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Ohne Archiv ans Licht Alte Schätze auf CD

Es muss etwa 15 Jahre her sein, da sprang mich der Ortsname "Quickborn" an. Hunderte Male hatte ich ihn gelesen, auf den abgegriffenen Schallplattenhüllen, die wie eine schlummernde Klangtruhe den Weg aus der Kindheit durch die Jugend ins junge Erwachsenendasein genommen hatte. Einige Platten waren verschwunden, arg zerkratzt, die Musikkassetten mit der Zeit abgenutzt, aber in Quickborn, dort hatte doch die Fabrik gestanden, von dem Amerikaner. "Miller International", das klang nach "großer Welt". Die Autobahn 7 bei Hamburg verlassen, und da stand es schwarz auf gelbem Grund: Quickborn. Und in Quickborn stieß ich auf Schallplattenschmiede.

Von Miller war in der Nachbarschaft einer Schokoladenfabrik, deren süßlicher Duft schwer über dem sommerlich warmen Gewerbegebiet lag, keine Rede mehr. Ein sogenanntes Major-Label hatte sich die kleinere Firma einverleibt. Aber das Archiv, diese Schätze? Nicht mehr vorhanden, erklärte eine aufgeräumte Produktmanagerin. Ja, die neueren Produktionen, aber die alten Schinken? Wie so oft lag der Schlüssel zum Glück in den Nebenrollen. Der Pförtner, der das Gespräch mit angehört hatte, war zu Miller-Zeiten mit dem Archiv befasst gewesen. "Nach dem Verlauf haben die alles weggeschmissen, alle Bänder – einfach rein in den Container." Noch heute sehe ich ihn vor mir, seine Traurigkeit. Und auch ich muss ziemlich ratlos aus der Wäsche geschaut haben. Denn Hörspiele sind und waren mit viel Herzblut gemacht, dem Herzblut aller Beteiligten.

Eine Geschichte ohne Happy End? Aber nein, irgendwann entdeckten Sammler eBay, und die Schätze der Vergangenheit wurden geborgen. Hier eine sehr gut erhaltene Winnetou-LP, dort ein noch eingeschweißter Till Eulenspiegel, mit genügend Geduld und vor allem Geld wuchs das private Archiv. Preise von mehr als 70 Euro waren für manch seltene Vinyl-Scheibe nicht ungewöhnlich, andere wechselten schon für wenige Euro den Besitzer. Manch einer sah die besten Stücke gar als Geldanlage. Selbst Sammlerfachgeschäfte gründeten sich, wahre Pilgerstätten für Freunde des Hörspiels aus alter Zeit.

Vielleicht sind die besten Sammelstücke immer noch wertstabil. Für wenige Euro sind die Hörspiel-Klassiker von Europa allerdings heute auf CD zu haben. Im Vinyl-Look, teilweise mit den Covern des Originals – einige Hörspiele, die man als Kind nie hatte, sondern im Regal des Plattengeschäfts immer sehnsüchtig bewundert hatte, finden so endlich den Weg in den heimischen Schatz. Mittlerweile hat das Label Europa die vierte Staffel seiner Klassiker veröffentlicht, diesmal mit einem besonderen Highlight: Die erste Europa-Veröffentlichung aus dem Jahre 1965 – "Der Struwelpeter" und "Max und Moritz", gelesen vom unvergessenen Hans Paetsch. Auch die neun weiteren Klassiker der vierten Staffel, darunter die Abenteuer von Ritter Ivanhoe, Pirat Störtebeker oder Seefahrer Sindbad, werden für Gänsehaut sorgen.

Eine Frage bleibt – woher nehmen die Produzenten die Vorlagen für ihre CDs, wo doch keine Archivbänder mehr existieren? Hier kommen nun wieder die Sammler ins Spiel. Die beste zu beschaffende LP oder Musikkassette wurde digital gespeichert, nachbearbeitet und liegt nun als neuer Schatz aus alter Zeit bereit, um kindliche Herzen höher schlagen zu lassen.

Andr Busche

EUROPA -Die Originale: Die vierte Staffel Folgen 31 -40, Sony BMG, 2007, Je CD 7,97 Euro

Quelle: ntv.de

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