"Das ist schrecklich, aber das ist nicht schlimm" Der Horror lauert auf dem Land
16.11.2010, 00:27 Uhr
Greise Männer weinen, resolute Rosis nehmen gestandene Burschen ins "Gebetbuch", Fleischfachfrauen flüstern "Du bist in mir drin", - "Bauer sucht Frau" ist ein Kabinett des Grauens, daran besteht schon nach wenigen Minuten kein Zweifel. Protokoll eines Selbstversuchs.
Na klar, sicher, kein Problem, meine leichteste Übung. Der Kollege ist verhindert, da hilft man doch gerne aus und schaut "Bauer sucht Frau". Es sind ja nur 60 Minuten, denkt sich der Verfasser dieser Zeilen und hat keine Ahnung, welch riesige Damokles-Mistgabel fortan über ihm schweben wird.
Dabei fängt alles so gut an. Nach einer Stunde fader, aber lehrreicher Unterhaltung mit Günther Jauch empfängt ein Bauer mit ausbaufähigen Fähigkeiten am Akkordeon die Zuschauer mit dem denkwürdigen Satz: "Natürlich ist das schrecklich, aber das macht doch nichts". Na bitte, also gute Unterhaltung mit Sinn für Ironie und zufällige Bonmots? Leider weit gefehlt.
Rundumservice für die Zuschauer
Der Einstieg in die allseits beliebte Agrar-Kuppelshow gerät dank der mittlerweile branchenüblichen penetranten Redundanz zum Kinderspiel. Alliterationsgöttin Inka Bause führt den Zuschauer fröhlich grinsend in die schwierige Lage zwischen der resoluten Rosi und ihrem Willy ein – Rosi ist unzufrieden mit der Reinlichkeit im Stall, Willy hat was wiedergutzumachen. Also bereitet Willy ein Frühstück, mit dem nicht einmal Häftlinge geweckt werden wollen, und tapst im hübschen lila Schlafgewand zu seiner Angebeteten.
Falls dem Zuschauer doch kurz entfallen sein sollte, worum es hier geht, legen die Macher sicherheitshalber schwer melancholische Musik unter die Szenerie und lassen Willy und Rosi groteske Hauptsätze stammeln, die nur nochmals bestätigen, was der Sprecher eben schon ankündigte. Denken, fühlen, alles überflüssig. Das erledigt die Sendung für das Publikum, nur die Quizfrage muss es selbst beantworten: "Was kann man trinken? A) Korn oder B) Horn". Nicht, dass man solcherlei Fragen in der TV-Landschaft nicht gewohnt wäre, aber hier passt sie wie die langweilige Krankenkassenangestellte Stina zum blassen Rinderwirt Lukas. Die beiden sind das Traumpaar der Sendung, sie necken sich, sie schauen sich verliebt an, sie schlafen nebeneinander ein. Nur miteinander schlafen sie nicht, in dieser heilen Plüschwelt wird höchstens gekuschelt.
Wenn Läufer die Beziehung stören
Doch halt, nicht so vorschnell. Was heißt hier heile Welt? In "Bauer sucht Frau" gibt es auch Problemfälle, die man unschwer an der musikalischen Unterlegung erkennt. Während der willenlose Willy von der resoluten Rosi ziemlich fix auf Linie gebracht wird, hat es die Melkerin Barbara mit dem störrischen Gerhard schon schwerer. Der will sich partout nicht von seinen keimigen Wohnzimmer-Läufern trennen, die gemeinsame Zukunft ist in Gefahr. Barbara keift, Gerhard weint. Von irgendwoher pfeift Klaus Meine.
Doch Schwermut – oder andere Gefühle, Fremdscham vielleicht – lässt diese Sendung gar nicht erst aufkommen. Zack, Szenenwechsel. Die, äh, jauchzende Janet tanzt mit dem charmanten Schweinebauern Harald Salsa. Wer sich traut, hinzugucken, entdeckt, dass Haralds Stube entweder seit 1965 nicht mehr umgestaltet wurde, oder in dem Landwirt ein unerkanntes Style-Genie schlummert.
Mit dem Interieur könnten findige Trendsetter in den Chic-Kiezen deutscher Großstädte Kneipen eröffnen, in denen völlig inkompetente, dafür aber ausgesucht unhöfliche Barkeeper Flaschenbier zu obszönen Preisen verkaufen. Aber halt, ich schweife ab. Obwohl, das ist ein gutes Zeichen. Denn was in den 60 Minuten "Bauer sucht Frau" passiert, ist zum Glück so schnell vergessen, dass keinerlei bleibende Eindrücke entstehen. Jedenfalls keine, an die man ernsthaft Gedanken verschwenden müsste. Fortgeschrittene TV-Bulimie, wenn man so will: Schauen, vergessen, und in der nächsten Woche bekommt man alles häppchenweise wieder eingeführt. Lecker.
Quelle: ntv.de