200 Fans pro Konzert Tomte tourt durch Sibirien
22.09.2007, 17:23 UhrAuch wenn die Hamburger Indie-Pop-Band Tomte in Moskau von "Buchstaben über der Stadt" singt, bleiben sie auf den Straßen der russischen Hauptstadt Analphabeten. Auf ihrer Tournee begeistern die fünf Musiker um Sänger Thees Uhlmann aber auch ohne Kenntnisse der Landessprache ihr Publikum. Nachdem die Jugendband Tokio Hotel in Russland ganze Hallen füllte, zeigt Tomte, dass auch junger deutscher Indie-Rock im riesigen Ostreich wirkt. Die Band nutzt die Reise auch als Chance, Russland hautnah zu erleben.
"Ich hab schon in den ersten 48 Stunden mein komplettes Russlandwissen aus den Medien über den Haufen geschmissen", sagt Uhlmann in Moskau. Zuvor habe sein Bild des Landes zwischen Kaviar und Klebstoffschnüfflern geschwankt. Der 33-Jährige zieht in der Bar des Moskauer Clubs "Ikra" (Kaviar) an seiner Zigarette. Die psychodelisch wirkenden Tapetenmuster könnten auch in Berlin oder Hamburg die Wände hipper Kneipen zieren. "Man hofft ja immer, dass jemand herein kommt, der alle russische Stereotypen erfüllt", scherzt Uhlmann. "Aber das passiert einfach nicht."
Auch Tomte sollen Klischees brechen: Das Goethe-Institut Moskau hat sie auf Tournee nach Moskau und Sibirien geschickt, um zu zeigen, wie deutschsprachige Indie-Rock-Musik klingt. "Es gibt da in Deutschland eine lebendige Szene", sagt der Leiter des Moskauer Goethe-Instituts, Johannes Ebert. "Die spiegelt sich hier in Russland aber nicht so wider." Publikum gäbe es durchaus genug: 2,7 Millionen russische Schüler lernen Deutsch.
Zudem ist sind andere Musikstile aus Deutschland in Russland hoch populär. Die Hannoveraner Band Scorpions ist auch 17 Jahre nach ihrer Erfolgsballade "The Wind of Change" in Russland bald noch populärer als in ihrer Heimat. Für einige junge Leute sind Rammstein eine der ersten Assoziationen mit Deutschland. Tokio Hotel sind längst Stammgäste.
Doch deutschsprachiger Indie-Pop tut sich da bislang noch schwer. "Die internationale Indie-Pop-Szene ist einfach schlechter vernetzt als andere Musikszenen", sagt Tomte-Sänger Uhlmann. Bands wie Tocotronic, Mia oder Anajo fanden genau so wie Tomte nur über das Goethe-Institut den Weg nach Russland. In Deutschland stieg ihr Album "Buchstaben über der Stadt" 2006 in die Albumcharts ein.
"Man muss mal woanders spielen, damit man nicht behäbig wird", sagt Uhlmann. In Deutschland habe er von 10 bis 40.000 Zuhörern vor jedem Publikum gespielt. Trotz Sprachproblemen klappte das auch in Moskau: "Die waren richtig energiegeladen", sagt die 19-jährige Olga nach dem Konzert. Viel mehr als das Wort "Hund" hat sie von der textlastigen Tomte-Musik aber nicht verstanden.
Von Moskau aus geht es weiter nach Sibirien: In Jekaterinburg, Nowosibirsk und Krasnojarsk hören jeweils etwa 200 Menschen die Tomte-Balladen. Von Stadt zu Stadt fährt die Band mit der Transsibirischen Eisenbahn. "Bis auf die Sprache gibt es keine Distanz zu den Leuten", sagt Uhlmann. Sein Traum sei es, einmal ein Album auf Englisch, Chinesisch oder Russisch aufzunehmen. Doch bis dahin singen sich Tomte auf Deutsch durch das postsowjetische Sibirien. "Vor 20 Jahren war das hier undenkbar", ruft Uhlmann am Ende eines Konzerts seinem Publikum von der Bühne zu. "Gut, dass sich die Zeiten geändert haben."
Von Erik Albrecht, dpa
Quelle: ntv.de