Sie ist doch erst 17! Hegemanns "Axolotl Roadkill"
25.01.2010, 11:02 UhrHeftig, was die junge Dame da macht. Heftig, wie ihr ganzes Leben bisher. Die Zeit nennt ihr Roman-Debut "einen literarischen Kugelblitz", andere rechnen fest damit, dass sie das nächste "neue Wunderkind" wird: Helene Hegemann hat mit ihrem Debüt als Filmregisseurin ("Torpedo") 2009 beim Festival in Saarbrücken bereits einen der Max-Ophüls-Preise gewonnen. Schon mit 15 schrieb die Berlinerin ein Theaterstück. Jetzt hat sie ihr erstes Buch veröffentlicht. Es heißt "Axolotl Roadkill" und wird sehr gehypt.

Neues deutsches Frolleinwunder?
Die erste Auflage ist schon weg, berichtet der Ullstein Verlag, ohne Zahlen zu nennen. Im Buchhandel wird es eine vergleichbare Leserschaft ansprechen wie die Bücher von Christian Kracht ("Faserland") oder Charlotte Roche ("Feuchtgebiete"). Die Literaturkritik kann das Werk als Parforce-Ritt durch ein Teenagerleben im Berlin der nuller Jahre feiern.
Ein Axolotl ist ein mexikanischer Lurch, der in seinem Leben nicht erwachsen wird und einer Kaulquappe ähnelt. "Roadkill" nennen Amerikaner die überfahrenen Tiere, die auf der Straße liegen. Es ist eine kaputte Welt, die die 16 Jahre alte Erzählerin Mifti beschreibt, voll mit Drogen, Sex und zynischen Menschen. Die Sprache ist originell und scharf, die Beobachtungsgabe hochtalentiert. Maxim Biller jubelte in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": "Ein deutsches Romandebüt mit einer solchen Kraft hat es lange nicht gegeben."
Ich will wild leben!
Es geht um Charaktere, Szenen und Bewusstseinszustände, das Buch ist komplex und nicht immer leicht zugänglich. Mifti hat mit 13 ihre Mutter verloren, der Vater ist ein Loser der Berliner Kulturszene, die Geschwister sind auch nicht viel besser. "Ich bin wild aufgewachsen und ich will wild bleiben", sagt die Erzählerin. Mit Helene Hegemanns eigenem Leben - sie wurde in Freiburg geboren und ist die Tochter des ehemaligen Volksbühnen-Chefdramaturgen Carl Hegemann - sollte man das Buch nicht verwechseln: Ihre Mutter ist zwar gestorben, als sie 13 war, und ihr Vater ist ein Kulturschaffender, aber kein erfolgloser Loser. Sie ist auch deutlich sympathischer als Mifti.
Im Zusammenhang mit dem Film "Torpedo" hast sie gesagt, dass das Drehbuch aus dir "herausgebrochen" sei - das scheint ihr mittlerweile etwas peinlich zu sein: "Ja, schrecklich, oder? Das wird grundsätzlich falsch aufgefasst, weil mir unterstellt wird, es wäre intuitiv aus dem jungen Nebel meines Bewusstseins herausgebrochen oder so. Es ist schon alles technisch durchdacht und nicht einfach zufällig entsprungen. Die Grundlagen erarbeitet man sich schon, das ist nicht so einfach, sagt die junge Autorin.
Auf die Frage, wie das Buch entstanden ist, sagt sie: "Ich habe 30 Seiten geschrieben, weil ich Lust dazu hatte, etwas zu schreiben, was nichts mit dem Drehbuch zu tun hatte. Das hat der Ullstein Verlag gekauft, dann entstand der Roman. Aber dieser erste Teil ist jetzt nicht mehr drin." Und was hat das Ganze mit ihr zu tun? Nichts, erkklärt sie. "Diese Figur hat dieselben Grundvoraussetzungen wie ich, ich verhandele Themen, die mich beschäftigen. Aber ich befreie mich eher von dem Skript meines eigenen Lebens. Man kommt an einen anderen Punkt, wenn man sich selbst außen vorlässt. Die Figur ist natürlich ein 16-jähriges Mädchen, weil ich nicht in der Lage bin, über einen 35-Jährigen zu schreiben. Das Buch hat nichts mit meinem Vater, mir oder konkret mit meinen Freunden zu tun. Dafür sind wir alle auch zu langweilig." Das kann man nun wieder kaum glauben.
Und kennt sie das Milieu, über das sie schreibt? Hegemann: "Es ist ja fast ein Milieu, das es im Moment gar nicht gibt. Das Buch bildet eine Gesellschaft ab, die versucht, sich von allen Konventionen zu befreien. Ich würde nicht sagen, ich werde in einem solchen Umfeld groß. Aber natürlich kenne ich Leute, die Drogen nehmen oder ausbrechen. Ich bin auch ein Mensch, der zwar nicht aus irgendeinem System ausbricht, aber auf den bestimmte Standards der Gesellschaft nicht zu treffen, und der sich etwas Neues ausdenken muss. Um diesen Prozess geht es. Es ist kein Buch, in dem es in erster Linie ums Feiern geht oder um Berliner Clubs."
Die Anti-Heidi
Das Buch zeigt, dass es Teenager gibt, die nicht auf Fernsehsendungen mit Heidi Klum stehen oder den gängigen Vorstellungen von Jugendlichen entsprechen. Hegemann findet: "Teenager sind einfach alles andere als fremdgesteuert. In Romanen und Filmen wird ihnen aber grundsätzlich ihre Entscheidungsfähigkeit und Eigenständigkeit aberkannt - sie sind immer passiv, ihnen geschehen Dinge, auf die sie keinen Einfluss haben und so weiter. Mifti ist das Gegenmodell dazu."
Manchmal reagiert sie aber zum Glück wie ein richtiger Teenager: Auf die Frage: "Wie alt fühlst du dich?", sagt sie: "Die Frage kriege ich in jedem Interview gestellt. Ich fühle mich wie 17. Ich bin 17! Jugend ist auch was Überschätztes, ich verstehe gar nicht, warum das immer so glorifiziert wird." Und was ist mit der Schule? "Ich habe meinen Realschulabschluss gemacht. Mit dem Abitur werde ich aber noch warten, weil ich keine Zeit dazu habe."
Eine Frage noch: Wie fände sie das Buch als Schullektüre? "Das wäre nicht intelligent von Lehrern, es lesen zu lassen. Das wäre falsch angebrachter Punkrock."
Helene Hegemann, "Axolotl Roadkill", Ullstein Verlag, Berlin, 204 Seiten, 14,95 Euro
Quelle: ntv.de, soe/dpa