Cheers, Charles Der Schatten-Prinz
14.11.2018, 12:07 Uhr
"Ich bin jung, ich kann warten" - der Spruch stimmt nicht mehr so ganz. Egal, Charles ist bereit.
(Foto: dpa)
Ein Sprichwort sagt: "Alles kommt zu dem von selbst, der warten kann." Wenn einer weiß, was das bedeutet, dann Prinz Charles. Der nächste König Großbritanniens wird nun 70 - und ist noch immer in der Ausbildung. Das stört ihn aber nicht.
Prinz Charles wird schon - oder erst - 70 und bleibt dennoch ein bisschen ein Mysterium. Aber genau so wünschen wir uns einen englischen Royal doch: spleenig, ein bisschen spießig, mit komischen Klamotten und überwiegend korrekten Ansichten. Ein Mann, der - one fine day - König von Großbritannien werden wird, sollte ruhig ein wenig außergewöhnlich sein. Dieser Mann, der höchstwahrscheinlich erst im hohen Alter den Thron besteigen wird, darf aber auch ein wenig merkwürdig sein: Allein deswegen, weil er ja bereits ewig darauf wartet, seinen wahren Job wirklich noch anzutreten. Und wer wartet schon bis 70, bis er die Firma von Mutti übernehmen darf? Über Prinz Charles kursieren so viele Gerüchte, dass wir uns ihrer an dieser Stelle gern mal annehmen wollen. Denn eines sind sie alle, diese Gerüchte: so amüsant wie widersprüchlich.
Beginnen wir also am Morgen: Da wird angeblich täglich sein Schlafanzug gebügelt, ebenso wie seine Schnürsenkel. Der Badewannenstöpsel muss sich an einer ganz besonderen Stelle befinden und die Wassertemperatur exakt lauwarm sein. Sogar die Zahnpasta lässt sich Charles von einem Diener auf die Zahnbürste drücken, heißt es laut Paul Burrell, einem ehemaligen Butler von Prinzessin Diana. Nun wissen wir ja, dass die Ehe von Charles und Diana unter keinem guten Stern stand. Dass also der Butler von Diana ihren Ex-Mann in einem ungünstigen Licht dastehen lassen will, versteht sich fast von selbst.
Laut Burrell soll Charles auch seine Kleidung fünfmal am Tag wechseln - das ist auch für viele andere Menschen - Blogger, Hipster, Instagramer - gar nichts Ungewöhnliches, warum also für Charles? Man könnte sich höchstens fragen: Warum macht er das? Und da kann die Antwort nur lauten: Weil er es kann. Und weil vielleicht sowieso "der erste Hipster ever" ist. Ein nachhaltiger dazu: Charles kauft nicht einfach neu, nein, er lässt flicken. Seine ökologische und ökonomische Art war vielen anfangs suspekt - heute darf er dafür ruhig ein bisschen gefeiert werden!
Zudem soll er wohl dafür sorgen beziehungsweise sorgen lassen, dass sein eigenes Essen vor Ort ist, wenn er zu einer Dinnerparty eingeladen ist. Aber: Ist das nicht sicherer und kostengünstiger, als ständig einen eigenen Vorkoster mitschleppen zu müssen? Und vielleicht geht es ja gar nicht um die Qualität des Essens, sondern es ist eine Sicherheitsmaßnahme. Seine Reisen zahlt er zu einem großen Teil übrigens selbst, wie ein entfernter Verwandter von ihm, Alexander von Schönburg, in der "Bild"-Zeitung zu berichten weiß: Vom Einkommen aus seiner Landwirtschaft, jährlich ca. 20 Mio. Euro, verwende er einen Großteil darauf, offizielle Pflichten und Reisen zu finanzieren, statt sich diese vom Staat zahlen zu lassen.
Außerdem ist er Schirmherr und Großspender von so vielen Wohltätigkeitsorganisationen, dass seine Mitarbeiter längst den Überblick verloren haben. Er selbst hat 25 gegründet. 1976 beispielsweise den "Prince's Trust" - da war er 28 Jahre alt und England von Wirtschaftskrise und Straßenunruhen zerrüttet. Mit dieser Stiftung hat Charles seit ihrer Gründung fast 700.000 jungen Leuten aus sozial benachteiligten Familien Zugang zu Bildung, Berufsausbildung und Karriere verschafft.
Und richtig, es mag etwas kapriziös wirken, wenn ein Mann auf gebügelte Bettwäsche und glatte Laken besteht - jeden Tag. Aber auch das würde sich die eine oder andere Hausfrau sicher gern gönnen, wenn sie denn könnte. Außerdem ist das nur ein Gerücht. Fest steht hingegen, dass der Prinz schon ein "Öko" und ein "Eso" war, als es diese Worte noch gar nicht gab: Er spricht mit Pflanzen, mit seinem Badewasser wird der Garten gewässert und die Paläste sollen auch nicht immer so richtig gut durchgeheizt sein.
Der Prinz mit den zwei Gesichtern
Ja, das ist wohl dieser andere Charles, der "Bio-Priz", der Architektur-Liebhaber, der Naturbursche, der liebevolle Vater, der glücklich Verliebte. Und Charles, der besorgte Großvater. Mit 70 wird er nun zum vierten Mal Opa - sein jüngerer Sohn Harry bekommt mit seiner noch recht frisch angetrauten Meghan ein Kind. HRH Charles Philip Arthur George, Prince of Wales und Duke of Cornwall sagt diesbezüglich: "Ich werde bald ein weiteres Enkelkind bekommen. Es scheint für mich jedoch ein Irrsinn, wenn wir ihnen diese komplett verschmutzte, beschädigte und zerstörte Welt hinterlassen", so Charles bei einer Veranstaltung gegen Plastik-Verschmutzung im Rahmen seines jüngsten Besuchs in Ghana.
Apropos Meghan: Unvergessen wird bleiben, wie Charles die Braut zum Altar führte, weil der richtige Vater nicht zur Hand war. Der Thronfolger war eingesprungen, nachdem Thomas Markle kurz vor der Hochzeit im Mai aus gesundheitlichen Gründen absagen musste. Eine überaus sympathische Geste von Charles. In der BBC-Doku "Prince, Son and Heir: Charles at 70" verrät Prinz Harry über diesen speziellen Moment in ihrer Vater-Sohn-Beziehung: "Ich habe ihn gefragt und ich glaube, er wusste, dass das kommen würde. Er sagte sofort: 'Ja, natürlich, ich werde alles tun, was Meghan braucht. Ich bin hier, um euch zu unterstützen.'"
Fels in der Brandung
Wie unterschiedlich Charles in seinen beiden Lebenshälften doch wirkt! In der ersten der verwöhnte, untreue Party-Prinz und unglückliche Ehemann, in der zweiten der solide Felsen, auf den sich seine Söhne und auch die jetzige Frau an seiner Seite, Camilla, verlassen können. Von seinen Söhnen William und Harry gibt es Bilder, da sammeln die Jungs den Müll anderer Leute ein und tragen mehrere Winter hintereinander denselben Skianzug - Sparsamkeit und Ordnung, ein Bewusstsein für die Umwelt und andere Menschen hat er den beiden beigebracht, auch ohne Mutter, und das ist eine Menge. Den jungen Männern, die auch erst ihren festen Platz im Leben finden mussten - mit Familie, Aufgabe und allem was dazugehört - scheint er ein guter Vater gewesen zu sein.
Seine Frau Camilla, zuerst gehasst, dann akzeptiert und mittlerweile von der ganzen Familie ins Herz geschlossen, hat sicher einen großen Anteil daran, dass Charles so ausgeglichen ist. Ist sie schließlich die Frau, die er bereits geliebt hat, als er noch mit Diana verheiratet war und nichts nach einem Happy End - für niemanden - aussah.
Camilla berichtet von einem weiteren Moment in der jüngeren Vergangenheit, der zeigt, wie Charles wirklich ist: Da gab es diesen Moment, in dem Prinz Charles Meghans Mutter, die US-Amerikanerin Doria Ragland, im Rahmen der Hochzeit von Harry und Meghan am Arm nahm, um in ein privates Zimmer zu gehen, weil man dort Papiere unterzeichnen sollte. Camilla erklärt in der BBC-Doku: "Viele Leute haben meinen Ehemann gesehen, wie er die Mutter der Braut an die Hand nahm, um das Register zu unterschreiben, und wie er mit uns beiden auch die Kirche verlassen hat - das sind Momente, die bewegen." Und das seien "die Dinge, die er hinter den Kulissen tut, von denen die Menschen nichts wissen. Ich glaube nicht, dass die Leute wirklich ahnen, wie nett er ist".
"Ich bin ja nicht dumm"
Ganz so nett wie Camilla finden ihn die, die ihm vorwerfen, er mische sich ganz unroyal in die Politik ein, wohl nicht. Gerne trägt er Zettel bei sich, um darauf vorbereitete Reden zum Besten zu geben. Oft jedoch weicht er vom Protokoll und von den Planungen ab - Schreckensmomente für die, die das höfische Zeremoniell zu verantworten haben und ein Fest für alle Freunde bissiger Bonmots. Aber: "Ich bin ja nicht dumm", sagte der Thronfolger kürzlich, er werde als König selbstverständlich darauf verzichten, sich für Projekte rund um Umweltschutz oder Architektur stark zu machen. Er wisse, dass das etwas anderes sei, wenn er erst Monarch ist. Seine Lehrjahre waren wahrlich lang - anzunehmen, dass er sich das eine oder andere "für später" notiert hat.
Das, was Charles hin und wieder angemerkt hat, ist ja aber gar nichts Parteipolitisches, sondern hatte oft Allgemeingültigkeit oder Gesellschaftsrelevantes - oder einfach eine menschliche Komponente. Wenn sich ein Prinz um die Welt sorgt, dann sollte er das sagen dürfen. Oder? Und wenn Themen wie Erderwärmung und Raubbau an Regenwäldern zu den unbequemeren Themen für einige Politiker gehören - so be it. Dennoch, er wird sich zurückhalten, eines Tages: "Ich verstehe natürlich völlig, wie das zu funktionieren hat."
Camilla glaubt an Charles als König, so der Macher der BBC-Doku, John Bridcut: Sie denke, dass die Bürde, der nächste Monarch zu sein, "nicht schwer auf seinen Schultern lastet, weil er sein ganzes Leben lang gewusst hat, dass es passieren wird". Wann "es" passieren wird - nobody knows. Die Queen, 92 Jahre jung, wirkt noch immer nicht so, als wäre sie amtsmüde. Man würde Elizabeth II. etwas mehr Ruhe gönnen und Charles einen Amtsantritt, bei dem er noch selbst den Thron erklimmen kann, aber man darf davon ausgehen, dass Mutter und Sohn alles miteinander ausbaldowert haben. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Und daher heißt die Devise: Abwarten und Tee trinken, auch zu Charles 70. Geburtstag. Cheers!
Quelle: ntv.de, mit spot