Bring die Miezen ans Gerät Flipper, gib dir die Kugel!
31.05.2013, 10:32 Uhr
Feel the Power - nichts geht über Flipper.
(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)
Die Generation Playstation kann man nur bedauern. Und Menschen, die Flipper und Kicker nicht auseinanderhalten können, nur verspotten. Sie wissen gar nicht, dass mit dem Flipper ein Himmelsgeschenk auszusterben droht. Eines voll purem Sex. Ein Hoch auf das Spiel mit der Kugel.
Es ist dieses Gefühl, eins zu sein. Eins zu sein mit der Maschine. Man hat sein Schicksal selbst in der Hand. Bis zu einem gewissen Grad. Denn die Maschine ist kein liebes Kätzchen. Sie ist wie ein Raubtier, das man zähmen muss. Doch hat man sie einmal im Griff, dann kann man mit ihr einen wilden und aufregenden Ritt erleben. Einen Ritt, bei dem man ihr ab und an auch mal die Peitsche geben, sie rütteln muss. So lange, bis sie einen schließlich doch im Hochgefühl des Rauschs gnadenlos abwirft. Kugel raus. Tilt. Ein wutentbrannter Slam Tilt. Am Ende gewinnt die Maschine, das Miststück immer. Aber bis dahin hat man hoffentlich längst seine vielen eigenen kleinen Siege davongetragen. Extraball. Freispiel. Bestenliste. Highscore.
Es ist noch gar nicht allzu lange her, da waren Flipper-Automaten aus Kneipen und Diskotheken eigentlich nicht wegzudenken. Sie waren ja auch ein Himmelsgeschenk. Man hatte sich alleine irgendwohin verirrt und wollte nicht als trauriger Tresen-Tropf dastehen - was tat man? Man spielte Flipper. Die Verabredung verspätete sich mal wieder - was tat man? Man spielte Flipper. Man wollte neue Leute kennenlernen und bei einem gemeinsamen Spielchen ins Gespräch kommen - was tat man? Man spielte Flipper. Man wollte (im wahrsten Sinne des Wortes) die Miezen ans Gerät bringen - was tat man? Man spielte Flipper.
Jedenfalls dachte man das. Welche Frau konnte schon übersehen, dass jemand, der hier am Automat einen Sinn für Balance und Rhythmus, Taktgefühl und im richtigen Moment auch Draufgängertum bewies, diese Qualitäten auch in anderen Situationen vorhalten würde? Unerklärlicherweise haben das tatsächlich ziemlich viele übersehen. Flipper war in erster Linie stets Männersache. Der ja wohl mal eindeutigste Beleg, dass dem weiblichen Geschlecht logisches Denkvermögen abgeht.
Von Playboy bis Addams Family
Flipper ist mehr als nur ein aus Plastik, Platinen, Holz, Metall und unzähligen Drähten zusammengeschustertes Spielgerät. Es ist eine Philosophie. Eine Philosophie mit Geschichte. Vorläufer, bei denen es vor allem um den Ausschuss des Balles ging, gab es schon im 19. Jahrhundert. Ende der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts erfand das US-Unternehmen Gottlieb die Flipperfinger, mit denen man ins Spielgeschehen eingreifen konnte. Und rund 30 Jahre später machte die Elektronik die Automaten zu dem, was dann seinen Siegeszug in den Bierpinten und Clubs der westlichen Hemisphäre antreten sollte.
Erste elektronische Flipper-Ausgaben zierten etwa der "Playboy", die Glamrocker von KISS oder Motorrad-Stunt-Legende Evel Knievel. Auf dem Spielfeld selbst gab es aber kaum mehr als ein paar "Schlagtürme" und plumpe "Targets" - Ziele, für die es beim einfachen Treffen mit der Kugel Punkte gab. Mit dem explodierenden Fortschritt der Technik explodierte auch die Komplexität der Flipper. Nun gab es auch Rampen, Löcher, Drehscheiben, Lichtschranken, Magnete, zusätzliche Computerspielchen im Display und was die neuen Errungenschaften eben sonst noch so an Möglichkeiten hergaben. Und es gab Regeln. Es galt, bestimmte Ziele in einer bestimmten Reihenfolge zu treffen. Oder gewisse Aufgaben zu erledigen, um damit wiederum andere Optionen freizuschalten. Manche Menschen kapieren das nie. Sie glauben immer noch, es ginge nur darum, die Kugel möglichst lange bloß irgendwo dagegen zu donnern. Planlos und ohne Sinn und Verstand. Armselige Amateure.
Was blieb, ist die Widmung der Flipper zu einem Thema. Wie heute Computerspiele wurden die Geräte häufig parallel zu Kinofilmen entwickelt und aufgestellt. Andere Automaten simulierten ein Fußballspiel, einen Freizeitpark oder ein Autorennen. Aus den unzähligen Varianten ragen bis heute eine Handvoll heraus, jedoch weniger auf Grund ihres Themas, sondern vor allem wegen ihres besonders ausgefeilten Spielkonzeptes. Indiana Jones, Terminator, Twilight Zone oder Medieval Madness sind etwa einige der Namen, bei denen tumbe Laien nur an olle Filme oder irgendwelchen Fantasy-Klimbim denken, die aber Flipper-Enthusiasten so richtig das Herz aufgehen lassen. Und wenn Sie mich fragen, welcher Automat bis heute unerreicht ist, dann kann es nur einen geben: The Addams Family. Natürlich.
Dem Tode geweiht
Letztlich aber ist es wie in der Natur: Erst die große Artenvielfalt macht die Welt schön. Schlimm genug, wenn innerhalb einer Gattung die Population dramatisch sinkt. Ein wirkliches Drama aber ist es, wenn eine Art gänzlich stirbt. Genau das passiert mit dem Flipper. Er scheint dem Tode geweiht. Es ist ein schleichender und grausamer Tod. Eingesetzt hat er bereits zur Jahrtausendwende.

Bei neueren Flippern, hier der "Funhouse", wimmelt es vor Rampen und Spielereien.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Mit Gottlieb, Bally und Williams existierten einstmal s drei große US-amerikanische Firmen, die auf dem Flipper-Markt miteinander konkurrierten und sich gegenseitig kannibalisierten. Gottlieb, der eigentliche Erfinder des Geräts, strich als erstes die Segel. Bally wurde schon Ende der 80er Jahre von Williams geschluckt. Und Williams stellte 2000 die Flipper-Produktion auf Grund der gesunkenen Nachfrage komplett ein. Heute gibt es mit Stern Pinball weltweit nur noch ein Unternehmen, das neue Automaten herstellt. Es hat ebenfalls schon eine längere Historie, aber eine mit Brüchen. Im Wettbewerb mit den drei übermächtigen Konkurrenten setzte es die Produktion zwischenzeitlich schon auch mal aus. Nun ist ausgerechnet der einstige David der Branche der letzte Überlebende. Die Goliaths gibt es nicht mehr.
Ironie der Geschichte. Und mit der Sympathie für den Underdog wäre es eigentlich auch eine schöne Geschichte. Eigentlich. Denn eingefleischten Flipper-Fans brauchen Sie mit modernen Stern-Automaten nicht zu kommen. Zu wenig durchdachte Abläufe, zu viel Plastik, zu große Löcher, durch die die Kugel ins Aus befördert wird. Kurzum: Zu viel Augenmerk auf Gewinnmaximierung durch billige Produktion und eine möglichst kurze Spieldauer. Und zu wenig auf den Spaß am Spiel und seine Philosophie.
Preise wie beim Kleinwagen
Es waren die Computer-Games, auf die der erste Spatenstich zum Aushub des Flipper-Grabs zurückgeht. Warum einen klobigen, oftmals mehr als 100 Kilo schweren Kasten mit nur einer Spieloption installieren, wenn es nun doch wesentliche handlichere Automaten gibt, über die dutzende verschiedene Pixel-Spielchen flimmern können? Das mögen sich viele Kneipenwirte gedacht haben. Mal ganz abgesehen von der vergleichsweise großen Störanfälligkeit und dem hohen Wartungsbedarf eines guten alten Analog-Geräts, gegen das manch enttäuschter Spieler auch mal gerne tritt. Wer schon einmal die Spielfläche eines Flippers angehoben und das darunter liegende Gewirr aus Kabeln, Steckern, Spulen und Lötstellen betrachtet hat, kann das darin lauernde Fehlerpotenzial erahnen. Und nichts war schließlich ätzender, als seine sauer verdiente Mark in einen Flipper zu stecken, der dann etwa schlapp die Finger hängen ließ. Bei viel genutzten Geräten musste beinahe wöchentlich der Reparateur anrücken, verriet mir mal ein Kneipier. Auf den Aufwand und den Ärger mit den Gästen, die sich über das nicht richtig funktionierende Gerät erbosten, hatte er irgendwann nicht länger Lust.
Doch umso mehr die Flipper aus dem öffentlichen Raum verschwanden, umso größer wurde der Ansturm auf sie im privaten Bereich. Für die nicht länger hergestellten Klassiker blättert man in Internet-Auktionshäusern inzwischen schon mal locker ein paar Tausender hin. Im Spitzenzustand bewegen sich die beliebtesten Geräte mit ihren mittlerweile gut und gern 20 Jahren auf dem Buckel gar im Preissegment eines Kleinwagens.
Bei vielen, die mit ihm aufgewachsen sind, ist die Faszination für das Spiel mit der Kugel ungebrochen. Dennoch scheint es die digitale Revolution nicht zu überleben. Die Computer-Games allein sind wohl nicht daran schuld. Kicker und Billard - zumindest in den zugehörigen Salons - haben den technischen Wandel weitaus unbeschadeter überstanden. Der Flipper ist zuvorderst ein Opfer ökonomischer Erwägungen.
Konsole? Vergiss es!
Es ist traurig. Die Generation Playstation weiß gar nicht, was sie verpasst. Es ist wie mit Schallplatten und CDs. Analog ist nicht unbedingt besser, aber anders. Deswegen komme ja niemand auf die schwachsinnige Idee, Flipper-Simulationen für PC und Konsole mit dem erhebenden Gefühl, eine handfeste Stahlkugel die Rampe hinaufzujagen, zu vergleichen. Oder auch nur in einem Atemzug zu nennen. Glaubt vielleicht jemand, dass ein Rennspiel in etwa das Gleiche ist, wie sich in einen Formel-1-Wagen zu setzen und über den Nürburgring zu heizen? Nein? Eben.
Und wenn wir schon dabei sind: Menschen, die in ihrer Sprache Flipper und Kicker nicht auseinander halten können (und, oh ja, davon gibt es einige), sollten bitte nach Florida auswandern und dort mit Delfinen baden. Von diesen Flippern verstehen sie vielleicht was.
Das hessische Echzell hat keine 6000 Einwohner. Trotzdem ist es in diesen Tagen eine Weltstadt. Vom 31. Mai bis 2. Juni 2013 findet hier die Flipper-Weltmeisterschaft statt. Austragungsstätte ist "Freddy's Pinball Paradise" mit 170 auf Hochglanz getrimmten Geräten. Wahrlich: Die 64 Teilnehmer sind im Paradies.
Quelle: ntv.de