamera, sondern in Richtung Anzeigetafel – und versaut sich so seinen großen Auftritt, weil wir ihn nur von der Seite zu Gesicht bekommen.
Nach gefühlten zehntausend Fan-Einspielern sind wir müde vom Anzeigetafel-Trick, aber wir stehen ja auch schon kurz vor dem Viertelfinale. Der Großteil der WM ist geschafft. Und wir haben in Brasilien auch noch einmal lernen müssen: Der Anzeigetafel-Trick ist noch einer der besseren Versuche, die Stimmung neben dem Platz zu transportieren. Man denke zum Vergleich an die Berichte von irgendwelchen Fan-Partys, in denen ein bemitleidenswerter Reporter nach dem Spiel das Geschehen mit allen Emotionen noch einmal nacherzählen muss: "Als Brasilien ein Tor schießt, jubeln die Fans in Rio." Da freuen wir uns lieber, wenn sich wieder ein Fan vom Anzeigetafel-Trick locken lässt. Und hoffen zugleich, dass sich die Fernsehmacher für die nächste WM ein paar neue Ideen überlegen – und vielleicht wieder mehr Mut haben, das Geschehen im Stadion einfach zu dokumentieren, statt es immer perfekt in Szene setzen zu wollen.
Quelle: ntv.de