James Levine wird 65 Musikalische Kraftmaschine
25.06.2008, 13:11 UhrAls Kind benutzte er die Stricknadeln seiner Großmutter als Taktstock - inzwischen ist er einer der größten Dirigenten der Welt: Seit 35 Jahren steht James Levine bei der renommierten Metropolitan Opera (Met) in New York am Pult, zugleich ist er Musikdirektor des Boston Symphony Orchestra. Der amerikanische Maestro feierte auch in Berlin, Bayreuth, Salzburg und Wien Triumphe, fünf Jahre war er Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. "Sein Leben mit der Musik zu verbringen, ist das Schönste, was ich mir vorstellen kann", sagt der Meisterdirigent. An diesem Montag wird er 65 Jahre alt.
James "Jimmy" Levine sieht nicht gerade so aus, wie man sich einen glamourösen Pultstar vorstellt. Gerade mal 1,75 Meter groß, pausbäckig und mit einem wuscheligen, unordentlichen Haarschopf, ginge er gut auch als Bühnenarbeiter durch. Doch sobald er vor seinem Orchester steht und mit entschiedenen, leidenschaftlichen Bewegungen den Taktstock hebt, verwandelt er sich in ein Bündel fast graziler Energie. Als fordernd, aber fair beschreiben ihn seine Musiker. Und mit diesen Eigenschaften hat er in den vergangenen Jahrzehnten, seit 1983 auch als Künstlerischer Direktor, die einst als verstaubt geltende Met zu einem innovativen Haus und das Orchester zu einem Weltklasse-Ensemble gemacht.
Fast 2500 Aufführungen mit 85 verschiedenen Opern leitete Levine hier, darunter häufig genug auch mutige Werke wie Arnold Schönbergs "Erwartung" oder Alban Bergs "Lulu". Schon früh "erfand" er die Idee, die Met als Fernsehserie zu präsentieren und damit große Opernwerke einem amerikanischen Millionenpublikum zugänglich zu machen. Die weltweite Übertragung von acht Live-Inszenierungen in Kinosäle erreichte 2007 mit fast einer Million Zuschauern mehr Menschen als das Opernhaus in der ganzen Saison. "Für mich tragen die Sänger die Botschaft der Musik", sagt der Maestro.
In München waren dagegen seine symphonischen Qualitäten gefragt. Nach der Ära Sergiu Celibidache erklärten die Münchner Philharmoniker das Kraftpaket aus Amerika gegen alle Widerstände zu ihrem Wunschkandidaten. Und auch wenn es im Stadtrat ein unwürdiges Gezerre um das stattliche Jahresgehalt von damals knapp zwei Millionen Mark gab, gelten die Levine-Jahre von 1999 bis 2004 als Glücksfall. Er habe "neuen Glanz in die Münchner Philharmonie" gebracht und dem Publikumsgeschmack "auch in seiner klugen Balance von traditionell klassischen Werken und gemäßigter Moderne" entsprochen, lobte die "Süddeutsche Zeitung", als der Amerikaner den Job an der Isar für die neue Aufgabe in Boston aufgab.
Daneben ist "Levine the Divine" (Levine der Göttliche), wie er gelegentlich genannt wird, auf zahllosen anderen Bühnen aktiv. Er spielte mit praktisch allen großen Orchestern dieser Welt, begleitete als Pianist Meistersinger wie Cecilia Bartoli, Christa Ludwig und Jessye Norman und ging mit den "Drei Tenören" Jos Carreras, Plcido Domingo und Luciano Pavarotti auf Welttournee. Von seinen mehreren hundert Platten- und CD-Einspielungen ragen unter anderem ein Mozart- Zyklus mit den Wiener Philharmonikern und eine Gesamtaufnahme von Wagners "Ring" heraus. Am Herzen liegt ihm auch die Ausbildung junger Musiker.
Auch die eigene Karriere begann das Energiebündel Levine mit Riesenschritten: 1943 in eine musikalische, wohlhabende Familie in Cincinnati (US-Bundesstaat Ohio) geboren, erhielt er schon mit vier Jahren Klavierunterricht, bereits mit zehn gab er sein erstes Konzert, mit 18 sein Debüt als Dirigent. 1971 feierte er mit Puccinis "Tosca" seinen Einstand bei der Met, kaum zwei Jahre später wurde er - mit gerade einmal 29 Jahren - ihr Chefdirigent. Nur 2006 musste er vorübergehend kürzertreten. Als nach einem Auftritt mit "seinem" Orchester in Boston das Publikum in Begeisterungsstürme ausbrach, fiel er so unglücklich, dass er an der Schulter operiert werden musste.
Sein Privatleben hält der Maestro weitgehend unter Verschluss. Trotz Lebensgefährtin wurden ihm in der Vergangenheit gelegentlich Affären nachgesagt - sowohl mit Frauen als auch mit Männern. Er isst gern und "verliebte" sich einst in einen blauen Cadillac, aber eigentlich lebt er nur für die Musik. "Wenn ich im Wald bin, habe ich Musik im Kopf. Wenn ich in einem Boot sitze, gehe ich in Gedanken durch eine Partitur", sagt er. "Für mich ist Musik wie essen, atmen und schlafen."
Von Nada Weigelt, dpa
Quelle: ntv.de