Dortmunder "Tatort" Nazis im Kita-Pelz
11.01.2015, 21:59 Uhr
Faber im braunen Sumpf: Neonazis alter Schule haben in "Hydra" allerdings Seltenheitswert.
(Foto: WDR/Thomas Kost)
Wenn Kommissar Faber ermittelt, tut es weh: ihm selbst, allen anderen und dem Zuschauer sowieso. Die ersten vier Folgen der Dortmunder Ermittler gehören auch deswegen mit zum Besten, was die Serie zu bieten hat. Wird Episode Nummer fünf ihrem eigenen Anspruch gerecht?
Strickjäckchen, Blumenkleid, die Haare zu einem adretten Zopf geflochten, Tränen kullern ihr die Wangen herunter: Am liebsten möchte man die junge Frau in den Arm nehmen und trösten, so verloren sitzt sie auf dem Kinderhöckerchen. Gerade haben ihr die Kommissare Kossik und Bönisch den Mord an ihrem Mann eröffnet. "Er wurde erschossen", sagt Bönisch, unwillkürlich greift sich die Hochschwangere an ihren dicken Bauch. Kurzer Schwenk auf einen Nebenraum voller spielender Kinder - die werdende Mutter und Witwe ist Kita-Erzieherin. Es ist ein Trauerspiel. "Haben Sie irgendeinen Verdacht?", fragt Kossik. "Die Jüdin, wer sonst." Und dem Zuschauer läuft zum ersten Mal im neuen Dortmunder "Tatort" ein kalter Schauer über den Rücken.
Es wird nicht das einzige Mal bleiben in dieser Episode, in der Kommissar Faber und sein dreiköpfiges Team den Mord an einem Naziführer aufklären müssen - und sich dabei immer tiefer in den braunen Sumpf der Ruhrmetropole wühlen. Ein Sumpf, in dem Neonazis schon lange nicht mehr so aussehen, wie sie eben aussehen sollten, um sie als solche zu erkennen. Stattdessen mutet die Witwe so brav an, wie man sich eine liebevolle Erzieherin eben vorstellt, der stellvertretende Neonazi-Führer und Hauptverdächtige mimt den besorgten Germanistikstudenten mit Seglertolle perfekt - und selbst Robert Stadlober als rechter Schläger wirkt von Weitem wie auf dem Weg zum nächsten Antifa-Plenum.
Von den neuen Rechtsaußenallianzen im Hogesa-Stil bis hin zu Fremdenhass im Stil "besorgter" Pegida-Wutbürger zeichnet "Hydra" ein bedrückendes Bild vom bundesrepublikanischen Ist-Zustand und legt nach den Klamauk-"Tatorten" der letzten Zeit den Finger in eine Wunde, über die es nachzudenken lohnt. Bei kaum einem anderen Ermittlerteam wäre das Thema dabei so gut aufgehoben wie bei den Dortmunder Borderline-Kommissaren, deren allgemeine Stimmung ohnehin nur verschiedene Schattierungen von Hoffnungslosigkeit kennt. Faber ist psychotisch wie eh und je, seine türkische Kollegin Dalay erfährt am eigenen Leib, wohin zu viel Zivilcourage führen kann und Kommissar Kossik muss sich mit einem Bruder herumärgern, der selbst ins rechte Milieu abgerutscht ist.
In Dortmund können sie "Tatort"
Die schauspielerische Leistung der Besetzung ist dabei durch die Bank - wie in den vorangegangenen vier Episoden auch schon - hoch. Vor allem Jörg Hartmann spielt den seelisch waidwunden Hauptkommissar erneut fast schon unheimlich authentisch. Fabers Zustand hat sich zwar im Vergleich zur ersten Folge deutlich verbessert, angenehm psychotisch ist er aber bisweilen immer noch. Ironischerweise liefert der Kommissar gleichzeitig die einzigen Humoroasen in diesem sonst ausnehmend düsteren "Tatort". Als eine festgenommene Nazibraut Kommissarin Dalay "total verrückt" schimpft, antwortet Faber nur lakonisch: "Ist sie nicht, ich kenne mich damit aus."
Tut er wirklich. Und nicht nur damit. Auch einen über 90 Minuten überzeugenden "Tatort" auf die Beine zu stellen, das haben Faber, seine Kollegen und vor allem Drehbuchautor Jürgen Werner und Regisseurin Nicole Weegmann absolut drauf - inklusive gelungenem Ende. Auch wenn der Fall am Ende gelöst sein mag, gut ist in Dortmund natürlich nichts. Das Üble an einer "Hydra", so der Name der Folge, ist ja gerade: Für jeden abgeschlagenen Kopf wachsen zwei neue nach.
Quelle: ntv.de