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Wie der Schriftsteller im Speck Ein Erfolgsautor rechnet ab

Pfui, Joachim?

Pfui, Joachim?

(Foto: picture alliance / dpa)

Der vielleicht größte Lügner seit Baron Münchhausen schreibt ein unfassbar ehrliches Buch über den inzestuösen deutschen Literaturbetrieb. Das kann ja nur gut werden. Auch und vor allem, weil Katzen darin vorkommen. Und die gehen eh immer.

Joachim Lottmann ist unbestritten der größte Märchenonkel der deutschen Literaturszene. Wie geht man einen Text über den neuesten Roman des reinkarnierten Münchhausen also am besten an? Natürlich mit einer Lüge. Und die geht so: Finger weg von "Happy End", diesem albtraumhaft langweiligen Druckerzeugnis, das noch nicht mal zur Scheißhauslektüre taugt - höchstens als 351 Seiten starker Klopapierersatz. Pfui, Joachim!

Von wegen Happy End: Lottmanns neuester Roman ist eine Abrechnung.

Von wegen Happy End: Lottmanns neuester Roman ist eine Abrechnung.

Das ist natürlich ausgemachter Quatsch: "Happy End" ist vieles, aber garantiert niemals langweilig. Und das allein ist schon eine Kunst, denn in Lottmanns neuem Roman geht es im Grunde genommen um nichts, was der Autor auch freimütig zugibt. Der Ich-Erzähler, aufreibend auffällig als Johannes Lohmer getarnt, ist glücklich, seit er seine neue Liebe in Wien und mit Wien gefunden hat. Zu glücklich, um noch ordentlich schreiben zu können, es fehlt schlicht am Leidensdruck. Weil Sissi, die eine betörende Schönheit sein muss, wie Lottmann nicht müde wird zu betonen, ihrem Angebeteten aber so gerne beim Schreiben zuschaut, hackt der ideenlose Schriftsteller weiter sinnfrei in die Tasten.

Das haarsträubend dreiste Ergebnis breitet Lottmann auf 351 Seiten vor dem Leser aus, weil man als Erfolgsautor ohnehin schreiben darf, was man will - der Verlag ist jedenfalls entzückt über Lottmanns Ergüsse. Und so erzählt der Autor ausufernd von einer Italien-Reise auf den Spuren Pier Paolo Pasolinis, zieht genüsslich über seine Schriftstellerkollegen her, baut hier und da eine Katzen-Kolumne ein und bekräftigt ein ums andere Mal die Liebe zu Sissi, obwohl die ja eigentlich eine Salonlinke ist - ein Menschenschlag, den Lottmann genauso wenig mag wie Berliner, Journalisten und, naja, eben so ziemlich jeden außer sich selbst.

Persönlicher Rachefeldzug gegen Sybille Berg

Wie seit jeher bekommen auch in "Happy End" alle ihr Fett weg und wie immer scheut Lottmann weder vor Klarnamen zurück noch davor, die größten Geheimnisse aus den Schmuddelkisten seiner Opfer zu zerren. Das ist meistens unglaublich unterhaltsam wie bei der Milieubeschreibung von Sissis alternden 68er-Freunden, immer aber bitterböse wie bei seinem persönlichen Rachefeldzug gegen Sybille Berg. Natürlich weiß man nie so genau, was jetzt eigentlich stimmt und was nicht - Lottmanns liebstes Stilelement ist und bleibt nun mal die Lüge. Dass überhaupt noch jemand mit diesem Lottmann offen redet, grenzt schon an ein Wunder - den Leser freut's.

Lottmanns eigentliches Ziel, seine generelle Abrechnung mit dem inzestuösen Literaturbetrieb, ist es dann allerdings, die "Happy End" zur Pflichtlektüre macht. Wie stark es in dem Schriftsteller gärt, zeigt ein Beitrag in der "Spex", in dem er sein eigenes Buch bespricht: "Dieses Buch muss es geben. Wenn ich es in der Schublade lasse - es wurde schon vor Jahren geschrieben - wird diese wichtige Realität niemals bekannt werden. Es wird niemand sonst dieses oder ein ähnliches Buch schreiben. Der ganze verlogene Literaturpreiszirkus würde weitergehen wie bisher."

Mal ganz abgesehen davon, dass diese Art von literarischem Nachtreten Lottmanns größte Schwäche ist - ohne die vielen weiteren Rechtfertigungen in anderen Medien würde "Happy End" noch besser funktionieren - hat der Autor recht: Es gibt viel zu viele deutsche Schriftsteller, die genau ein gutes Buch geschrieben haben und danach Preis um Preis abräumen, obwohl nur noch Mittelmaß folgt. Es ist ein geschlossener Kreis, der sich nicht den besten Autoren, sondern den besten Netzwerkern öffnet. Außenseiter bleiben dabei auf der Strecke, wie Joachim Lottmann aus schmerzhafter Erfahrung weiß - damals, bevor er selbst zum Erfolgsautor wurde.

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Quelle: ntv.de

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