Unterhaltung

Ein Hoch auf Baku Lost in Malmö

Völlig losgelöst von der Erde? So fühlen sich nicht nur "Who See feat. Nina Zizic" aus Montenegro, sondern mitunter auch Journalisten vor Ort

Völlig losgelöst von der Erde? So fühlen sich nicht nur "Who See feat. Nina Zizic" aus Montenegro, sondern mitunter auch Journalisten vor Ort

(Foto: AP)

Ein Jahr ist seit den umstrittenen Eurovision-Song-Contest-Festspielen in Aserbaidschan vergangen. Mit Schweden kehrt der ESC nun vom Kaspischen Meer in DAS Grand-Prix-Land überhaupt zurück. Und, was soll man sagen? Man wünscht sich geradezu nach Baku zurück. Nicht nur wegen der Äs und Ös.

Schon allein das Wetter. Bei der Ankunft in Malmö nieselt es fies, ein kalter Wind weht einem um die Ohren und auch die gefühlte Temperatur fordert dazu auf, den Reißverschluss der Jacke noch ein Stück höher zu ziehen. Schon wieder! Hatten wir das nicht endlich hinter uns?!

In dieser Arena treten am Samstag die Musiker im Kampf um die Gunst des Publikums gegeneinander an.

In dieser Arena treten am Samstag die Musiker im Kampf um die Gunst des Publikums gegeneinander an.

(Foto: dpa)

Aber natürlich wäre es schäbig, das klimatisch gebeutelte Schweden mit Aserbaidschan im wenigstens von den Umweltfaktoren verwöhnten Vorderasien zu vergleichen. Nein, nach der totalitären Regime-Parade im vergangenen Jahr in Baku darf das in den ersten Eindruck vom diesjährigen Gastgeber des Eurovision Song Contests nicht mit einfließen. Auch wenn es gerade in Malmö wirklich sauungemütlich ist. Ehrlich, jetzt mal.

Konzentrieren wir uns also auf das Wesentliche. Ach, wie war das herrlich, als wir in Baku so liebevoll umsorgt wurden. Kaum einen Meter konnte man gehen, ohne dabei auf Schritt und Tritt von freundlichen Vorzeigekindern der aserbaidschanischen Jugend den rechten Weg gewiesen zu bekommen. Das fing schon auf dem Flughafen an. Bereits im Terminal, das im Lichte der allgegenwärtigen ESC-Werbebanner erstrahlte, nahm man uns in Empfang. Wie selbstverständlich griff man uns bei den Einreisemodalitäten mit den netten Herren in Uniform unter die Arme. Damit wir uns ja nicht verlaufen und womöglich eine falsche Ecke von Baku zu Gesicht bekommen, eskortierte man uns gar bis zum kostenlosen Bus zu unserem Hotel. Und winkte uns freudestrahlend hinterher.

Federboas und Disco-Strahler

Und nun das. Die Szenerie, die einen - nach der durchaus schicken Fahrt mit dem Zug vom dänischen Flughafen Kopenhagen über die Meeresbrücke nach Schweden - in der "Centralstation" von Malmö erwartet, spottet jeder Beschreibung. Das heißt, hoppla: Erst einmal stechen einem neonfarbene Federboas, die auf Stellwände drapiert wurden, und eine Menschentraube an einem zugehörigen Info-Stand ins Auge. Nun gut, vieleicht nicht gerade geschmackssicher, aber wenigstens wird man begrüßt, freut sich der orientierungslose ESC-Besucher. Doch Pustekuchen! "Arbetsförmedlingen" prangt auf dem Info-Stand. Und selbst, wer kein Wort Schwedisch kann, schnallt rasch: Hier können sich gescheiterte Sänger vielleicht Tipps zur beruflichen Umorientierung holen, aber niemand Informationen darüber, wie man zum Song Contest gelangt.

Die ESC-Euphorie im ABBA-Land wirkt - milde ausgedrückt - auf den ersten Blick lasch. Hier dreht sich im Hauptbahnhof eine überdimensionale Discokugel, dort hängt ein großer Schmetterling aus Zellophan, Symbol des diesjährigen Song Contests - das muss man schon wissen. Auf elektronischen Reklametafeln von überschaubarer Größe ist eine Werbung für das musikalische Großereignis im Wechsel mit einer Anzeige für Smartphones zu sehen. Im Wechsel! Als sei der altehrwürdige Grand Prix ungefähr gleichbedeutend mit einem neuen Handy-Vertrag. Alter Schwede, aber auch.

Malmö stellt sich auf den ESC ein, zum Beispiel mit Schmetterlingen auf der Statue von Karl X. Gustav. Nun ja ...

Malmö stellt sich auf den ESC ein, zum Beispiel mit Schmetterlingen auf der Statue von Karl X. Gustav. Nun ja ...

(Foto: dpa)

Doch siehe da! Auf dem Boden weisen aufgeklebte Pfeile in Richtung "Euro Village" und "Euro Club", die traditionell am Rande des Gesangswettbewerbs für ESC-hungrige Besucher eingerichteten Feierstuben. In entgegengesetzer Richtung. Doch egal, welchem Pfeil man auch folgt, man landet vor dem Bahnhof im Nichts. Wohin es von hier aus nun weitergeht, muss man - na, klar - selbst herausfinden. Aber, hoppla schon wieder: An den Eingängen zu der Station sind provisorisch ein paar Disco-Strahler angebracht. Sie leuchten ungefähr ähnlich neonfarben wie die Federboas. Dazu erfüllt lautstark Musik die beinahe menschenleeren Plätze (bei dem Wetter kein Wunder) vor dem Bahnhof. Ja, ja, arbeitslos und Spaß dabei, so sind sie die Schweden, möchte man denken. Doch weit gefehlt. Das Lied, das da aus den Boxen quillt, kennen wir doch! Richtig, es ist der Party-Kracher der russischen Omas vom ESC im letzten Jahr. So liegt die Schlussfolgerung nahe: Die paar Funzeln, die hier rhytmisch aufblinken, sind zwar eine Lichtershow für Arme, aber nicht für Arbeitslose. Sie gehören nicht zum Info-Stand der Arbeitsämter, sondern sind tatsächlich dem Song Contest gewidmet.

Ä, Ö, I

Beim Gedanken, die Busverbindungen zum Hotel selbständig checken zu müssen, läuft einem ein kalter Schauder über den Rücken - dafür gibt es in den Straßennamen hier eindeutig zu viele Äs und Ös. Doch beim Umrunden des Bahnhofs in der Hoffnung, ein Taxi zu ergattern, tut sich im trüben Nass auf einmal eine Rettungsboje in Form eines großen Is auf. Das checkt auch der deutsche Dummie - selten zuvor war man für eine Touristeninformation ähnlich dankbar wie in diesem Moment. Und das richtig Schöne ist: Sie hat sogar geöffnet.

Cascada-Sängerin Natalie Horler hat noch Zeit bis zu ihrem Auftritt und übt sich an Pfeil und Bogen. Per (mit Bart) gibt Hilfestellung.

Cascada-Sängerin Natalie Horler hat noch Zeit bis zu ihrem Auftritt und übt sich an Pfeil und Bogen. Per (mit Bart) gibt Hilfestellung.

(Foto: dpa)

Fantastisch! In der Touristeninfo bekommt man ein Lächeln, einen Stadtplan, eine Wegbeschreibung vom Hotel zur ESC-Halle und die Information, dass man den Bus vom Bahnhof zum Hotel - man hat hier offenbar ein Gespür für die Ä-und-Ö-Problematik - am besten gleich vergessen und stattdessen nun wirklich ein Taxi nehmen sollte. Aber nicht irgendeins, denn man habe bei bestimmten Anbietern in jüngster Zeit negative Erfahrungen mit Abzocke gesammelt. Wie bitte? Dergleichen hätten wir dann doch eher in Vorderasien erwartet. Aber in Schweden?

Egal. Blöd nur, dass der erste Fahrer eines uns als seriös genannten Unternehmens keine Lust hat, uns zum Hotel zu bringen. Er sei beschäftigt, erklärt er, und verweist auf einen Kollegen ein Stück die Straße runter. Super, der nimmt uns mit, schimpft aber die halbe Fahrt lang über den Widerborst, der uns zu ihm geschickt hat. Jaaa, wenn es um eine Fahrt zum Flughafen gegangen wäre, dann hätte der sicher nicht Nein gesagt. Aber die Fuhre zum Hotel bleibe nun an ihm hängen. Da fühlt man sich doch gleich mal herzlich willkommen.

Countdown mit Lockenwicklern

Schließlich entwickelt sich auch noch der Weg vom Hotel zur Halle, in der der Song Contest ausgetragen wird, zur Tortur. Zumindest zu Fuß ist der Veranstaltungsort, in einem Neubaugebiet inklusive einer imposanten Schar an Baukränen nahe der Autobahn gelegen, nur mit Umwegen und Mut zum Querfeldeinlauf zu erreichen. Volksfeststimmung? Fehlanzeige! Und dass die nette Dame in der Touristeninformation die nicht ganz unwesentliche Auskunft, dass der Fußweg zur Halle irgendwann an einer Schnellstraße endet, vergessen hat, schmälert dann doch ein wenig die Freude über ihr Lächeln.

Fazit: Ausgerechnet im Grand-Prix-Land aller Grand-Prix-Länder scheint man beim diesjährigen Eurovision Song Contest ein wenig kleinere Brötchen zu backen. Einerseits korrespondiert dies mit dem ureigenen Gefühl - nach der Lena-Euphorie, dem Aufreger-ESC in Baku und der Cascada-Ernüchterung in diesem Jahr ist die Luft ein ganzes Stück weit raus. Andererseits verursacht die scheinbare Gleichgültigkeit der Schweden Kopfschütteln. Klar, die zwischen liebenswerter Begeisterung auf der einen und kühl gelenkter Propaganda auf der anderen Seite schwankende Euphorie in Aserbaidschan im vergangenen Jahr kann, muss und darf man hier nicht nachvollziehen. Aber man hätte sich etwa durchaus ein Beispiel an Deutschland und dem Contest vor zwei Jahren in Düsseldorf nehmen können. Nein, es war und ist nicht alles schlecht hierzulande. Der ESC 2011 war dafür ein Beleg.

Dafür liegt nun auch schon das erste Halbfinale des diesjährigen Song Contests hinter uns. Wer sich charmanterweise für das pure musikalische Ereignis interessiert, fernab jedweder anderen Einschätzung, der hat es sicher bereits mitbekommen. Da bleiben eigentlich nur noch zwei Dinge zu enthüllen. Erstens: Sie hätten mal die letzten Proben vor der Show sehen sollen! Da lief Moderatorin Petra Mede noch mit Lockenwicklern im Haar über die Bühne. Und zweitens: Unter den Ländern, die sich für das Finale qualifiziert haben - Belgien, Dänemark, Estland, Irland, Litauen, Moldau, Niederlande, Russland, Ukraine und Weißrussland - befinden sich auch zwei, die der Stimmung in Malmö zufolge zu den ganz großen Favoriten des diesjährigen Song Contests gehören dürften. Welche das sind? Das verraten wir demnächst an anderer Stelle.

Quelle: ntv.de

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