Unterhaltung

Magdeburger "Polizeiruf" mit Fremdschäm-Garantie Lady Wodka im braunen Sumpf

Können sich nicht riechen: Brasch und Drexler

Können sich nicht riechen: Brasch und Drexler

(Foto: MDR/Julia Terjung)

Möchtegern-Schimanski trifft Paragrafen-Drexler: Die Premiere des Magdeburger Polizeirufs will in "Der verlorene Sohn" mit zwei grundverschiedenen Kommissaren punkten - und scheitert spektakulär. Schuld sind hoffnungslos überzeichnete Charaktere und ein vorhersehbarer Plot.

Claudia Michelsen als Kommissarin Brasch kann ordentlich zupacken - und unter Druck Aussagen erpressen.

Claudia Michelsen als Kommissarin Brasch kann ordentlich zupacken - und unter Druck Aussagen erpressen.

(Foto: MDR/Julia Terjung)

Kommissarin Brasch ist geil, das gestandene Mannsbild an der Bar hat es ihr angetan. Dumm nur, dass der Typ schon eine attraktive Begleitung an seiner Seite hat. Aber die Kommissarin hat natürlich einen genialen Plan: Mit dem Feingefühl einer Dampfwalze sprengt Brasch die Unterhaltung, ordert Wodka in Wassergläsern und eskortiert ein paar Runden später ihre volltrunkene Gegenspielerin zum Kotzen aufs Klo. Jetzt nur noch schnell die Kabine mit Sekundenkleber versiegeln (gehört ja bekanntermaßen zum Standardrepertoire in jeder Damenhandtasche), schon ist der Weg frei für eine wilde Nacht mit dem Fremden. Doch, oh weh, kurz darauf stört ein Anruf ihren Balztanz: Mord! Brasch verdaut die schlechte Nachricht mit einem kurzen "Scheiße", schnappt sich ihr Motorrad und rast zum Tatort. Straßen braucht die Möchtegern-Bikerbraut natürlich nicht, sie nimmt lieber gleich die Abkürzung durch eine Grünanlage – inklusive stuntreifer Treppenabfahrt.

Nicht einmal zehn Minuten braucht der neue "Polizeiruf 110", um sämtliche Machoklischees der vergangenen Jahrzehnte auf den Bildschirm zu bannen – nur, dass der beinharte Ermittler mit den dicken Eiern diesmal eben eine Frau ist. Wer sich jetzt auf einen gelungenen Schimanski-Wiedergänger mit langen Haaren gefreut hat, wird allerdings bitterlich enttäuscht: Claudia Michelsen (im Juni noch umwerfend in "Der Turm") wirkt in ihrer Rolle als ultraharte Krawallpolizistin in etwa so glaubwürdig wie Heino auf einem Metal-Festival.

Brasch schwitzt aus jeder Pore Testosteron

Russenmafia, Karate, Blondinen, Neonazis, Drogen - alles da.

Russenmafia, Karate, Blondinen, Neonazis, Drogen - alles da.

(Foto: MDR/Julia Terjung)

Ein Glück, dass Brasch den Mord an einem Afrikaner nicht alleine aufklären muss, doch dazu später mehr. Im Vorspann jagt eine Bande Maskierter den A sylbewerber durch die Nacht, um ihn auf einem alten Fabrikgelände mutmaßlich zu ermorden. Mutmaßlich deshalb, weil Brasch den Toten später nicht in einer schmutzigen Pfütze findet, sondern umgezogen und mit Benzin gereinigt auf dem Boden eines Fitnessstudios. Das gehört einem windigen russischen Geschäftsmann – zusammen mit den Anabolika in der Tasche des Opfers deutet die allzu offensichtliche Spur einen Einbruch im Drogenmilieu an.

Auch wenn es dem Druck der Öffentlichkeit geschuldet ist - ganz so bereitwillig wie die dauergeladene Brasch legt sich ihr Chef nicht fest. Um "einen ausländerfeindlichen Hintergrund" auszuschließen, will Kriminalrat Lemp (wenn einer schön schmierig sein kann, dann Felix Vörtler) in alle Richtungen ermitteln – und stellt der Kommissarin einen neuen Partner zur Seite.

So wie sich das für ein anständiges Fernseh-Ermittlerteam gehört, ist Kommissar Drexler der komplette Gegenentwurf zu seiner Kollegin. Brasch schwitzt aus jeder Pore Testosteron, verprügelt und erpresst Zeugen und Verdächtige bei jeder sich bietenden Gelegenheit und will dabei auf unglaublich lächerliche Art und Weise klarmachen, wie Punkrock sie eigentlich ist. Drexler auf der anderen Seite liebt die leisen Töne: Einfühlsam tröstet er die Tochter des Opfers in fließendem Französisch und entlockt der Kleinen ganz nebenbei wichtige Informationen. Weil sich der graugesichtige Ermittler penibel an die Regeln hält, ist er auf dem Revier nur als Paragraphen-Drexler bekannt.

Der braune Untergrundsumpf bedient sich im Theaterfundus

Sylvester Groth (großartig als Joseph Goebbels in Tarantinos "Inglourious Basterds") spielt seine Figur, die irgendwo zwischen "Monk" und Schimanski-Sidekick Thanner angelegt ist, herausragend – und rettet den "Polizeiruf" damit vor dem Abdriften in die komplette Fremdscham. Es ist fast schon paradox: Drexler, so blutleer und introvertiert er auch sein mag, schafft, was die ständig überdrehte und cholerische Brasch in keiner Sekunde fertigbringt – er verleiht der Sendung eine Seele.

Hätte Regisseur Friedemann Fromm (Weissensee) den Fokus auf Drexler gelegt oder zumindest beide Kommissare paritätisch ermitteln lassen, vielleicht wäre aus der Magdeburger "Polizeiruf"-Premiere ja doch noch mehr geworden. Hat er aber nicht, stattdessen "darf" sich der Zuschauer fast 90 Minuten lang an der randalierenden Brasch ergötzen. Was natürlich auch mit dem Titel des Krimis zu tun hat, der erst nach einer guten halben Stunde Sinn macht.

Dann wird nämlich klar, woher der Wind eigentlich bläst: Die Ermittlungen führen in den braunen Magdeburger Untergrundsumpf. Der kommt zweischneidig daher: Die Aufmachung der Neonazis inklusive der Wanddekoration ihres Abbruchhauses scheint zwar aus dem Kostümfundus eines Schultheaters zu stammen, bei der Beschreibung des rechten Milieus trifft Fromm dafür ins Schwarze. Ein höflicher Politikstudent, der auf einem der obligatorischen Hüpfburgen-Feste subtil sein verbales Gift verspritzt, wirkt eigentlich ganz sympathisch. Und wenn die blonde Karate-Trainerin vor ihren jugendlichen Schützlingen davon schwärmt, sie wolle die Menschen anstelle des Systems verändern, will man zunächst "Ja, genau!" rufen – bis einem kurz darauf ein kalter Schauer über den Rücken läuft. In seinen starken Momenten hält der neue "Polizeiruf" dem latenten Alltagsrassismus einen Spiegel vor und stimmt nachdenklich.

"Der verlorene Sohn" nimmt sich furchtbar ernst

Auch das darf in diesem "Polizeiruf" nicht fehlen: Stress in der Familie.

Auch das darf in diesem "Polizeiruf" nicht fehlen: Stress in der Familie.

(Foto: MDR/Julia Terjung)

Allerdings nur kurz, denn fast jede Szene des Streifens wird über kurz oder lang hollywoodesker B-Movie-Dramatik geopfert. Simple Ermittlungsarbeit? Ist doch was für Anfänger. Nein, einer der Hauptverdächtigen entpuppt sich - und jetzt bitte einen Tusch – als Braschs Balg. "Der verlorene Sohn" ist mangels familiärer Zuneigung in die rechte Szene abgerutscht und nicht besonders gut auf seine Rabenmutter zu sprechen. Schon bei der großen Enthüllung möchte man verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen – und angesichts der hölzernen Dialoge und einer ach so kathartischen Mutter-Sohn-Schlägerei nur noch verschämt im Boden versinken.

In selbigem könnte man auch gleich bleiben, wollte man all die anderen Absurditäten des Films aufführen. Deswegen an dieser Stelle nur ein kurzes Best of, in dem zwangsläufig immer auch ein Name auftaucht: Brasch. Denn die Kommissarin sorgt nicht nur mit einem "Wer-hat-den-festeren-Händedruck"-Match mit Drexler (der das gar nicht wollte) für unfreiwillige Lacher, später stellt sich auch noch heraus, dass sie in ihrer dunklen Vergangenheit – was für ein Zufall – mit dem am Ende unschuldigen Russen-Gangster liiert war.

Das Tragische dabei ist, dass sich "Der verlorene Sohn" über die kompletten 90 Minuten so furchtbar ernst nimmt - und sich damit zwischen alle Stühle setzt. Für einen Klamauk-"Tatort" à la Saarland fehlt das Augenzwinkern, alle anderen Formen der Krimiunterhaltung verlangen nach Charakteren, die nicht so dermaßen comichaft überzeichnet daherkommen wie Biker-Brasch es tut. Weniger ist eben oft mehr.

Immerhin, noch ist nicht alle Hoffnung verloren: In der nächsten Folge soll schließlich Kommissar Drexler seinen großen Auftritt haben.

Quelle: ntv.de

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