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Interview mit Ron Leshem "Ich bin kein Superstar!"

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Nach dem er bereits dutzende Interviews zu seinem Buch gegeben hat, ist Ron Leshem immer noch voller Elan beim Erzählen und verliebt in seine Romanfiguren. Nur bei einer Frage lässt der 31-Jährige seine beständig in der Luft umherfuchtelnden Hände verblüfft auf den Tisch sinken. Er sei nie Produzent der israelischen Version der Talentshow "Superstars" gewesen. "Wo steht denn so was?"

n-tv.de: Das Buch "Wenn es ein Paradies gibt", hat eine Menge Interesse und Lob auf sich gezogen. Zwei Literaturpreise und eine Verfilmung, die den Silbernen Bären hier in Berlin gewonnen hat und nicht zuletzt als israelischer Beitrag für den Oscar nominiert war. Haben Sie jemals so ein Echo erwartet?

Ron Leshem: Ich habe nie daran gedacht, dass die Geschichte außerhalb von Israels Grenzen jemanden interessieren würde. Ich habe die Geschichte geschrieben, um die Leute zu überzeugen und zu berühren, nicht um bekannt zu werden, oder aus politischen Gründen. Es ging mir vor allem darum, die verschiedenen Seiten unserer Gesellschaft zu zeigen.

Ausgangspunkt für das Buch war ein Artikel über Verluste einer israelischen Einheit im Gazastreifen, den Sie für die Zeitung "Yedioth Achronot" geschrieben haben. Wie wurde daraus ein Buch über das Leben israelischer Soldaten im Libanon?

Erstmal handelt dieses Buch nicht von Soldaten und nicht vom Krieg. Der Krieg dient nur als Kulisse. Ich wollte eine Geschichte schreiben über das Leben eines 18-Jährigen in Israel und vor allem eine Geschichte des armen und schwachen Teils unserer Gesellschaft.

Der Hauptcharakter des Buches, Eres, wurde inspiriert durch einen Soldaten, den ich in Gaza traf, als ich für "Yedioth Achronot" recherchierte. Dazu muss man wissen, dass ich vorher niemals in den Kampfgebieten war. Ich habe meinen Militärdienst in Tel Aviv geleistet und habe als News-Editor in den Büros gearbeitet - ich hatte praktisch nie eine Uniform an, saß Schococcinos trinkend in den Cafs und habe mich nicht für den Krieg, der um mich herum tobte, interessiert. Seit der 2. Intifada hat unsere junge Generation ihren Glauben an eine friedliche Lösung verloren. Gleichzeitig sind wir abgestumpft gegen die Raketenangriffe und die Leiden der anderen Nationen.

Und dann habe ich nun diesen gut aussehenden, intelligenten dunkelhäutigen Soldaten getroffen, der mir von seiner Zeit im Libanon erzählte. Israel hatte die Stellungen in den Bergen 18 Jahre lang gehalten, und "Beauford" war die größte davon und dieser Soldat gehörte zur letzten Einheit, die oben war ? wie im Buch.

Nachdem ich seine Geschichte gehört hatte, konnte ich nicht mehr aufhören daran zu denken. Er hatte mir seinen Entlassungstag von der Armee genannt und so wartete ich an dem Stützpunkt auf ihn und lud ihn ein, mit mir nach Tel Aviv zu kommen und mir die ganze Geschichte zu erzählen. Ich quartierte ihn in einem Hotel ein und er erzählte mir alles. Ich sprach auch mit seinen Kameraden und schaute mir die Videos an, die sie in dieser Zeit gemacht hatten ? Sequenzen, die gleichzeitig witzige, bizarre und unglaublich traurige Momente hatten.

Das Buch kam im November 2007 heraus. Nur wenige Monate später brach erneut Krieg mit dem Libanon aus, und die Raketen überzogen den Norden des Landes, genau wie es in dem Buch beschrieben wird - wenn "Beaufort" nicht gehalten wird, muss die Bevölkerung im Norden das ausbaden.

Ja, das war erstaunlich, auch wenn ich es nicht vorhergesehen habe. Eigentlich war ich die ganze Zeit sicher, eine sehr optimistische Geschichte geschrieben zu haben. Immerhin geht es auch um die Friedensaktivisten-Gruppe "Vier Mütter" die es geschafft hat, dass die Söhne des Landes aus dem Libanon abgezogen wurden ? etwas derartiges hatte es in der gesamten israelischen Militärgeschichte nicht gegeben. Doch die Reaktionen in Israel auf das Buch waren dann ganz anders.

Inwiefern?

Mir wurde erzählt, dass die erste Sequenz des Buches ? "Jonathan wird nicht mehr" - auf vielen Beerdigungen gelesen wurde. Im letzten Libanon-Krieg 2006 sind etwa 5 Jonathans umgekommen und offenbar haben einige der Freundinnen der Getöteten diese Textstelle am offenen Grab vorgetragen. Da wurde mir klar, dass mein Buch mit einigen der traurigsten Momente im Leben dieser Menschen verknüpft war. Das hatte ich nie beabsichtigt.

Es gab jede Menge Anerkennung aber auch Kritik an dem Buch, das eine verletzliche und schwache Armee zeigt, die nichts mehr mit der gern propagierten "MTV-Truppe mit schicken Sonnenbrillen" von früher zu tun hat. In einigen israelischen Blogs ist die Rede von einer "schlechten PR" für Israel.

Wie gesagt ? ich wollte keine politische Geschichte schreiben, ich habe mich nur in Charaktere verliebt. Ich wollte eine gesellschaftliche Diskussion anregen und die Frage stellen, wen wir eigentlich an die Front schicken. Seit der 2. Intifada ist die Motivation der Israelis sich im Krieg zu engagieren, stark gesunken. Etwa 35 Prozent der Jugendlichen verweigern mittlerweile den Wehrdienst.

Wie ist das bei der allgemeinen Wehrpflicht denn möglich?

Das Militär lässt die Verweigerer gewähren, vor allem wenn sie aus wohlhabenden Familien kommen, mit denen man sich nicht anlegen will. Wer aus diesen Kreisen doch zum Militär geht, leistet seinen Dienst oft in den militärischen Büros in Israel ab, so wie ich zum Beispiel. Ich gehöre zu den im Buch beschriebenen Aschkenasim (Juden mit vornehmlich osteuropäischen Vorfahren, d. Red.), die im Caf sitzen, während sich die Jungs orientalischer Herkunft die Raketen um die Ohren fliegen lassen müssen.

Es sind die schwachen und armen, die wir an die Front schicken. Wenn man sich überlegt, dass selbst die Kinder einiger unserer höchsten Politiker gar nicht zum Militär antreten oder vorzeitig entlassen werden, fragt man sich doch, ob die militärischen Entscheidungen anders ausfallen würden, wenn auch ein Premier seine Söhne und Töchter an die Front schicken würde. Das Buch zeigt eine Armee, die schwach und verletzlich ist und damit will ich vor allem zeigen, was wir uns selber antun.

In der Presse war zu lesen, dass Ihr Verlag Sie gedrängt hat, ein optimistischeres Ende zu schreiben. Was passierte in der ersten Fassung und wie leben Sie mit der neuen?


Um genau zu sein, musste ich das Buch nicht ändern, sondern ein Kapitel hinzufügen. In der ersten Version endete es, als der Hauptfigur nach dem Einsatz im Libanon im Gaza-Streifen stationiert ist. Doch meine Lektorin meinte, ich könne die Leser nicht mit diesem Ende alleine lassen und schlug vor ein weiteres Kapitel hinzuzufügen, das jetzt "Ich werde" heißt. Ich habe mich zuerst so über den Vorschlag geärgert, dass ich nach Hause gegangen bin und das letzte Kapitel wütend an einem Tag herunter geschrieben habe. Aber jetzt liebe ich gerade dieses Ende.

Wo wir gerade beim Pressespiegeln sind: Verschiedentlich war zu lesen, dass Sie nach Journalistentätigkeiten für "Ma?ariv" und "Yedioth Achronoth" heute als Produzent für die israelische Version der "Superstar"-Show arbeiten. Stimmt das?

Superstar? Ich? Wo stand denn das? Nein, nein, nein, ich bin weder Produzent noch Juror noch sonst was bei den Superstar-Shows. Ich bin Vizepräsident bei dem israelischen Fernsehsender Channel Two, der Keshet Broadcasting Ltd. der diese Sendung ausstrahlt ? da hat wohl jemand was verwechselt und alle anderen haben es abgeschrieben.

Noch eine Frage: In wenigen Tagen feiert Israel seinen 60 Geburtstag. Was wäre Ihr spezieller Geburtstagswunsch?

Das Schrecklichste was Israel passieren könnte, wäre, dass wir die Hoffnung verlieren. Ich glaube nicht an eine magische Zauberformel für unsere Probleme - jedenfalls meistens nicht. Aber ich hoffe, dass wir eines Tages eine Lösung finden.

Mit Ron Leshem sprach Samira Lazarovic.

Quelle: ntv.de

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