Unterhaltung

"Knallen statt wabern" Die neue Pop-Wundertüte von Naomi

Naomi, das sind Bernd Lechler (l) und Nico Tobias.

Naomi, das sind Bernd Lechler (l) und Nico Tobias.

(Foto: Alex Trebus)

Das Berliner Pop-Duo Naomi steht seit Jahren für großartiges Songwriting und klangliche Experimente zwischen Elektropop und Indie-Rock. Die Krux der Band: kaum einer kennt sie hierzulande, dabei wäre der Sprung in die Charts und auf die großen Bühnen längst fällig. Nun legen Bernd Lechler und Nico Tobias ihr viertes Album vor: "The Big Shapes", eine popmusikalische Wundertüte voll großer Refrains, sehnsüchtiger Tiefe und schlauem Witz.

n-tv.de: Das Naomi-Debütalbum vor acht Jahren bestach noch mit einer trendig entspannten Triphop-Atmosphäre, langen Instrumental-Passagen und Soundtüfteleien. Nun reiht ihr einen reißerischen Popsong an den anderen.

Nico Tobias: Naja, das neue Album hat durchaus seine psychedelischen Moll-Momente. Aber solche poppigen Dreiminüter zu schreiben, hat einen ganz eigenen Reiz. Die waren ja auch ganz am Anfang schon dabei, nur wurden unsere weitschweifigeren Tracks viel stärker wahrgenommen. Vielleicht weil wir bei einem Label sind, das damals mit anspruchsvoller Lounge-Musik berühmt wurde - und wir standen da und haben gestaunt, dass man uns ständig mit Air verglich, dabei sahen wir selbst uns ganz woanders. Das war lange unser Running Gag: Wir könnten auch ein Heavy-Metal-Album machen, es käme garantiert einer, der sagt: "Klingt wie Air."

Wo also sehen Naomi sich heute selbst?

Bernd Lechler: Letztlich sind wir ganz klassische Songwriter. Wir haben uns ja auch über die Liebe zu Leuten wie Elvis Costello oder Crowded House oder Ben Folds gefunden. Nur arbeiten wir mit anderen Mitteln. Eines der neuen Lieder heißt "Fujiyama", das ist im Grunde eine Art Blues, der sich als Elektropop verkleidet hat.

Nico Tobias: Und am Schluss als Sinfonie.

Bernd Lechler: Und das letzte Stück des Albums, "I‘ll Be The Past", ist ein Folksong über Geburt und Tod. Nur halt mit Roboter-Stimmen.

Trotzdem herzzerreißend - und an anderen Stellen wieder skurril und überschäumend, jedenfalls mehr Scissor Sisters als Air. War das das Konzept?

Bernd Lechler: Kein Konzept. Wir merken selber immer erst nach ein paar Monaten Arbeit, was wir diesmal machen. Die einzige Devise war vielleicht ... knallen statt wabern.

Nico Tobias: Es wabert nur an einer Stelle, da aber richtig. Anderthalb Minuten lang.

Bernd Lechler: Wir hatten ja immer diese elegische Melancholie und einen eher zarten Sound. Das ist auch alles noch da, wir sind nicht plötzlich Kylie Minogue. Aber wir haben unsere andere Seite diesmal betont. Die laute, plakative Seite. Stellenweise haben wir auch ganz bewusst übertrieben. Das war ein großer Spaß, und die ersten Reaktionen zeigen, dass es auch den Leuten Spaß macht. Sehr erleichternd. Die scheinen‘s zu verstehen.

Nico Tobias: Wenngleich nicht alle. Über unseren Promoter kam gerade das Feedback vom Musikredakteur eines großen Senders, der unsere aktuelle Single "Morning Belle" "bonbonbunt" nannte und sagte, man hätte uns die Effektgeräte wegnehmen sollen. Der hat sich richtig aufgeregt.

Bernd Lechler: Meine vierjährige Tochter dagegen sagt, man könne zu den neuen Songs "echt gut hüpfen".

Im opulentesten Stück des Albums, "Hello Fever", ist von den "Masters Of The Universe" die Rede - so hießen in Tom Wolfes "Fegefeuer der Eitelkeiten" die karrieresüchtigen jungen Banker und Broker. Ein Song zur Finanzkrise?

"Musik wie Winterlicht und Heizungsluft" titelte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung anlässlich des letzten Albums "Aquarium".

"Musik wie Winterlicht und Heizungsluft" titelte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung anlässlich des letzten Albums "Aquarium".

(Foto: Alex Trebus)

Bernd Lechler: Der Text entstand zu Teilen tatsächlich im Oktober 2009, dadurch hat sich das Thema irgendwie eingeschlichen. Zuerst lief in diesem Song einfach einer mit fiebrigen Augen durch die Gegend - Fieber zu haben kann ja auf eine seltsame Art auch ganz angenehm sein. Dann kam der Crash, und nun scheint der Protagonist des Songs am Ende durch die Wall Street zu stolpern. So etwas fliegt einem zu, und dann muss man dem folgen. Aber wir würden uns niemals hinsetzen und sagen: "So, jetzt schreiben wir ein Lied zur Finanzkrise." Eigentlich fanden wir am Anfang vor allem diesen Titel gut: "Hello Fever". Dann sucht man den Song dahinter.

Das Berliner Stadtmagazin Zitty erhob euch zu einem von 80 Gründen, Berlin zu mögen; die renommiertesten deutschen Feuilletons haben euch große Artikel gewidmet — und doch seid ihr bislang ein ewiger Geheimtipp. Fuchst euch das?

Nico Tobias: Ein paar Euro mehr auf dem Konto könnten wir gut vertragen. Und wer Pop macht, der will natürlich Popularität. Aber das kann man nun mal nicht steuern. In Amerika verkaufen wir mehr als in Deutschland. Und es tut natürlich gut, wenn man übers Internet regelmäßig Liebeserklärungen von Fans aus Kalifornien, Frankreich, Russland oder Tokio bekommt - auch wenn man nie weiß, ob sie das Album gekauft oder doch illegal heruntergeladen haben. Wenn wir also Geheimtipp sind, dann immerhin ein weltweiter.

Als Patentrezept gilt ja inzwischen: möglichst viele Konzerte zu spielen. Wird es zum neuen Album eine Tour geben?

Nico Tobias: Da tüfteln wir noch. Um "The Big Shapes" richtig toll umzusetzen, müssten wir zu viert oder zu fünft auf die Bühne gehen. Das können wir uns im Moment schlicht nicht leisten. Aber wenn wir noch einen Bassisten und einen Drummer finden, die sich ein paar Wochen lang ausbeuten lassen …

Ansonsten macht ihr offenbar alles zu zweit, auch nach zehn Jahren Bandgeschichte ...

Nico Tobias: Wir sind über die gemeinsame Arbeit enge Freunde geworden. Ein paar Jahre lang haben wir ja sogar zusammen gewohnt - in der Pappelallee in Berlin, die unserem zweiten Album den Titel gab. Wobei das neue Album tatsächlich unser erstes ist, bei dessen Entstehung wir nicht zwischendurch Mordgedanken hatten. Zwei Sänger, zwei Songwriter, zwei Produzenten - da wird natürlich viel gefochten, um Ideen, um Melodien, um Sounds, um jedes Detail. Aber das lief diesmal alles sehr friedlich. Früher hat uns manchmal nur die regelmäßige Erkenntnis zusammengehalten, dass am Ende das Ergebnis immer besser ist als das, was einer von uns allein hinbekäme. Offenbar gehören wir zusammen.

"The Big Shapes" ist das vierte Album des Berliner Pop-Duos.

"The Big Shapes" ist das vierte Album des Berliner Pop-Duos.

Die Cover-Illustration des Berliner Künstlers Frank Höhne - zwei Köpfe, die sich durch eine geknickte Brille in die Augen blicken - scheint diese Verbundenheit darzustellen.

Bernd Lechler: Ja, so hat er‘s wohl gemeint. Es ist unser schönstes Cover bisher - wir sollten unser Label unbedingt noch zu einer Vinyl-Version überreden. Wobei ein Cover auch die Musik beschreiben soll, und da wirkten die Köpfe mit der Brille auf uns ein bisschen zu intellektuell. Deswegen baten wir ihn für die CD innen noch um ein weiteres Bild: ein großes Herz. Man sieht es förmlich pochen.

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Quelle: ntv.de, Mit Naomi sprach Tilman Aretz

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