Unterhaltung

"Ich war ein wenig bedenkenloser" Peter Simonischek, Mann der Stunde

Einen schönen Mann entstellt nichts ...

Einen schönen Mann entstellt nichts ...

(Foto: REUTERS)

Ich treffe Peter Simonischek im Berliner Hotel am Steinplatz. Er ist ausgezeichnet gelaunt - warum auch nicht, wird er ja quasi nur noch ausgezeichnet. Wir treffen uns in Berlin, weil ihm der Ernst-Lubitsch-Preis verliehen wird, weil sein "Toni Erdmann"-Team bald einen Oscar bekommen könnte, weil er das Leben liebt und weil er einer ist, von dem man noch was lernen kann. Mit n-tv.de führt er ein Gespräch über Kinder, Väter, Handtücher, Zähne, den Durchbruch, die hohe Kunst der Langeweile und Eitelkeiten.

n-tv.de: Wie bitte? Sie sind eitel? Mit dem Gebiss?? Das Sie natürlich nur im Film "Toni Erdmann" tragen …

Peter Simonischek: Naja, das kann schon mal passieren, dass ich, wenn ich in Wien irgendwohin komme und die erkennen mich nicht, dass ich dann sauer bin. (lacht laut) Dann denke ich mir aber sofort: Bitt'schön, Peter, jetzt bist du doch endlich so blöd geworden, wie du nie sein wolltest.  

Und der Klassiker, ein guter Tisch im Restaurant?

Nein, um Gottes Willen, da bin ich bescheiden, diese Art von Vorteilsnahme ist mir vollkommen fern, sehr suspekt. Da bin ich so gar nicht "hoppla, jetzt komm ich": ich weiß zu gut, wie das ist im Gastgewerbe, mein Söhne haben da als Studenten gearbeitet. Da sagt man nicht: "Würden Sie bitte Platz machen für den Herrn Simowitsch (lacht wieder laut und herzlich).

Ich habe vor Kurzem gelesen: "Endlich! Durchbruch mit 70!" Da habe ich kurz gestutzt.

Klingt eher wie ein Blinddarmdurchbruch.

Naja, als ob jetzt ein Youngster oder Nachwuchsschauspieler entdeckt wurde.

Der Erdmann war von 2002 bis 2009 der Jedermann.

Der Erdmann war von 2002 bis 2009 der Jedermann.

Aber da feiert sich natürlich die Presse: "Der Durchbruch ist dann, wenn wir ihn wahrnehmen". Ich kann das schon verstehen, aber von meiner subjektiven Seite aus ist das natürlich nicht so. Meine Durchbrüche sind öffentlich recht sang- und klanglos verlaufen. Mein persönlicher Durchbruch war übrigens ein Telegramm von Peter Stein aus dem Jahre 1978: "Komm an die Schaubühne, wir freuen uns." Das war eine Weichenstellung in meinen Leben. Immerhin war ich da dann 20 Jahre, an der Schaubühne in Berlin. Ja, da wollte man hin als junger Schauspieler und ich hatte das Glück.

Sie sind am Theater und im Fernsehen und im Kino erfolgreich, das ist ja eher ungewöhnlich. Viele Kollegen müssen sich entscheiden. Haben Sie da Glück gehabt oder viel für getan?

Wissen Sie was? Ich glaube, ich war einfach ein wenig bedenkenloser. Ich habe mich immer als Theaterschauspieler verstanden, denn mein Initiationserlebnis war Helmuth Lohner als Hamlet. Das hat auf mich als jungen Kerl einen solchen Eindruck gemacht, dass ich rausging aus dem Theater und wusste: Ich will nichts anderes, ich will Schauspieler werden. Und das hat gehalten. Ich bin riesige Umwege gegangen, weil das zu Hause nicht gewollt war. Ich habe Architektur studiert, ich habe Zahntechniker gelernt, alles Mögliche, aber Gott sei Dank bin ich dann als Schauspieler gelandet. Mein Vater war Zahnarzt und sah mich da natürlich in seiner Praxis, und ich musste ihm alles abtrotzen, was ging. Das war nicht einfach, denn ich wollte partout nicht Zahnarzt werden. Die Zahntechnikerlehrer habe ich dennoch zu Ende gemacht. Und deswegen hab' ich mich beim Lesen des Drehbuchs von "Toni Erdmann" aber besonders auf meine Zähne im Film gefreut (lacht).

Im Film gibt es tatsächlich viel Theaterhaftes: die Zähne, die Perücke, ganz sichtbar. Im Film wird so etwas sonst ja viel subtiler gehandhabt.

Ja, der Winfried Conradi denkt sich seine Kunstfigur "Toni Erdmann" aus. Und da hat die Maren Ade, die Regisseurin, ja ganz viel von ihrem Vater hineingesteckt. Man könnte sagen, diese Figur ist ein Scherzkeks, man könnte aber auch liebevoller sagen, dass das einer ist, der sich was einfallen lässt für seine Kinder und seine Enkelkinder. Und da braucht's auch Verkleidung.

Ja, die Maren Ade hat mir vor einer Weile im Interview bereits verraten, dass da viel von ihr drin ist, und ich muss sagen, dass ich mich auch erkannt habe. Mein Vater hat sich immer gerne mal zum "Horst" gemacht, um seine Kinder zum Lachen zu bringen.

Das ist doch schön. Ja, und die Maren hat auch so einen Vater, deswegen ist auch was aus ihr geworden, aus der Maren!

Ich hatte im Film streckenweise sehr viel mehr Verständnis für den Vater als für die Tochter.

Ja, aber das Tolle ist ja, dass die genetisch nicht abgekoppelt ist. Dieser Vater und seine Tochter haben ja eine Geschichte zusammen. Der hat doch schon am Bettrand bei seinem Kind gesessen und ihr eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt. Da hat er sich bestimmt auch schon "zum Affen" gemacht, wie im Film der Toni. Und jetzt knüpft er daran an, obwohl sie erwachsen ist. Aber sie knüpft auch an. Dennoch muss er sie provozieren, ist ja klar. Das ist natürlich kühn von ihm, denn seine Tochter ist erwachsen und er weiß, dass er sie vor den Kollegen bloßstellt.

Wann hört man denn auf, sich als Eltern einzumischen?  Oder helfen zu wollen? Man meint es ja schließlich nur gut.

Mit Sandra Hüller und Maren Ade 2016 in Cannes - ohne Preis, aber am Anfang eines unvergleichlichen Siegeszuges.

Mit Sandra Hüller und Maren Ade 2016 in Cannes - ohne Preis, aber am Anfang eines unvergleichlichen Siegeszuges.

(Foto: REUTERS)

Ach, wissen Sie, mein 19-jähriger Sohn ist gerade in Sofia, der macht da Zivildienst bei einer Organisation, die sich für obdachlose Kinder einsetzt, und der fehlt mir. Wir haben einen super Draht. Aber zu Hause werde ich wahnsinnig, wenn der immer sein benutztes, nasses Handtuch zusammengeknüddelt in eine Ecke pfeffert und es nicht trocknen kann. Dann schimpfe ich mit ihm oder frag' ihn, was er sich dabei denkt. Aber heute Morgen, da hab' ich ihm ein Foto geschickt, von meinem zusammengeknüddelten, feuchten Handtuch und geschrieben, dass er mir fehlt. Obwohl ich ja momentan keinen Grund habe zum Meckern oder für Ratschläge (lacht).

Ist doch gut, wenn man über sich selbst lachen kann. 

Ich will nur sagen, man kommt nie ans Ende damit, sich einmischen zu wollen. Weil der andere einem aber auch so viel bedeutet, sonst wär's ja egal. Ich glaube übrigens, es ist ein idealer Zustand, dass man nie damit fertig wird. Nehmen wir mal das Beispiel eines Dirigenten. Warum mochte ich Claudio Abbado so gerne? Weil er nicht nur dirigiert hat, sondern weil er ständig im Dialog war mit seinem Orchester. Der hat genommen, was kommt, und das hat er gelenkt und wieder neue Impulse reingegeben und so weiter.  So ein Austausch - das ist naheliegend, dass das ein Rezept fürs Leben ist. Auch in der Erziehung: Sie geben etwas, Sie bekommen etwas. Einmal setzen die Eltern sich durch, dann sind wieder die Kinder tonangebend, das ist doch gut.

Klingt perfekt. Gut, wenn die Eltern alt werden.

Ja, aber sie verschwinden so oder so nicht aus Ihrem Leben. Sie müssen nicht traurig sein, selbst wenn die Eltern tot sind, dann sind Sie noch immer ihr Kind. Sie hinterlassen ihre Spuren, das ist unglaublich. 

Das klingt tröstlich. Im Moment geht es ja Schlag auf Schlag: Sie sind beziehungsweise der Film "Toni Erdmann" ist für den Oscar nominiert, Sie haben den Europäischen Filmpreis erhalten und nun ging der Ernst-Lubitsch-Preis an Sie. Was bedeutet Ihnen das?

"Denn wer vermöchte das Futter der Zeit mit einem Griff nach außen zu wenden?"

"Denn wer vermöchte das Futter der Zeit mit einem Griff nach außen zu wenden?"

(Foto: REUTERS)

Das ist eine schwere Frage, ehrlich, da muss ich ausholen. Im Kontext jedoch ist es so: Ernst Lubitsch war einer der größten Künstler der Filmgeschichte. Schon mal großartig, dass ich diesen Preis, der nach ihm benannt ist, bekomme. Ich komme gerade aus Salzburg, wo wir ein Programm aufgeführt haben über die Langeweile. Mit Musik von Mozart und Texten zum Beispiel von Walter Benjamin (zitiert): "Denn wer vermöchte das Futter der Zeit mit einem Griff nach außen zu wenden?" Und da dachte ich: Der Ernst Lubitsch, der konnte das. Wenn man den Film "Sein oder Nichtsein" sieht, dann ist genau das dort gelungen. Dafür hat er meine Bewunderung. Außerdem ist Billy Wilder der Initiator des Preises - da denk ich doch nur: "Mensch, wie klug!" Das Größte, was man über einen Künstler sagen kann, ist, dass er etwas gefunden hat, das für ihn das Futter der Zeit nach außen wendet. Und dann guck' ich natürlich noch, wer hat den Preis denn vorher bekommen? Und da muss ich sagen: Toll, mit denen Seite an Seite zu stehen. (Anm.d.Red.: u.a. Gert Fröbe, Heinz Rühmann, Ursela Monn, Loriot, Mario Adorf, Mel Brooks, Christiane Hörbiger, Dany Levy, Til Schweiger, Tom Tykwer, Sönke Wortmann, Otto Sander, Leander Haußmann, Katja Riemann, Dieter Hallervorden, Anke Engelke) Sogar meine Landsmännin Elisabeth Bergner war dabei (lächelt).

Der Oscar steht vor der Tür, das ist schon etwas Besonderes, oder?

Das ist vor allem für unser Team toll. Wir waren so eine dolle Truppe bei den Dreharbeiten. Wir sind ja nicht autark als Schauspieler; wir sind auf eine gute Connection mit den Kollegen angewiesen, deswegen gibt es auch so selten Kunst. Man bleibt immer was schuldig. Das ist auch am Theater so. Aber dieses Mal ist die Rechnung wunderbar aufgegangen. Es war manchmal natürlich sehr anstrengend, aber es ist immer aufgegangen. Das sind Voraussetzungen, die man nur selten antrifft.

Gerät man da auch mal aneinander mit den Kollegen?

Nein. Keine Spielchen, keine Profilneurosen, keine Machtspiele (klatscht in die Hände) Gott sei Dank. Das ist so ein Segen! Die Maren Ade braucht so etwas gar nicht. Sie ist zielstrebig und unerbittlich, aber sie ist leicht dabei.

Man rechnet während der Dreharbeiten nicht mit so einem Erfolg, selbst wenn alles wie am Schnürchen klappt, oder?

Nein. Damit kann niemand rechnen! Aber man darf sich dann sehr freuen. Schon beim Lesen des Drehbuches allerdings habe ich mir gedacht, was für ein ungeheures Potenzial da drin ist. Wenn das jemand in den Griff kriegt, dann kann das was Tolles werden!

Ist das eine andere Dynamik, mit so jungen Kolleginnen am Set?

Mann oder Frau, alt oder jung? Egal!

Mann oder Frau, alt oder jung? Egal!

(Foto: dpa)

Das ist egal. Wenn einer was kann, dann spielt das Alter keine Rolle. Nehmen wir nochmal die Musik: Da kann zum Beispiel ein sehr junger Dirigent einem altehrwürdigen Orchester wieder neues Leben einhauchen. Wenn er begnadet ist, dann spüren alle das sofort. Und man wird gemessen an dem, was man kann, nicht an der Summe seiner Erfahrungen oder am Alter. Überhaupt wär' mir lieb, wenn in der Gesellschaft Dinge wie alt oder jung, Mann oder Frau unwichtiger wären.

Haben Sie einen Rat an die jüngere Generation der Schauspieler?

Das ist sehr individuell. Und das Schwierige an dem Beruf, am Schauspieler- oder auch Regisseur-Sein: Sie müssen jeden anders behandeln. Der eine braucht einen Tritt in den Hintern, sonst kommt er nicht in die Gänge, und beim anderen bewirkt dieser Tritt, dass er so verletzt oder gedemütigt ist, dass man ihn nicht mehr gebrauchen kann. Da kann man niemandem wirklich helfen, da muss man allein durch. Aber das spürt man auch, ob man etwas wirklich muss oder will oder nicht.

Sie haben gerade in Salzburg, in der Mozartwoche, das Programm "Ennui" gegeben. Sie singen das Loblied der Langeweile. 

Ja, mit der Musicbanda Franui. Das war mir sehr wichtig.

Mein Ziel im Urlaub ist es, mich an irgendeiner Stelle auch mal zu langweilen. Und das ist nicht gleichbedeutend mit "langweilig". Dann ist man der Erholung nahe und kann etwas Neues beginnen, aus dem Nichts heraus.

Das kann ich nur unterschreiben! Das spricht mir aus der Seele. Ich sag' meiner Frau auch: Lass uns mal wieder langweilen. Da braucht es aber viel Disziplin, bis man dahin kommt (lacht). Da hätte ich aber doch noch einen "Rat" aus meiner Mozartwoche und den Texten zur Langeweile: "Eltern sollten ihren Kindern nicht so viele passive Vergnügungen zugestehen". Das stammt übrigens aus einem über 100 Jahre alten Text, hat also nichts mit Videospielen oder so zu tun. Aber da sehen Sie mal, die jungen Leute sollten sich am besten mit dem beschäftigen, was sich in ihrer Umgebung anbietet und das Beste draus machen.

Aus Langeweile entsteht dann Kreativität, ja?

Natürlich! Das Werk eines Anton Tschechow wäre praktisch nicht möglich, hätte er sich nicht hin und wieder gelangweilt. Auch das eines Arthur Schnitzlers nicht. Die Langeweile ist ein Luxusgut, ein Luxuszustand. Ich erinnere mich daran, dass es Zeiten gab, wo ich von einem Stück zum nächsten gehetzt bin. Das ist auf der einen Seite natürlich toll, auf der anderen Seite kam ich jahrelang nicht dazu, mich zu fragen, was ich eigentlich will. Und irgendwann bleibt man dann auf der Strecke. Dann verpuffen die eigenen Initiativen. Ich habe mal ein Buch geschrieben, also mitgeschrieben, und das Buch hat sich seinen Titel ja quasi selbst gesucht (lacht): "Ich steh' zur Verfügung." Als ich das gedruckt sah, hab' ich mich dann allerdings gefragt, was ich mir dabei denn bitteschön gedacht habe (lacht). Aber als ich dann länger nachgedacht habe, war mir klar: Der Titel ist goldrichtig. Für die Kunst ist es ein guter Zustand, ein leeres Gefäß zu sein. Auch Absichtslosigkeit ist ein kostbarer Zustand.

Ein leeres Gefäß sind Sie momentan jedenfalls nicht, so viel steht fest.

Aber man muss es immer wieder mal sein (lacht).

Mit Peter Simonischek sprach Sabine Oelmann

Die Oscarverleihung findet am 26. Februar statt.

Quelle: ntv.de

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