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Gary Shteyngart "Super Sad True Love Story" Amerika am nächsten Dienstag

Die USA vor dem Zusammenbruch: Die Chinesen gängeln das Land, die US-Regierung geht brutal gegen Proteste im Central Park vor und mittendrin sehnt sich Lenny Abramov nach Unsterblichkeit und Liebe. "Super Sad True Love Story" von Gary Shteyngart ist eine Zukunftsvision, die schon vor der letzten Seite von der Realität überholt wird.

Da ist er nun, 39 Jahre alt, schlecht gekleidet, leicht übergewichtig, schwitzend und mit schon deutlich grauen Haaren. Und das in einer Gesellschaft, in der nur Jugend, Schönheit und Konsum zählen. In einem Amerika der sehr nahen Zukunft – möglicherweise schon am nächsten Dienstag – hat Lenny Abramov es schwer. Der Sohn russisch-jüdischer Einwanderer, der Bücher liebt, obwohl doch jeder weiß, dass sie stinken, der ein Tagebuch führt und der in jedem Raum regelmäßig einen der letzten Plätze in den Rankings der jederzeit per Mausklick abrufbaren Daten zur sexuellen Attraktivität, dem Cholesterinspiegel und der Bonität belegt, dieser Lenny Abramov hat Träume. Ewiges Leben ist der eine, Eunice Park der andere Traum.

Es ist nicht leicht, auszumachen, welcher Traum der unerreichbarere ist. "Ewiges Leben" ist immerhin das Produkt, das Lennys Arbeitgeber ihren reichen Kunden verkaufen, inklusive Zellerneuerungen und einem immerwährenden jugendlichen Aussehen. "Ewiges Leben ist das einzige Leben, das zählt. Alles andere ist bloß das Kreisen der Motte ums Licht", das ist das Mantra von Lennys Chef Joshie. Und man versteht schnell, warum Lenny seinem ansonsten bedeutungslosen Leben wenigstens durch die Ewigkeit Bedeutung verleihen will. Doch ob seine in der Krise dahin schmelzenden, an Yuan-gekoppelten Ersparnisse für die nötigen "Dechronifizierungsbehandlungen" ausreichen werden, ist mehr als fraglich.

Ebenso unsicher die Aussichten auf ein erfülltes Liebesglück mit der koreanisch-stämmigen Eunice Park. Lenny verliebt sich so sehr in Eunice, wie wohl nur Männer um die 40, mit ersten kahlen Stellen in der Form des Bundesstaates Ohio am Hinterkopf, schönen, knabenhaften, asiatischen Frauen verfallen können, die 15 Jahre jünger sind als sie selbst. Die konsumversessene, von komplizierten Familienverhältnissen gebeutelte Eunice akzeptiert ihn zunächst als kleineres Übel an ihrer Seite. Doch als die Zustände im Land immer bedrohlicher werden und die Regierung mit Panzern der Nationalgarde gegen die sozialen Unruhen vorgeht, ist es seine unvollkommene Menschlichkeit, die ihr Sicherheit gibt. Zumindest vorübergehend.

Das Heute weitergedacht

In "Super Sad True Love Story" entwirft Gary Shteyngart ein Amerika, das nur einen Wimpernschlag von den heutigen Zuständen entfernt zu sein scheint. In Shteyngarts Zukunft ist "Putingrad" die Hauptstadt eines der wirtschaftsstarken BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien und China. Der Dollar ist fest an den Yuan gekoppelt und die USA sind wirtschaftlich so herunterkommen, dass der chinesische Zentralbankchef das Land ungestraft als instabil und kaum regierbar schelten darf.

Gary Shteyngart gilt als Visionär und Analyst der US-amerikanischen Zustände.

Gary Shteyngart gilt als Visionär und Analyst der US-amerikanischen Zustände.

(Foto: Brigitte Lacombe/ Rowohlt Verlag)

Doch die Menschen kümmert dies nur am Rande. Sie sind mit Konsum und ihren Rankings in ihren "GlobalTeens-Accounts" beschäftigt. Das ganze Leben reduziert sich auf ihre modischen "Äppäräte", die iPhones wie ein Telefon mit Wahlscheibe erscheinen lassen. Die "Äppäräte" dienen nicht nur der Kommunikation, sondern auch der vollständigen sozialen Kontrolle – sie verraten dem Gegenüber alles über das Einkommen, die Gesundheit, den Charakter oder den "Fickfaktor" des Trägers.

Gary Shteyngart denkt in "Super Sad True Love Story" eine Ecke weiter. Und genau hier liegt auch das Problem dieses Buches. Denn so prophetisch manche Erzählstränge, wie etwa der Aufstand der Vermögensschwachen im Central Park, sind, so vorhersehbar wirken andere Ideen. So verraten unsere aktuellen Smartphones vielleicht noch nicht alles über uns, doch nach ein paar Mausklicks im Internet ist der Informationsstand schon ein anderer. Anspielungen auf reale Schlagzeilen wie die über den Milliardenbetrüger Bernie Madoff und sein "jüdisches Schneeballsystem, das viele Synagogen um ihre Geld brachte", verlieren nur ein Jahr nach der englischen Erstausgabe schon fast ihre Pointe.

Und die Liebesgeschichte? Die funktioniert, trotz einiger rührender Momente, wahrscheinlich doch nur für eine bestimmte Zielgruppe. "George Orwell trifft Woody Allen", verspricht das Cover seinen Lesern. Ja, vielleicht. Vielleicht trifft auch Matt Ruff auf Maxim Biller. Und ganz bestimmt ist dieses Buch nur etwas für ausgesuchte Leser.

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Quelle: ntv.de

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