Wein, Weib und Gesang? Vom Selbsthilfeprojekt zur Gala
08.06.2012, 15:10 Uhr
Barolo?
(Foto: picture alliance / dpa)
Was haben der Rotgipfler Student, der Grüne Silvaner, der Jean Baptiste, der Colonello und die Wehlener Sonnenuhr gemeinsam? Sie - und Hunderte weitere Weine - werden am Sonntag im Tipi am Kanzleramt zum Probieren, Kaufen, Schwärmen und Genießen angeboten.
Das ist wieder so typisch Berlin: Als würde es nicht reichen, dass Fußball-EM ist und die Stadt gepflastert mit Public Viewing Plätzen, gibt es auch noch die Radsportveranstaltung Velothon, die Jubiläen der beiden schönsten Zelte der Stadt und eine Gala, bei der es um eines der Lieblingsthemen der Deutschen geht: Um Wein.
Also: Was haben der Rotgipfler Student, der Grüne Silvaner, der Jean Baptiste, der Colonello und die Wehlener Sonnenuhr gemeinsam? Sie - und Hunderte weitere Weine - werden am Sonntag im Tipi am Kanzleramt zum Probieren, Kaufen, Schwärmen und Genießen angeboten. Georg Mauer, Geschäftsführer der Wein & Glas Compagnie in Berlin und Veranstalter der "Gala großer Weine", sagt: "Das ist sicherlich einzigartig, so ein Treffen. Da kommen Winzer aus ganz Europa und aus Übersee, um sich in Sachen Wein weiterzubilden, sich auszutauschen und miteinander zu feiern."
80 Winzer, 1000 Gäste, Gastronomen, Sommeliers, Weinfreunde - und eine quasi komplett verkehrsberuhigte Stadt - das passt doch, oder? "Ja, es macht natürlich Sinn zu einem solchen Event mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu kommen und sich dann am Abend ein Taxi zu gönnen", rät Mauer, der in den Siebziger Jahren nach Berlin kam und sich sehr auf die Veranstaltung freut: "Das ist auch deswegen so hochklassig, weil wir es nur alle drei Jahre stattfinden lassen," und fügt nicht ohne Stolz hinzu: "Die Gala findet immer wieder an anderen Orten statt, die in der Berliner Kultur eine gewisse Rolle spielen. Dazu zählen der Hamburger Bahnhof und der Apollo-Saal der Staatsoper Unter den Linden. und weil das alles immer so schön funktioniert gibt es einen guten Kontakt zwischen den Winzern und den Kunden, der einzigartig ist."
Den Winzern und Besuchern wird es einfach gemacht, denn der Veranstalter stellt den Wein (400 unterschiedliche, um genau zu sein), das Entertainment und die Gala, so dass die Gäste sich komplett auf's Wesentliche konzentrieren können: Das Probieren! Das Interesse der Winzer aus nah und fern ist riesig - daher auch ein Veranstaltungsort wie das Tipi, das in diesen Tagen seinen 10. Geburtstag feiert. Hier geht es ja auch sonst um die Genüsse des Lebens - Essen, Trinken und das ganze gepflegte Beieinander, das eine Großstadt so zu bieten hat. Gut, am Gala-Abend der Weine wird es weniger um Chansons, Cabaret, Varieté, Tanz, Artistik, Musical-Comedy, Entertainment oder Magie gehen, auf ihre Kosten werden die Besucher aber auch kommen.
"Savoir Vivre"
Die Gäste dürfen sich freuen: Der Wettergott scheint milde gestimmt, das kommt nicht nur den Fußballfans und Radfahrern entgegen, sondern auch den Weinliebhabern, die sich durch den Tiergarten oder via Kanzleramt in Richtung Tipi aufmachen, um dort den Abend auf der Terrasse mit Blick auf die Spree zu verbringen. Wolf Steppat, ebenfalls Geschäftsführer bei "Wein & Glas" und im Gegensatz zu seinem Freund und Kollegen Mauer ein echter, "alter" Westberliner, ergänzt: "Mich macht es besonders stolz, dass Winzer zu uns kommen, die es eigentlich gar nicht nötig haben. Die haben kein Verkaufsproblem, die sind nur daran interessiert, ihre erstklassige Ware noch weiter zu verteilen. Und die reisen sogar aus dem Burgund, aus Südafrika oder Chile an."
Georg Mauer legt Wert darauf, Wein als Kulturgut, und nicht nur als bloßen Konsumartikel zu betrachten: "Wein - und damit auch seine Herkunft, sein Anbaugebiet, die Winzer - sind gar nicht hoch genug zu schätzen, denn in ihrer Individualität und Vielfalt ist Wein ein unschätzbarer Wert. Vor allem, wenn man sich einmal bewusst macht, wie ein guter Wein entsteht, dann ist das jeder industriellen Weinproduktion weit überlegen."
Mauer und Steppat haben ihren Laden in der Mitte der Siebziger Jahre gegründet: "Damals war das eigentlich ein Projekt gegen die Arbeitslosigkeit der Studenten", erzählt Mauer, "quasi eine Art Selbsthilfeprojekt (lacht), das sich schwungvoll und tatsächlich komplett ohne Stress weiter entwickelt hat. Wir haben die studentischen Kneipen mit Wein versorgt und auch die absolut angesagten Läden, wie zum Beispiel den legendären Dschungel. Es war ein angenehmes, witziges Arbeiten unter jungen Leuten in dieser verrückten Stadt West-Berlin. Als die Mauer fiel, mussten wir uns dann die Frage stellen, ob wir uns professionalisieren wollen und diese Herausforderung annehmen, in der sich entwickelnden Hauptstadt ein richtig gutes Weinunternehmen zu werden, oder ob wir einfach so weitermachen und in Kauf nehmen, dass der Laden dann vielleicht zusammen bricht."
Riesling oder Barolo?
Mauer und Steppat verfügten da bereits über die besten Grundvoraussetzungen: Sie waren befreundet, hatten Erfolg, hatten ein Wissen über Wein und auch ein Lager, das keinen Vergleich zu scheuen brauchte und sie hatten große Lust, zu expandieren. Man merkt den beiden den Spaß an der Arbeit an, wenn sie darüber erzählen, wie sie einen Gastronomieservice aufgestellt haben, wie sie den Laden erweitert haben, in dem sie Abende zur Verkostung und zum Lernen von, mit und über Wein einladen, sie haben Auszubildende, Somméliers, einen Oenologen, Weinkaufleute und - sie sind noch immer befreundet. "Ganz wichtig", finden beide das. "Wir haben nie Streit über Geld oder wie wir den Laden führen." Ihren guten Ruf haben sie sich über die Jahre dadurch erarbeitet, dass sie oft dort anfangen, wo andere bereits aufhören. Gastronomen können sich auf sie verlassen, auch wenn es am Wochenende oder an Feiertagen eng wird.
Der studierte Oenologe Mauer, der seine Kindheit im Rheingau als Sohn eines Winzers verbracht hat, und der Biologe Steppat aus West-Berlin haben sich ihre Kontakte über Jahre erarbeitet: "Da sind wir auch stolz drauf, denn in Berlin entstehen im kreativen Bereich ja andauernd neue Ideen, Läden, Firmen, aber kaum einer hält es so lange miteinander aus wie wir. Das braucht viel Toleranz und eine gute Aufgabenteilung." Und das zeigt sich auch daran, was die beiden begeisterten Tennisspieler auf die Frage, was denn ihr Lieblingswein sei, antworten. Mauer: "Riesling". Steppat: "Barolo." Und eine gewisse Erkenntnis hilft auch immer weiter: Mauer: "Wein kann man nicht jedes Jahr neu erfinden. Man muss selbstverständlich auf die Qualität achten, man kann das Design der Flaschen variieren, aber was zählt ist die Erfahrung. Was vor 1000 Jahren eine gute Lage war, ist heute in den meisten Fällen auch noch eine." Und Wolf Steppat hält fest: "Mit Wein ist es wie mit guten Schuhen – das ist ein Handwerk, und darauf kommt es an. Guter Wein ist auch gutes Handwerk."
Und was ist mit dem Preis? Je teurer desto besser? Steppat: "Ja, da gibt es schon einen Zusammenhang. Aber es gibt durchaus Weine, die gut und nicht teuer sind." Das klingt gut, schönes Wochenende!
Quelle: ntv.de