Unterhaltung

Zapp Maier - die WM-TV-Kolumne Parallelität der Ereignisse

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(Foto: picture alliance / dpa)

Nach dem Erfolg gegen Frankreich trennen die deutsche Mannschaft nur noch zwei Spiele vom Titel. Für Sie heißt das: eine Entscheidung muss her - machen Sie Public Viewing oder gucken Sie zu Hause? Wir haben beide Alternativen fürs Halbfinale gegen Brasilien schon einmal minutiös vorskizziert - das Public Viewing und den Fernsehabend bei Freunden.

Kann den Public Viewing Sünde sein? Ja.

Kann den Public Viewing Sünde sein? Ja.

(Foto: imago/Eibner)

18 Uhr

Sie werfen den mindestens zehnten Blick auf die Uhr und fahren den Computer herunter. Eigentlich sollten Sie ja noch diesen einen Bericht fertig bekommen. Sie murmeln etwas von "Kind, Fieber, bei der Oma, Notfall" in Richtung Ihres Bürokollegen und hoffen, dass er die Scham in ihrer Stimme überhört. Dann stürzen Sie auf den Flur, vor dem Fenster ihres Chefs ducken Sie sich.

Sie werfen den mindestens zehnten Blick auf den Kollegen gegenüber, sehen wieder die Panik in seinen Augen. "Ich bleibe noch zwei Stunden", sagen Sie, als der Kollege sich verabschiedet, und hoffen, dass er den Vorwurf in Ihrer Stimme nicht überhört. Sie warten zehn Minuten und gehen auch. Vor dem Fenster des leeren Chefbüros beginnen Sie zu pfeifen.

18.30 Uhr

Sie hetzen durch die Reihen des Biergartens, doch einen freien Platz finden Sie nicht. Ihr Hemd klebt an Ihrem Körper, in der überfüllten U-Bahn war es heiß und stickig. Ihr Telefon piept. "Schaffen es jetzt doch erst eine halbe Stunde vor Anpfiff", steht da, "hältst du uns was frei?". Ein Mann im zu engen Podoslki-Trikot ruft "Deut-schlaaaaaaaaaand." Ihr Augenlid beginnt zu zucken.

Sie schlendern durch die leere Innenstadt und kaufen sich ein Eis, auf die U-Bahn haben Sie heute verzichtet, Sie stehen schließlich nicht unter Zeitdruck. Ihr Telefon piept. "Habe das Bier kaltgestellt - kommt einfach, wann Ihr mögt." Auf der anderen Straßenseite singt eine junge Frau "Summertime". Sie genießen das Eis.

19 Uhr

Sie haben doch noch einen Platz bekommen. Er ist gar nicht so schlecht, okay, ein bisschen näher an der Leinwand wäre schon schön und der Baum auf halber Strecke zwischen Ihrem Tisch und der Leinwand müsste auch nicht sein. Aber dafür wird der Abend sicher unvergesslich. Sie schielen durstig zum Bier-Ausschank - doch den Tisch unbewacht zu lassen, trauen Sie sich nicht.

Sie kaufen sich noch ein Eis.

21 Uhr

Sie schieben Ihre Zeitung zur Seite. Das WM-Spezial hatten Sie schon nach zehn Minuten durch. Und danach den Politikteil. Und die Wirtschaft, die Kultur, am Ende die Kontaktanzeigen. Vorne auf der Leinwand beginnt die Übertragung. Kahn redet von 2002, Welke nickt und grinst. Sie fragen sich, ob Welke eine Jogginghose trägt zum Anzug. Kahn hört nicht mehr auf zu reden. Ihre Hand sucht instinktiv die Fernbedienung mit der "Mute"-Taste.

Ihr Kumpel hat Sie mit einem kalten Bier willkommen geheißen, jetzt sitzen Sie auf der Wohnzimmercouch, vom Garten her weht der Duft von Kartoffelsalat und Grillkohle. Auf dem großen Flachbildfernseher beginnt die Übertragung. Als Kahn beginnt, von 2002 zu erzählen, schaltet Ihr Kumpel den Ton aus.

21.45 Uhr: Ihre Freunde sind angekommen. Sie sind schon ein wenig angetrunken und zufrieden mit den Plätzen sind sie auch nicht. Ihr Augenlid beginnt wieder zu zucken. Sie laufen nach vorne zum Ausschank, sie bestellen ein Bier und eine Brezel, die Kassiererin murmelt etwas von "Pfand" und berechnet Ihnen 13,60 Euro. Als die deutsche Mannschaft zur Hymne ansetzt, fällt das Bild aus. Während Sie zurück zum Biertisch laufen, fällt auch der Ton aus. Sie treffen wieder auf den Mann im Podolski-Trikot. Als Sie an ihm vorbeilaufen, übergibt er sich auf Ihre Schuhe. Sie verlassen den Biergarten, zwei Straßen weiter finden Sie einen Dönerladen, der das Spiel überträgt. Sie stellen sich in die dritte Reihe, immerhin können Sie die Hälfte des Bildschirms erkennen. Sie fragen sich, ob Sie dankbar sein sollen.

Alle Freunde sind mittlerweile angekommen, Sie haben gemeinsam am Grill gestanden, gegessen und über die Aufstellung diskutiert (Philipp Lahm nun also als falsche Neun, damit hatte niemand gerechnet). Als die deutsche Hymne beginnt, sitzen Sie auf dem Sofa und schieben sich ein Kissen unter dem Nacken zurecht. Kurz vor dem Anpfiff müssen Sie auf einmal an Ihren Kollegen denken. Sie wissen nicht warum, aber der Gedanke fühlt sich bedrohlich an, für einen Sekundenbruchteil zuckt sogar Ihr Augenlid hektisch nach oben und unten. Als Philipp Lahm aber in der zweiten Minute den Ball mit der Hacke über Julio Cesar hinweg ins brasilianische Tor schlenzt, haben Sie Ihren Kollegen wieder vergessen.

Quelle: ntv.de

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