Unterhaltung

Benjamin Reding im Interview Potzlow-Mord war Auslöser

Ab dem 6. Dezember läuft "Für den unbekannten Hund" bundesweit im Kino. Im Film treffen Welten aufeinander: Dorfjugendliche, deren Horizont kaum über die Grenzen ihres Heimatortes hinausreicht, treffen nachts auf einen weitgereisten Wandergesellen. Wenige Minuten später ist der Geselle tot.

Idee, Drehbuch und Regie kommen von den Zwillingsbrüdern Dominik und Benjamin Reding. 2000 feierten sie ihr Filmdebüt mit "Oi! Warning", 2002 gründeten sie in Berlin ihre Filmproduktion "Eye!Warning". Mit ihrer aktuellen Produktion haben sie schon mehrere Preise gewonnen.

n-tv.de: Wie seid ihr darauf gekommen, einen Mörder ausgerechnet auf Wanderschaft zu schicken?
Benjamin Reding: Auslöser war der Mord in Potzlow, wo drei Jugendliche einen Vierten ermordet haben. Damals kamen wir auf die Idee, das miteinander zu verknüpfen.

Diese Dorfjugendlichen, die den vermeintlichen Stadtstreicher erschlagen, reflektieren ihre Tat zunächst gar nicht. Erst als einer der beiden mit Wandergesellen in Kontakt kommt, ändert sich sein Leben radikal.

Mord und Wanderschaft?
Ja, als Antwort auf die Frage: Was kommt danach? Was kann einem Täter passieren außer Jugendknast, Jugendpsychatrie oder Bootcamp? Gibt es überhaupt noch eine andere Möglichkeit der Selbstfindung? Und wann überhaupt wird ein anderes Leben etwas wert?

Ihr seht also das Unterwegssein als eine Art Therapie?
Ich denke, erst wenn man sein eigenes Leben als Wert begreift, kann man ein anderes Leben wertschätzen und die Wanderschaft hilft einem dabei. Eine solche Wanderschaft geht an keinem spurlos vorbei - egal ob an einem Totschläger oder einem anderen Menschen.

Funktioniert die "Wanderschafts-Therapie" für euren jugendlichen Mörder?
Er nimmt das Risiko zumindest an, indem er alleine wandert, was nicht einfach ist. Er stellt sich seiner Schuld und der furchtbaren Katastrophe, die passiert ist.

Bietet die Wanderschaft nicht auch Halt durch feste Bräuche und, so gesehen, konservative Strukturen?

Nein, es werden eher sehr hohe Ansprüche an die Individualität gestellt. Jeder oder jede Reisende werden bestätigen, dass es besonders darauf ankommt, was man selbst daraus macht. Regeln sind das Eine, das Andere, wie man selbst auf Wanderschaft lebt. Da ist vieles möglich, was vielleicht im Regelwerk nicht so vorgesehen ist.

Deshalb der flotte Dreier im Film?
Ja, es gibt einfach zwei Sichtweisen: Das eine ist der traditionalistische Anspruch, den Regelapparat möglichst zu hundert Prozent zu erfüllen. Aber wir zeigen auch den anderen Ansatz in unserem Film, nämlich den Freiheitsgedanken. Die Lebenszeit ist kurz. Ich denke, was man aus dieser Lebenszeit rausholt, hat weniger damit zu tun, ob man materiell abgesichert ist und mehr damit, wie risikofreudig man ist. Wenn man das Risiko nicht scheut, ist eine Gesellenwanderung sicher eine hochgradig spannende Sache.

Wie viele Menschen sind in Deutschland auf der Walz?
Etwa Sechs- bis Siebenhundert.

Habt ihr das Tippeln schon selbst mitgemacht?
Ausprobieren kann man das nicht, entweder man ist ein Wandergeselle oder man ist es nicht. Aber man kann bei einer Heimgehtippelei, das sind die letzten hundert oder hundertfünfzig Kilometer, teilnehmen, wenn man eingeladen wird. Das habe ich einmal mitgemacht. Es war sehr beeindruckend zu sehen, was die Männer und Frauen leisten - allein schon an Energieleistung.

Wie kam der Kontakt zu den Gesellen zustande?
Wir kannten die Wandergesellen schon sehr lange. Ich habe früher in Hamburg gewohnt, in Eimsbüttel, ein Stadtteil, in dem Gesellen häufig anzutreffen sind. Und wenn man mit aufgerissenen Augen durch's Leben geht und sich für andere Menschen interessiert, kommt man automatisch in Kontakt. Einen Film zu machen, stand damals noch gar nicht zur Debatte.

K önnen die Gesellen von ihren Gelegenheitsjobs leben?
Geld ist wohl das Unwichtigste während der Wanderschaft. Für ihre Arbeit auf Baustellen bekommen die Gesellen meistens Kost und Logis. Aber es geht auch darum, eine schöne Baustelle zu finden und nicht nur Rigipsplatten zu nageln.

Wie hält man sich unterwegs ohne Besitz über Wasser?
Ich habe noch keinen Gesellen Hunger leiden sehen. Sie gehen dann durch die Kneipen und mucken, das heißt, man organisiert sich Geld von den Gästen. Das ist Normalität im Wandergesellenleben.

Kommt daher auch "nicht aufmucken"?
Kann sein, auf jeden Fall kommt der Ausdruck "Schlitzohr" daher, dass man jemandem, der unehrenhaft aus dem Schacht, also der Gesellenvereinigung, entlassen wird, den Ohrring ausreißt. Der bleibt dann für sein Leben gekennzeichnet

Mit Benjamin Reding sprach Nona Schulte-Römer

Quelle: ntv.de

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