Verrücktes Blut Mehmet Kurtulus, der neue Bösewicht
17.06.2015, 14:47 Uhr
Die Jagd ist eröffnet!
T-Shirt mit V-Ausschnitt, das Brusthaar lässig, die Lederjacke sitzt, die Augen blitzen schwarz und intelligent. Wir haben ihn lange nicht mehr gesehen, Mehmet Kurtulus hatte sich ein bisschen zurückgezogen nach seinem "Tatort"-Ausstieg und der Ankündigung, sich auf die internationale Karriere konzentrieren zu wollen. Nun, das scheint geklappt zu haben. Denn den Schwiegersohn im Vorabendprogramm zu geben wäre auch nicht so erfüllend; da zog der 43-Jährige - gesagt, getan - nach Los Angeles. Nach zwei Jahren, in denen wir "Cenk Batu" schon vermisst haben, freuen wir uns nun um so mehr, dass er wieder da ist - und das gleich auf der ganz großen Leinwand. In "Big Game" spielt er einen Terroristen: Während sich Oskari, ein kleiner finnischer Junge, in den heimischen Wäldern einer nächtlichen Mutprobe stellen muss, wird direkt über ihm die Air Force One Ziel eines Terroranschlags. An Bord: der Präsident der Vereinigten Staaten (Samuel L. Jackson). In letzter Minute gelingt ihm jedoch die Flucht in einer Rettungskapsel. Oskari findet den angeschlagenen Präsidenten, zeigt sich aber wenig beeindruckt. Dem mächtigsten Mann der Welt bleibt keine Wahl, er muss sich dem Jungen, seiner einzigen Chance, zu überleben, anvertrauen. Die Attentäter, darunter Kurtulus als gebildeter, eloquenter Anführer aus gutem arabischen Hause, sind ihnen jedoch auf den Fersen.
n-tv.de: Jetzt also der Bösewicht - ein gutes Gefühl?
Mehmet Kurtulus: Ach, ich habe Samuel L. Jackson gerade auf dem Flur getroffen, er sah gut aus, wir haben das beide überlebt. Und den Bösewicht kann ich auch sofort wieder relativieren, denn ich komme direkt von den Dreharbeiten einer deutsch-französisch-türkischen Co-Produktion zu einer Beziehungkomödie. Mann, Frau, Beziehung, Streit, Versöhnung, Sie wissen schon. Also das volle Kontrastprogramm zu dem, was Sie in "Big Game" sehen.
Stimmt, vor allem, da keine einzige Frau mitspielt.
Doch, Felicity Huffman. Aber Sie haben recht, es ist eher ein männerlastiger Film. Und es ist die Geschichte eines 13-jährigen Jungen, der zum Mann werden soll. Und dann spielt das alles auch noch in nur einer Nacht - da hatten wir nicht so viel Potenzial.
Den Bösen zu geben macht aber am meisten Spaß, oder?
Wenn der Spaß, den wir beim Drehen hatten, bei Ihnen angekommen ist, dann haben wir jedenfalls alles richtig gemacht. (lächelt)
Und dann noch diese irre Komponente, die Sie der Rolle verleihen.
Ja, dann fängt der Spaß erst richtig an. Einen Idioten zu spielen ist die eine Sache, aber der Figur Farbe zu verleihen ist was anderes. Aber ehrlich gesagt finde ich es fast noch schwieriger, einen durchschnittlichen Schwiegersohn zu spielen.
Was ist schon ein durchschnittlicher Schwiegersohn ...
Er darf auf jeden Fall nicht ins Langweilige kippen. Klassenziel verfehlt. Der Bösewicht hat mehr Facetten. Apropos Bösewicht, DER Bösewicht, auf den alle warten, ist doch Christoph Waltz im nächsten Bond, oder? Das ist schlechthin DIE Bösewicht-Rolle, mehr geht nicht. Ich freu' mich jedenfalls schon wahnsinnig auf "Spectre". Aber um auf meine Rolle zurückzukommen: Ich bin sehr dankbar, dass ich nicht den typischen, bellenden Araber spielen musste. Meiner sollte Manieren haben, eine "attitude", wie man so schön sagt, und ich musste mir keine Gedanken darüber machen, wie ich den spielen soll, ich bin da einfach so rangegangen. Wenn man unbedingt lustig sein will, ist man es meist nicht, genauso ist es bei böse.
Keine Vorgaben?
Doch, ich musste an meinem britischen Akzent arbeiten, der sollte einen wohlerzogenen Hintergrund haben. Womöglich hat mein "Hazar" in Eaton studiert, er hat so einiges Überraschendes auf dem Kasten.
So ein verzogener, absurd reicher Junge ...
Ja, aber das liebe ich sehr. Der ganze Film ist schließlich absurd. Aber auch so ehrlich dabei (lacht). Die Idee, den Präsidenten ausstopfen zu wollen und deswegen möglichst frisch mitzunehmen, ist doch wirklich grausam-absurd. Aber zwischendurch immer wieder zu lächeln und im Gegenüber andere Hoffnungen zu erwecken ist noch unendlich viel grausamer.
Haben denn nur "wir Deutschen" dieses Bild vom "bösen Araber", das es in einer internationalen Produktion gar nicht so gibt?
Ich würde da gar nicht so in die Realität gehen wollen, sondern beim Film bleiben. Denn für die Realität brauchen wir nur den Fernseher anzumachen. Aber im Film haben diese Rollen noch nicht so den großen Platz. Ich komme nochmal auf Christoph Waltz zu sprechen. Der hat nicht einfach nur einen Nazi gespielt, der hat einen Menschen gespielt. Den Menschen Hans Landa in Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds". Damit verleiht man auch einem Terroristen Fleisch und Blut, was es noch unangenehmer macht. So ging es mir mit Hazar auch. Ich muss nicht extra böse gucken, um auszudrücken, dass der Typ ganz böse ist. Nicht böser als ich sonst gucke. (lacht) ...
Wurden Sie damals, nach 9/11, eigentlich manchmal komisch angesehen im Flugzeug? Man hatte den Eindruck, dass niemand niemandem mehr traute, oder?
Ja, 9/11 hat unser Leben sehr beeinflusst, auch filmisch, aber vor allem im echten Leben. Diese Themen werden natürlich aufgearbeitet, in "Syriana" oder "Black Hawk Down" beispielsweise. Da stehen Religion und Kulturkreis plötzlich komplett in einem falschen Licht da, das muss natürlich verarbeitet werden. Aber wenn der Bösewicht im diesem Film vielleicht ein verrückter Professor gewesen wäre, dann säße ich jetzt wahrscheinlich nicht hier (lacht).
Der Junge Oskari soll eine Mutprobe bestehen, die sein Vater ihm theoretisch nicht zutraut und daher indirekt hilft. Das ist eine sehr schöne Geschichte - aber wird man denn als Junge tatsächlich schon mit 13 zum Mann?
Naja, unsere Aufgabe ist es, die Kinder, egal ob Junge oder Mädchen, an die Hand zu nehmen und sie gesund aufwachsen zu lassen. Da gibt es natürlich verschiedene Arten und Interessen, keine Frage. Im Englischen sind das die "Teenager", im Deutschen sind es die "Jugendlichen" und im Türkischen haben wir diesen wunderbaren Begriff "Delikanli". Der beschreibt quasi das Gleiche ...
... und heißt?
"Verrücktes Blut". Das heißt, ein 13-Jähriger hat doch so viel mit sich selbst zu tun, dass er schon mal vergessen kann, wie er heißt. Das beschreibt diesen Zustand der Kinder doch zutreffend, finde ich. Und als Erwachsener muss man denen dann ab einem bestimmten Punkt entgegenkommen, ein Freund sein.
Wann wurde aus Ihnen denn ein Mann?
Das sind zum Beispiel Schicksalsschläge, da reift man. Wenn man Glück hat, kommt man gestärkt aus einer Krise heraus. Wenn man noch mehr Glück hat, dann kennt man sich ein Stück besser. Für mich war der Tod meiner Mutter so ein Schicksalsschlag, da war ich elf Jahre alt.
Ist das Fernsehen - nach dem Dreh einer so großen Produktion wie "Big Game" - denn überhaupt noch ein Thema für Sie?
Natürlich! Auch wenn der klassische Fernsehabend anders aussieht. Niemand guckt mehr in eine Programmzeitschrift. Wir wollen dann unseren Film, unsere Serie sehen, wann wir es wollen, "on demand" und nicht, wann ein Sender es uns vorschreibt. Da kommen dann Internet, Netflix und Co. dazu, die uns, wie anfänglich nur HBO, mit fantastischen Serienformaten bedienen. Das ist der Trend und das Kino wird eher ein Prestigeobjekt werden. Die Medien verändern sich, es gibt bereits Internetserien auch in Deutschland, auch für spezielle Zielgruppen, da ist viel in Bewegung.
Was macht man eigentlich, wenn man als Schauspieler zu spät merkt, dass man sich im falschen Film befindet? Dass man diese Rolle doch nicht hätte annehmen sollen?
Billy Wilder hat es auf den Punkt gebracht. Es braucht drei Dinge für einen guten Film: ein gutes Drehbuch. Ein gutes Drehbuch. Und ein gutes Drehbuch. Damit geht's los. Das heißt, ich muss mir das vorher wirklich gut durchlesen. Ich bin ein Kino-Arbeiter, das hat wenig mit einem Zauber oder so zu tun, sondern damit, handwerklich gute Geschichten zu erzählen. In Deutschland haben wir zwar weniger Geld als beispielsweise die Amerikaner, aber wir haben eines: mehr Zeit! Diese Tatsache sollten wir besser nutzen.
Und wie war es mit Samuel L. Jackson?
Sehr, sehr lässig. Das ist, glaube ich, das Geheimnis der meisten amerikanischen Schauspieler, dass die so unglaublich lässig sind. Das habe ich versucht, mir abzugucken. Und Sam ist auch in Wirklichkeit so witzig. Der ist sehr zugänglich, wir hatten ein paar schöne Abende miteinander. Was ich aber auch wieder gemerkt habe: Schauspielen ist irgendwie Privatsache. Schauspieler sind oft sehr schüchtern.
So wie Sie?
Ja. Genau. (zögert) Ich wirke gerade vielleicht nicht so, aber im Grunde schon.
Es geht viel um Ängste in dem Film: Angst vor der Nacht, vor dem Alleinsein, vor dem Versagen, vor dem Tod. Wovor haben Sie am meisten Angst?
Huh, Angst ist ehrlich gesagt, äh, (zögert) ... also ich weiß nicht, was kommen wird. Aber davor habe ich keine Angst, deswegen fällt mir die Antwort jetzt auch so schwer. Ich habe ein gewisses Urvertrauen in das Leben und versuche, ein guter Mensch zu sein, um mit meiner Umgebung klarzukommen. Neulich habe ich erst darüber nachgedacht: "Big Game" ist sicher die Spitze des Eisbergs dessen, was ich bisher gemacht habe. Aber qualitativ oder schauspielerisch gab es auch andere tolle Sachen. "Nackt" von Doris Dörrie zum Beispiel war so eine Lieblingsrolle.
Und Ihr Lieblingsmoment beim Drehen?
Immer die Zeit mit Sam Jackson. Wir wollten immer eine schöne Szene hinkriegen. Wortwörtlich cool war es auf der Zugspitze: Dünne Luft, viel Action, eine ganze Stadt wurde da hochgeschleppt, Wahnsinn. Aber die Zusammenarbeit mit dem ganzen Team, 150 Leute, war großartig, das ist ein ganz besonderer Zusammenhalt, bis so ein Film dann endgültig im Kasten ist. Vorher kann keiner nach Hause (lacht).
Und die nächste Rolle, doch mal wieder ein typisch deutscher Schwiegersohn?
Den krieg' ich dann auch hin, klar. Aber lassen Sie sich überraschen.
Mit Mehmet Kurtulus sprach Sabine Oelmann
"Big Game" startet am 18. Juni in den deutschen Kinos
Quelle: ntv.de