Rückkehr in den Plattenladen Alpträume, die schön enden
28.09.2007, 21:49 UhrVon Manfred Bleskin
Es gibt da diesen Song von den Lovin' Spoonful mit der Textzeile "What a day for a daydream ". Seit meinem letzten Besuch in meinem Plattenladen ließ mich das Lied - sozusagen seitenverkehrt - nicht mehr los. "What a night for a nightmare " ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Wie schaffst du es bloß, dachte ich, den Alptraum loszuwerden, in das Geschäft zurückzukehren, die Schätze zu heben, von denen die frischgebackene Kundenberaterin geschwärmt hatte und dabei eine ganz plausible Erklärung für das abermalige Übertreten des Plattenkaufverbots meiner Frau zu finden?
Schier unmöglich. Bis ich auf diese Anzeige stieß, in der die neue Scheibe von Mark Knopfler angekündigt wurde. Das war die Gelegenheit. Meine Frau ist ganz gewiss nicht der einzige, aber dafür der größte Dire-Straits- und mithin Mark-Knopfler-Fan unter der Sonne.
"Kill To Get Crimson” ward denn auch rasch in den Korb getan. Das blieb nicht unbemerkt von einem, der gerade vom Heavy-Metal-Regal kam, aussah wie einem Iron-Maiden-Cover entsprungen und nach jenem Bier roch, das unser Nachbar, der Petryjünger, bei seinen Gartenpartys auszuschenken pflegt. Aha, dachte ich, da schließt sich der Kreis. Aus Gründen der Selbstzensur verzichte ich darauf, seine Einlassungen zu Knopfler wiederzugeben. Nachdem ich die Beleidigungen Master Marks und meiner Wenigkeit wegen meines schlechten Geschmacks stoisch hatte über mich ergehen lassen, wusste ich: Da hast du ein sehr gutes Stück Musik gekauft. Songs, sparsam instrumentiert und wenig diresk, fast unplugged, nachdenklich. Es erstaunt, wie einer über nie endende Liebe singen kann, ohne banal oder kitschig zu sein. Oder über einen, der still wie eine Kirchenmaus aus dem Leben geht, und der Leierkastenmann spielt sein Lied dazu.
Der Alptraum jedenfalls war weg. Meine Ladehemmung im Portemonnaie auch. Von Beatles-Drummer Ringo Starr fand ich ein "Best Of ..." mit dem Schönsten, was der Mann je zu Platte gebracht hat. Na ja, mit ein, zwei Ausnahmen vielleicht. Aber das tut der Scheibe keinen Abbruch. Es verwundert immer wieder, wie viel dummes Zeug über die angebliche Talentlosigkeit des als Richard Starkey zur Welt Gekommenen geplappert wird. "Goodnight Vienna" aus der Feder von John Lennon und "Photograph", zusammen mit George Harrison geschrieben, gehören in die "Rock and Roll Hall of Fame" der 70er Jahre. Gute Idee der Herausgeber, den Titelsong von Buck Owens 1989 erschienener Platte "Act Naturally" noch einmal zu veröffentlichen. Ringo hatte dem 1963 von dem Countrymann auf Platz 1 der US Billboard Charts katapultierte Stück auf dem Beatles-Album "Help!" aus 1965 noch einmal ein Denkmal gesetzt. Schwupp, Ringo lag im Korb. Ich hatte den Meister einmal interviewt, das würde daheim schon zur Begründung reichen, warum ich nicht nur die Knopfler-Scheibe erstanden hatte.
"Sie mögen Country Music?", flötete es hinter mir. Es war die Kundenberaterin. Country Music, dachte ich. Warum sagt sie nicht: Westernmusik? Mir war nicht entgangen, dass sie am anderen Ende des Saals einen Trupp Tiger-T-Shirt-gekleideter Damen und Goldkettenbehängter Herren einen Stapel von Frank-Zander-CDs aufgeschwatzt hatte. Das mit dem Wissen um die Musik ist ein verdammter Verkaufstrick, schoss es mir durch den Kopf. Nein, Country liegt mir überhaupt nicht, log ich frech. Sie legte die DVD mit Aufnahmen aus der "Johnny Cash TV Show" wieder ins Regal. Kaum, dass sie mir den Rücken zugewandt hatte, grapschte ich mir das Goldstück. Unwiderstehlich der Inhalt: Cash mit Dylan, Cash mit Louis Armstrong, Cash mit Carl Perkins, Cash mit Roy Orbison, Neil Young, Eric Clapton in Derek-and-The-Dominos-Verkleidung, Hank Williams jr. Viereinhalb Stunden Entertainment vom Allerfeinsten. Wie schön Fernsehen doch sein kann. Oder konnte.
"Where Have All The Good Times Gone?", sinnierte ich. Von den Kinks aber gab's nichts Neues. Alles schon bekannt und gekauft. Und die Kinks gibt's ja auch nicht mehr. Wie Supertramp. Aber die Stimme von Roger Hodgson steht wie die von Ray Davies eigentlich für die Band. Der Mann hat jetzt eine DVD auf den Markt gebracht, mit Songs, die verstehen lassen, warum sich Supertramp-Alben weltweit mehr als 60 Millionen Mal verkauft haben. Sicher: Alles schon bekannt. Aber Hodgons eingängigen Gesang noch einmal inmitten einer begeisterten Fanmenge zu erleben, das musste etwas haben. "Give A Little Bit", "Dreamer", It's Raining Again" und "Take The Long Way Home", das der DVD auch den Titel gibt. The way home, fiel mir ein. Irgendwann musst du den Laden ja auch wieder in Richtung Heimat verlassen.
Vonwegen. Mir fiel eine Scheibe ins Auge, auf der ein dialektischer Titel prangte: "Alte Bekannte". Richtig, so etwas konnte nur von einem wie Hannes Wader stammen. 20 Lieder des Mannes, ohne den das deutsche Liedgut wohl erheblich ärmer wäre, neu arrangiert und eingespielt. Da gleitet er wieder mit Eva übers Eis, lässt Möwen und wilde Schwäne an uns vorüberziehen. Wader erinnert die heuer wieder so unschuldig daherkommenden Preußenfans in der brandenburgischen Landesregierung und anderswo daran, dass das größte deutsche Königreich voller Schatten war: "Exerzieren bis einem der Buckel schwitzt ... und das verfluchte Leben währt den ganzen Tag". Gleiches gilt für die "Moorsoldaten", das Lied von Johann Esser und Wolfgang Langhoff, geschrieben im KZ Börgermoor. Das sollte sich Eva Herman einmal anhören. Dann würde sie vielleicht nicht mehr so einen Blödsinn über die Nazizeit verzapfen. Gut, dass es Menschen gibt, die sich ihre "pläne" nicht durch den vermeintlichen Zeit(un)geist verderben lassen.
Kostbarkeiten, hatte es bei meinem letzten Besuch in dem Etablissement geheißen, hätte es hier. Eigentlich hatte ich erst fünf gefunden. Einen hat er noch. Einen. "Doom & Gloom" war so einer. "Early Songs Of Angst And Disaster", heißt es im Untertitel. Angst? Schade, dass im vergangenen Jahrhundert zumeist böse deutsche Wörter Eingang in den internationalen Sprachgebrauch fanden. Woran die Leute, die Frau Herman so gut findet, nicht ganz unschuldig sind. Die CD - ein Geschichtsbuch. Wenn man unsere Zeit verstehen will, so heißt es, muss man die Bücher unserer Zeit lesen. Für die Angstlieder stimmt das exemplarisch. Da erzählen Meister(innen) wie Blind Willie Johnston oder die Carter Family in Blues- und Bluegrass-Tönen von Schiffs-, Hochwasser- und Bergwerkskatastrophen vom Anfang bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts, beschreiben Furcht eindringlicher - weil kompakter - als es damals in den Zeitungen, Kinos oder Rundfunksendern der Fall war. Etwas fatalistisch aber, wenn Songs über die US-Atomwaffenabwürfe über Japan in die Sammlung von Desasterliedern einbezogen werden. Das passt irgendwie nicht, auch wenn im klugen Begleittext der Unterschied zur Naturkatastrophe herausgearbeitet wird. Sei's drum. Tolle Scheibe, Kostbarkeit. Wie fast alles aus dem Hause Trikont, muss man ja mal sagen dürfen.
Einen hatte er noch. Oder waren es zwei? Schon beim Verlassen des Ladens fiel mein Blick auf ein Cover mit diesem fürchterlich altmodischen gelben Logo, in dem zumeist exzellente Musik steckt. "Canciones Espaolas", Lieder aus der unendlich reichen Tradition der iberischen Halbinsel. Stücke, von unbekannt oder auch aus Sammlungen, die im Auftrag des kastilischen Königs Alfonso X. El Sabio, des Weisen, zusammengetragen wurden. Und die in ihrer musikalischen und sprachlichen Schönheit den Werken eines Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogelweide, Neidhart von Reuental oder Oswald von Wolkenstein in nichts nachstehen. Kongenial interpretiert von der Mezzosopranistin Teresa Berganza, die man aus der Oper kannte; ebenso kongenial auf der Gitarre begleitet von dem flinkfingrigen Gitarristen Narciso Yepes. Frei nach Walther: Swer die "Canciones" vergaez', der taet mir wahrlich leide.
So, nun hatte er keinen mehr. Ich nahm entgegen der Hodgsonschen Empfehlung den kurzen Weg nach Hause. Ich war beim Übertreten des Plattenkaufverbots zwar ein Wiederholungstäter, aber ich hatte ja Mark Knopfler in der Tasche. la prochaine, Plattenladen.
Blind Willie Johnson u.a.: "Doom & Gloom / Early Songs Of Angst And Disaster", CD, Trikont
Hannes Wader: "Neue Bekannte", CD, pläne
Johnny Cash: "The Best Of The Johnny Cash TV Show", 2 DVD, Sony BMG
Mark Knopfler: "Kill To Get Crimson", CD, Mercury Universal
Ringo Starr: "Photograph - The Best Of Ringo", CD, Capitol EMI
Roger Hodgson: "Take The Long Way Home", DVD, Eagle Vision
Teresa Berganza / Narciso Yepes: "Canciones Espaolas - Lieder aus dem Mittelalter und der Renaissance", CD, Deutsche Grammophon
Quelle: ntv.de