Unterhaltung

Mission Impossible "Unser Star für Baku" sucht neue(n) Lena

Eine Runde weiter: Leonie, Katja, Céline, Shelly und Roman (v.l.n.r.)

Eine Runde weiter: Leonie, Katja, Céline, Shelly und Roman (v.l.n.r.)

(Foto: obs)

Vom Auftakt von "Unser Star für Baku" bleibt vor allem dreierlei in Erinnerung: "Arsch-Platz", "Dicke Eier" und "Ausruhen". Und, ach ja, das Echtzeit-Voting-System, das zum eigentlichen Star der Show hochgejubelt wird. Wenigstens täuscht es ein wenig darüber hinweg, wie dramatisch uninspiriert die Sendung ansonsten war.

Keine Frage: Die Mission ist schwierig. Gesucht wird schließlich kein Geringerer als "Unser Star für Baku", der Deutschland beim kommenden Eurovision Song Contest in Aserbaidschan vertreten soll. Und das unter äußerst widrigen Bedingungen in einem heiklen Umfeld.

Die Zeit der "nationalen Aufgabe" ist vorbei. Sie wurde mit und von Lena bereits in Oslo erledigt. Das Eurovisions-Trauma ist überwunden, der ewige Nicole-Makel getilgt und der Beweis, dass Deutschland allen Unkenrufen zum Trotz auch ohne Bruderstaaten an der Seite den Song Contest gewinnen kann, geliefert. Eine ähnliche Massenbegeisterung für eine im Grunde nach wie vor eigentlich vollends abgetakelte Unterhaltungs-Barkasse wie den Grand Prix noch einmal zu entfachen, ist damit wohl auf Jahre hinaus unmöglich. Mit der Veranstaltung im eigenen Land zwölf Monate nach Oslo mag das noch einmal ein Stück weit gelungen sein. Aber jetzt reden wir von Aserbaidschan.

Vom Paulus zum Saulus und zurück

In Düsseldorf trug Stefan Raab mit der ARD an der Leine dem Rechnung, indem er auf den Volksentscheid über unseren Repräsentanten kurzerhand verzichtete. Lena durfte / sollte / musste noch einmal ran, lieferte abermals grandios ab und schlug sich mit ihrem zehnten Platz besser, als viele dachten, die sie zuvor erst angehimmelt und dann niedergeschrieben hatten. Allerdings: Das machte den Fehler der Mission Titelverteidigung und Raabs Wandel vom Demokratie-Paulus zum Alleinherrscher-Saulus nicht richtiger.

Winken kann er schon einmal wie ein Präsident: Thomas D.

Winken kann er schon einmal wie ein Präsident: Thomas D.

(Foto: dapd)

Raabs Rückgabe des Ralph-Siegel-Rings, die Rückkehr zum Prinzip des Plebizits und die Wiederbelebung von "Unser Star für ..." ist damit an sich eine feine Sache. Doch - ohne dass jemanden eine Schuld daran träfe - die Welt hat sich seit der Erstauflage dieses Formats vor zwei Jahren weitergedreht. Die deutschen Fernseh-Zuschauer erleben seither eine Casting-Show-Schwemme, die, wollte man nichts davon verpassen, einem kaum noch Luft zum Atmen, geschweige denn Zeit für andere Freizeitaktivitäten ließe.

"DSDS", "Das Supertalent", "Popstars", "X Factor", "The Voice of Germany" … - da glüht die Fernbedienung und schwirrt der Kopf. Wer da herausstechen und - wie der geschätzte Kollege Jan Feddersen in seinem ARD-Eurovisions-Blog schrieb - eine "Edelcastingshow" etablieren will, muss schon mehr und anderes bieten, als nur ein neues Abstimmungs-Werkzeug. Und überhaupt: War die "Edelcastingshow" bis gestern nicht "The Voice of Germany"? Oder kann man die inzwischen getrost abschreiben, nachdem sie nach dem Ende der "Blind Auditions" auch nur noch im üblichen Casting-Trott vor sich hin dümpelt?

Der Papa wird's schon richten

Stimmt, die Echtzeit-Abstimmung, die es ermöglicht, den aktuellen Stand im Kandidaten-Ranking jederzeit live einzusehen, bringt eine gewisse neue Note mit sich. Dazu, das zu betonen, ließ die Jury allerdings auch wirklich kaum eine Gelegenheit aus. Allen voran natürlich der auf den Einfall mächtig stolze Stefan Raab. Sein angekündigter Rückzug von der Eurovision besteht beim Vorentscheid darin, dass er die kaum wahrnehmbare Sonderrolle des Jury-Präsidenten an Thomas D abgetreten und den linken gegen den rechten Sessel in dem Gremium, zu dem auch noch Frida-Gold-Frontfrau Alina Süggeler gehört, eingetauscht hat. "Der Papa wird’s schon richten" - um es mit einem Ralph-Siegel-Song zu sagen. Doch das nur am Rande.

Schon jetzt einer der Favoriten: Roman Lob.

Schon jetzt einer der Favoriten: Roman Lob.

(Foto: dapd)

Die Echtzeit-Abstimmung also hat zumindest das Potenzial, dem Format eine eigene Duftnote im Casting-Sumpf zu verleihen. Jedenfalls dann, wenn man als Zuschauer zu dem einen oder anderen Kandidaten mal eine gewisse Beziehung aufgebaut haben sollte. In der ersten Ausgabe der Show mochte das noch nicht so wirklich gelingen. Und so sah man eher emotionslos zu, wie in der Regel derjenige, der gerade auf der Bühne stand, in der "Blitztabelle" nach oben schoss. Doch für die kommenden Ausgaben der Show ist da, wie es Moderator Steven Gätjen auch den Gesangskünsten manch eines Teilnehmers zuschrieb, ja noch "Luft nach oben".

Ab auf den "Arsch-Platz"

Vielleicht kommt es, wenn erst einmal die Spreu vom Weizen getrennt und das Kandidatenfeld auf zehn mögliche "Stars" für Baku eingedampft ist, ja auch noch zu einem wirklichen Wettkampf aller Teilnehmer. So aber kristallisierten sich in der ersten Ausgabe des Eurovisions-Vorentscheids recht rasch sechs Favoriten heraus, die sich um die fünf vorderen und in die nächste Runde rettenden Plätze balgten. Ja, wie sich die allesamt nahezu gleich aufliegenden Sechs beinahe im Sekundentakt auf dem sechsten "Arsch-Platz" (wiederholter O-Ton Moderatorin Sandra Rieß) abwechselten, hatte schon was - zumindest für die, die in diesem Rennen noch mitmischten. Die zu dem Zeitpunkt bereits auf einem der vier hinteren Ränge weit abgeschlagene Jil Rock (der wir an dieser Stelle einen Heiratsantrag machen, unter der Bedingung, dass wir ihren Nachnamen annehmen dürfen) indes langweilte das bereits so sehr, dass sie vor laufenden Kameras lieber ihre Facebook-Einträge checkte.

Auch Shelly Phillips könnte am Ende weit vorne um das Ticket nach Baku mitspielen.

Auch Shelly Phillips könnte am Ende weit vorne um das Ticket nach Baku mitspielen.

(Foto: dapd)

Zugleich offenbarte das Voting, wie knapp und knüppelhart manche Casting-Show-Entscheidung ausfällt. Und wie beeinflussbar das Ergebnis durch die Juroren ist. Als Shelly Phillips, die zu den Lieblingen von Thomas D und Co zählte, wenige Sekunden vor Ende des finalen Abstimmungs-Countdowns auf den "Arsch-Platz" abrutschte, verhalf ihr die Jury mit flehenden Bitten an die Zuschauer doch noch zurück in die Top 5. Die Arschkarte hatte am Ende dafür arschknapp, wie zufällig und vielleicht mit nur einer Handvoll Anrufen weniger der Lehramtsstudent Kai Nötting. Gerade da hätte die Jury, anstatt das System nur fortwährend abzufeiern, praktischen Gebrauch von der neuen Transparenz machen, ihre Statuten schon in der ersten Show über den Haufen schmeißen und so eine weitere Duftmarke setzen können - indem sie den nicht zuletzt durch ihre nun ebenso transparente Zuschauer-Beeinflussung hinaus gekegelten 21-Jährigen einfach trotzdem eine Runde weiter mitgenommen hätte. Doch so hieß es für Nötting tatsächlich: Du musst leider draußen bleiben. Gnadenloser hätte auch Dieter Bohlen zu keinem Kandidaten sein können.

Das war Schwerstarbeit

Ansonsten war gemäß der neuen Kuschel-Devise für Casting-Shows von Gnadenlosigkeit bei "Unser Star für Baku" natürlich wenig zu spüren. Dabei waren einige Beiträge wirklich so unterirdisch, dass Bohlen sie ungespitzt in den Boden gerammt und "The Voice of Germany" sie gar nicht erst auf das Publikum losgelassen hätte. Und wenn doch, dann hätten sich die Sessel der Juroren nicht nur nicht umgedreht, sondern wären vermutlich erstmals vor Scham im Boden versunken.

Musste trotz ihres Namens gehen: Jil Rock.

Musste trotz ihres Namens gehen: Jil Rock.

(Foto: dapd)

Das erkannten auch die Zuschauer von "Unser Star für Baku" und schickten den auf unterem Karaoke-Niveau herum hampelnden Salih Özcan und den bei "Closer tot he Edge" von 30 Seconds to Mars komplett neben der Spur liegenden Jan Verweij ins Nirvana der letzten Plätze in der Blitztabelle. Die schärfste Kritik, die dabei Thomas D zu dem 21-jährigen Verweij einfiel, war, dass er für den Song "dicke Eier" gebraucht hätte. Der vorpubertäre Ausspruch wurde daraufhin ebenso zum Dauerbrenner in den Moderationen wie Sandra Rieß wirklich jeden Kandidaten nach seinem Zwei-Minuten-Auftritt zum "Ausruhen" in das "Greenroom" genannte Hinterzimmer-Kabuff schickte. Dabei hatte in diesen Momenten eigentlich nur einer Schwerstarbeit zu verrichten - der Zuschauer.

Chance vertan

Die angeblich ja nie versiegende Quelle bis dato unentdeckter Talente scheint im allgemeinen Casting-Strudel allmählich dann doch zu schwächeln. Aber natürlich gab es unter den zehn Teilnehmern auch echte Lichtblicke. Die bereits erwähnte Shelly Phillips etwa oder den 21-jährigen Roman Lob, der für seine Darbietung zurecht als einziger Standing Ovations bekam. Woran die Auswahl der bisherigen Kandidaten insgesamt jedoch vor allem leidet, ist, dass sich die Verantwortlichen offenbar darauf versteift haben, eine(n) neue Lena zu finden. Die Kandidaten sind samt und sonders um die 20 Jahre jung und vor allem bei manch weiblicher Teilnehmerin ließ sich kaum verhehlen, dass sie von Gesang und Auftreten dem großen Vorbild nacheifert.

Die Revolution im Casting-Geschäft? Die "Blitztabelle" bei "Unser Star für Baku".

Die Revolution im Casting-Geschäft? Die "Blitztabelle" bei "Unser Star für Baku".

(Foto: dpa)

So wird abermals umso deutlicher, welch großer Glücksgriff Lena seinerzeit war. Doch sie als Blaupause für den nächsten Song-Contest-Teilnehmer zu nehmen, ist nicht nur aussichtslos, sondern offenbart die ganze erschreckende Einfallslosigkeit von "Unser Star für Baku", die durch den Trubel um das neue Abstimmungs-System erst einmal zugeschüttet wurde. Von den anderen Casting-Formaten hätte sich die Show zum Beispiel dann wirklich absetzen können, wenn sie vom mittlerweile zum Standard gewordenen Hype um den einen und einzigen "Superstar" abgerückt wäre. Warum etwa kann uns nicht mal wieder eine Band beim Song Contest vertreten? Mit Rock, Hip-Hop oder Neuer Deutscher Härte? Die Chance, einen wirklich bunten Vorentscheid mit Teilnehmern unterschiedlichster Couleur und verschiedensten Zusammensetzungen - von der Solo-Chanteuse bis zur Metal-Kapelle - zu organisieren, wurde vertan. So aber ist "Unser Star für Baku" nicht nur keine "Edelcastingshow". Es ist eine Mission Impossible.

Quelle: ntv.de

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