Unterhaltung

Helge Schneider, Evolutionswunder "Die Katze überlebt immer"

Kurz vor sechzig und immer noch ein Kind - ein guter Tipp zum Älterwerden.

Kurz vor sechzig und immer noch ein Kind - ein guter Tipp zum Älterwerden.

(Foto: imago/VIADATA)

Zum Interview ins "Café Einstein" in der Berliner Kurfürstenstraße kommt Helge Schneider nicht allein, sondern in Begleitung seiner Hunde Pici (schwarz, mittelgroß, sehr streichelbedürftig) und Zorro (sehr klein und frecher als Pici). Der 58-Jährige macht einen sehr entspannten Eindruck und spricht ausführlich über sein neues Album "Live at the Grugahalle – 20 Jahre Katzklo (Evolution)", aber auch über die WM, Conchita Wurst, Uli Hoeneß und darüber, wie er seinen Frieden mit dem Überhit "Katzeklo" machte.

n-tv.de: Helge, schaust du dir die WM an?

Helge Schneider: Ja, klar. Im Juni fahre ich für drei Wochen in mein Häuschen nach Spanien und gucke die Spiele dort.

Bist du ein Fußballfan?

Schon. Ich mag unsere Mannschaft, das sind gute Jungs. Obwohl der Fußball ja ganz anders geworden ist, wenn man das mal mit früher vergleicht. Neulich kam im Fernsehen das WM-Halbfinale von 1970, Deutschland gegen Italien, Deutschland verlor in der Verlängerung. Das war toll. Wahrscheinlich lag es an der Kameraführung. Ich hatte den Eindruck, die Leute sitzen fast auf dem Feld, die Spieler wirkten unheimlich schnell und das Tornetz wehte so schön, wenn der Ball da reinflog. Es sah alles viel wilder aus als heute. Weißt du, was seltsam ist?

Was denn?

1970 waren die Spieler alle älter als ich selber, ich bin Jahrgang 1955. Irgendwann sind Gleichaltrige dabei, und plötzlich sind die alle viel jünger, und man kann sich nicht mehr ganz so gut mit ihnen identifizieren.

Die Spieler sind jünger geworden - Helge auf keinen Fall älter.

Die Spieler sind jünger geworden - Helge auf keinen Fall älter.

(Foto: imago stock&people)

Siehst du viele Parallelen zwischen einem Fußballspiel und einem Helge-Schneider-Konzert?

Bei mir bist du auch nah dran. Aber sonst haben meine Konzerte mehr Ähnlichkeit mit einem Spiel von 1970 als mit einem Spiel von 2014. Heute ist die Taktik viel, viel wichtiger, das ganze Stellungsspiel ohne Ball. Bei meinen Auftritten habe ich keine Taktik. Ich lasse mich auf der Bühne von meinen Gefühlen lenken und spiele oft das, worauf ich in dem Moment Lust habe. Es kommt oft vor, dass ich den Text vergesse und dann improvisiere. Bei mir passiert viel mehr aus dem Bauch heraus als bei einem WM-Spiel.

Warum veröffentlichst du jetzt eigentlich ein Live-Album?

Och, warum nicht? Das hatten wir lange nicht mehr. Nach dem Konzert in der Grugahalle fragte ich den Tonmeister, ob wir das mitgeschnitten hätten, er sagte "Jau, haben wir", und dann habe ich mir das angehört und gedacht "Das könnten wir doch als Platte veröffentlichen." Die Leute fragen mich oft, ob sie einen Konzert-Mitschnitt kaufen können und jetzt haben sie einen.

Ist die Bühne – verglichen mit dem Tonstudio oder einem Filmset – dein Lieblingsarbeitsplatz?

Auf jeden Fall. Film ist nicht richtig mein Metier, das habe ich auch letztes Jahr wieder gemerkt, als ich meinen Film "00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse" machte. Live-Auftritte sind viel besser, was Tolleres gibt es gar nicht. Die Bühne ist direkter. Du singst oder erzählst was, und die Leute klatschen oder auch nicht. Du wirst also sofort dafür belohnt, wenn du was Gutes machst.

Du hast im Frühjahr 35 Konzerte gespielt, im August geht die Tournee weiter. Wie schaffst du es, harte Arbeit so leicht und entspannt aussehen zu lassen?

Das geht nur, wenn du dich auf die Arbeit freust. Auf Tour fahre ich viel Auto und übernachte dauernd in Hotels, das macht mir keinen Spaß. Aber der Moment, in dem ich auf die Bühne gehe, der fühlt sich an wie Urlaub.

Hält dich die Bühne fit oder macht sie dich alle?

Nee, die Bühne hält mich fit. Aber ich brauche am Anfang immer drei Tage, um reinzukommen. Wie für einen Sportler, der lange nichts gemacht hat, ist das erstmal anstrengend.

Warum hast du dich für ausgerechnet für einen Live-Mitschnitt aus der Essener Grugahalle entschieden?

Die Grugahalle ist praktisch bei mir um die Ecke. Sie hat ein bisschen ihren eigenen Sound, der sich in den letzten 40 Jahren oder so kaum verändert hat. Ich hatte den Eindruck, das war ein besonders gelungener Abend in schöner Atmosphäre - wir haben locker aufgespielt, ohne Stress, ohne Druck, mit viel Jazz und Spielfreude.

Kopfbedeckungen sind ein wichtiges Accessoire für ihn.

Kopfbedeckungen sind ein wichtiges Accessoire für ihn.

(Foto: imago stock&people)

Welche Erinnerungen hast du an die Grugahalle?

Als Jugendlicher bin ich oft dort reingeschlichen, am liebsten bei den Pop- und Bluesfestivals. Eric Clapton oder Pink Floyd, die habe ich dort gesehen. Ich war ungefähr 15 und bin einfach reingegangen. Damals gab es noch keine Security, allein der Begriff ist viel später erst entstanden. Man brauchte damals auch noch keine Aufpasser, die Leute hatten viel mehr Respekt vor den Künstlern, gerade vor Supergruppen wie Pink Floyd. Da wäre nie jemand auf den Gedanken gekommen, dich einfach von der Bühne zu ziehen.

Ich habe das Gefühl, wir reden viel über früher. Was vermisst du an der heutigen Zeit?

Ach, ich bin kein Mensch, der in der Vergangenheit lebt, überhaupt nicht. Aber früher gab es manches, das es heute nicht mehr so gibt. Wo in der Musik sind denn die großen Einzeltäter, die ganze Programme machen? Mir fehlt jemand wie Johnny Cash. Oder jemand wie Elvis. Wo ist denn der Lastwagenfahrer, der sich die Gitarre umschnallt und wie wahnsinnig mit den Hüften wackelt? Heute sind die Künstler alle schon fertig, wenn sie rauskommen. Das sind Gesamtpakete, "packages".

Was hältst du zum Beispiel von einer Helene Fischer?

Die ist eine wirklich fleißige Biene. Ich mag sie irgendwie. Sie kann gut singen, sieht gut aus, macht viel mit Artistik – also, mich erinnert Helene Fischer ein bisschen an Pink. Ich kann ihr wirklich was abgewinnen. Ausstrahlung und Humor hat sie auch und ich glaube, sie nimmt sich selbst nicht so wahnsinnig ernst.

Eines meiner Lieblingslieder von dir, das "Bonbon aus Wurst", ist im Essener Live-Programm leider nicht dabei, bietet aber ein gutes Stichwort: Conchita Wurst. Dein Eindruck?

Ganz schön unrasiert, die Frau (lacht). Auch so ein "package", man weiß nur nicht, wie viel … Ich bin sehr zwiegespalten in der Annahme solcher Geschichten. Ich kann nachvollziehen, dass der gewonnen hat, er kann ja wirklich gut und mit viel Power singen, auch wenn ich mir dieses Lied, dieses "Rise like a Phoenix" abends vorm Schlafengehen nicht anhören würde. Das ist mir zu sehr Hymne, so was mag ich nicht so. Das Problem ist ja: Wie soll es jetzt für ihn weitergehen?

Wie meinst du das genau?

Gibt der Konzerte? Was singt er da? Der hat jetzt irgendwie eine Lanze gebrochen, für sich selber. Und wieder für Schwule, so wie immer. Das ist natürlich auch Spektakel und muss wohl so sein heute.

Was ist schlecht daran, eine Lanze für Schwule oder Lesben oder Transsexuelle oder wen auch immer zu brechen?

Ist zehn Jahre zu spät, oder? Ich meine, mir ist sowieso schon immer egal, ob jemand schwul oder lesbisch oder auch bloß heterosexuell ist. Mir ist das völlig wurst – und das will Conchita ja wahrscheinlich auch damit sagen.

Wäre der ESC noch was für dich?

Nein, ich würde da nicht auftreten. Ich habe das immer schon doof gefunden, wie man dort vermarktet und vor den Karren gespannt wird. Ich finde, als Künstler muss ich frei sein und frei bleiben. Es gibt auch keine Organisation, bei der ich sagen würde "Dafür gebe ich jetzt meinen Namen her". Falls ich eines Tages sagen sollte "Ich gehe mit meinem guten Namen jetzt in die Politik", dann mache ich keine Kunst mehr. Dann werde ich so einer wie Ronald Reagan.

Du machst ein paar gesellschaftspolitische Anspielungen auf deinem Live-Album, zum Beispiel erzählst du, wie du Alice Schwarzer an der Schweizer Grenze getroffen hast. Ist das noch ein Witz oder schon …

… nee, das ist eine Lüge. Ich habe die ja gar nicht getroffen. So was ist Tagespolitik, dilettantisch wiedergegeben und kabarettistisch vermurkst. Man sieht im Fernsehen oft Leute, die geben sich bei so was extrem viel Mühe, sehr verkrampft wirkt das dann. Ich sage bloß, "Maxirock", den Namen und irgendwas mit Geld.

Was ist deine Haltung zu Menschen wie Alice Schwarzer oder auch Uli Hoeneß?

Gute Freunde kann man nicht trennen.

Gute Freunde kann man nicht trennen.

(Foto: imago stock&people)

Meine Meinung ist einfach: Wenn jemand Steuern hinterzieht, dann hinterzieht er Steuern und muss die sofort zurückgeben. Ich selbst mache das nicht. Ist doch blöd und es lohnt sich auch nicht, wie man jetzt sieht. Aber gut, für Uli Hoeneß hat es sich jahrelang ganz sicher gelohnt, der hinterzog die Steuern ja nicht aus Protest, sondern weil er noch mehr Geld haben wollte. Und es nervt natürlich, dass große Unternehmen oft überhaupt keine Steuern bezahlen, aber damit kann man das nicht rechtfertigen. Ich finde auch oft doof, wofür meine Steuergelder benutzt werden, da muss ich mir nur meine Heimatstadt Mülheim an der Ruhe anschauen. Vor Kurzem sehe ich in einer Straße, wo ich länger nicht durchgegangen bin, dass die Stadt einfach zehn alte Linden abgeschnitten hat. Da guckt dann eine Frau aus dem Fenster und sagt: "Wir haben schon eine Bürgerinitiative gegründet". Tja, ist natürlich zu spät. Wenn die Bäume weg sind, sind sie weg. So was ist einfach scheiße und macht mich sauer.

Du frotzelst auch über Peter Maffay und vergleichst ihn mit Alf. Hat er schon reagiert?

Nein, wir kennen und schätzen uns. Ich mag den gern und ich mag ja auch Alf gerne. Das war also eher ein Kompliment. Ich bin keiner, der unter der Gürtellinie auf jemanden einschlägt. Das wäre nicht lustig.

Du bist seit 40 Jahren Musiker und seit 20 Jahren so erfolgreich und präsent, dass du aus der Unterhaltungswelt überhaupt nicht wegzudenken bist. Warum werden dich die Leute nicht leid?

Ich bin Veränderung. Obwohl, ich will das nicht an die große Glocke hängen, denn im Grunde ist ja jeder Mensch Veränderung – bloß als Künstler wird man angeguckt. Unheimlich schön finde ich, dass die Jugend immer noch in meine Konzerte kommt. Ich werde nicht, wie so viele Kollegen, mit meinem Publikum immer älter. Wenn ich irgendwas angestrebt habe mit meinem Schaffen, dann: Dass jeder etwas damit anfangen kann, auch Kinder. Es war immer mein Ansinnen, alle Menschen zu erreichen.

Helge ist ne coole Socke, schon immer gewesen, auch vor Katzeklo.

Helge ist ne coole Socke, schon immer gewesen, auch vor Katzeklo.

(Foto: imago stock&people)

Dein im vergangenen Sommer veröffentlichtes Studioalbum "Sommer, Sonne, Kaktus" schaffte es in Deutschland auf den ersten Platz. Deine erste Nummer Eins überhaupt. Hat dich das gewundert?

Ich habe mich sehr darüber gefreut, aber es war nicht so, dass ich überrascht war. Ich dachte: "Ja, das musste doch mal so kommen." Einfach auch deshalb, weil ich hinter der Schallplatte stand und die immer noch gut finde.

Das Live-Album jetzt trägt den Untertitel "20 Jahre Katzeklo". Warum?

Weil es 20 Jahre her ist, dass ich mit "Katzeklo" größere Bekanntheit erlangt habe. Und auch, weil dieses Wort mich seitdem verfolgt. Auf der Straße sagen die Leute nicht "Helge", sondern "Katzeklo" zu mir.

Sogar deine eigenen Kindern nennen dich angeblich "Papa Katzeklo".

Ja, das kommt gelegentlich vor.

Als das Lied 1994 zum Erfolg wurde, du sogar in "Wetten, dass...?" aufgetreten bist und plötzlich ein Star wurdest, hattest du so deine Probleme mit "Katzeklo", oder?

Klar, du musst dir das mal vorstellen: Du ackerst und tingelst jahrelang, denkst: "Warum will mich keiner hören, ich mache doch gute Sachen". Die Leute sagten, ich sei hässlich und würde versuchen, mit Scheiße Geld zu verdienen. Und dann kommt ein einzelnes Lied und die Leute klopfen die auf einmal alle auf die Schulter. Damit muss man erstmal klarkommen.

Wann hast du akzeptiert, dass "Katzeklo" das Lied ist, das dich definiert?

Nach und nach. Eines Tages war es vorbei, dass man meint, sich fast schon entschuldigen zu müssen, dass einem so was eigentlich Läppisches gelungen ist, auf dem man im Grunde seine Karriere aufbaut. Irgendwann erkennt man nämlich, dass es gar nichts Läppisches ist und die Leute recht haben, wenn sie das gut finden. Dahinterzukommen, das war eine Art Selbstfindung für mich.

Du hast dich für deinen Hit geschämt?

Ich habe hinter "Katzeklo" erst nicht gestanden, weil mir das Lied so schnell und so unkompliziert gelungen war. Ich mache so was in drei Minuten und plötzlich bin ich reich. Ich dachte, da stimmt doch was nicht. Aber 20 Jahre später weiß ich, dass eben doch alles stimmt. "Katzeklo" ist als Lied außergewöhnlich und kommt immer sehr gut an.

Im Konzert in der Grugahalle improvisierst du den Text.

Das mache ich immer. Ich ändere den Text und auch die Melodie immer ein bisschen. Aber das Lied ist immer noch zu erkennen.

In diesem Fall wird die Katze überfahren.

Ja, aber man denkt nur, die Katze sei überfahren worden. In Wirklichkeit hat die Katze alle getäuscht und lebt.

Kommt es auch vor, dass die Katze wirklich stirbt?

Nein, nie. Die Katze überlebt immer.

Extrem komisch und extrem musikalisch = extrem geil.

Extrem komisch und extrem musikalisch = extrem geil.

(Foto: imago stock&people)

Weil du so ein Katzenfreund bist?

Nö, das hat nichts damit zu tun, dass ich Katzenfreund bin. Einfach so. Manchmal bin ich kurz davor, und dann sehe ich ein einzelnes Kind in der ersten Reihe und denke "Nee, so was darfst du jetzt nicht singen", und dann ändere ich den Text schnell.

Überlegst du dir manchmal, wie deine Karriere ohne "Katzeklo" verlaufen wäre?

Nö, da denke ich gar nicht dran. Vielleicht wäre dann was anderes passiert. Ich finde es gut, wie es ist. Das Lied passt auch zu mir.

Warum?

Ich habe mir bei "Katzeklo" nicht viel Mühe geben müssen, und dann ist etwas daraus entstanden, das fast schon eine Bewegung war und mir die Möglichkeit gab, weiterzumachen. Der Erfolg ermöglicht mir, immer auf Tournee gehen zu können, wann ich will. Und die Leute haben gelernt, dass sie nicht mit Erwartungen in die Konzerte kommen, weil jedes Konzert anders ist.

Du sagst, die aktuelle Tournee sei deine "vorerst" letzte. Wie lange soll die Pause dauern?

2015 gibt es auf jeden Fall keine Tour. Ich muss mich neu aufladen, Spazieren gehen, vielleicht mal wieder Hörspiele machen. Ich muss mich einfach eine Zeitlang zurückziehen und eine Schaffenspause machen. Das heißt aber nicht, dass ich aufhöre.

Im August 2015 wirst du 60. Freust du dich oder denkst du "Scheiße, schon so alt"?

Ach nö, ich freue mich und denke eigentlich gar nicht über das Alter nach. Ich fühle mich jünger als vor fünf Jahren und noch jünger als vor zehn Jahren. Ich werde immer jünger.

Weil du dich gesünder ernährst und mehr bewegst?

Das auch, aber ich glaube, das liegt bei uns in der Familie. Dieses Phänomen habe ich auch an meinem Vater beobachten können, als der älter wurde. Man bewegt sich der Gelassenheit zu, wird viel ruhiger und aufnahmefähiger für junge Gedanken. Und das macht dich dann automatisch jünger.

Mit Helge Schneider sprach Steffen Rüth

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Quelle: ntv.de

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