"Nur im Kontext zu Reichtum zu verstehen" Armut in Deutschland
17.08.2009, 11:29 Uhr"Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird" ist der Titel des neuen Buches von Christoph Butterwegge, in dem er Armut als ein Phänomen beschreibt, das nie unabhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen existiert.

(Foto: picture-alliance/ dpa)
Auch in diesem Jahr wird das Realeinkommen der Lohnabhängigen in Deutschland sinken. Das Einkommen aus Kapitalvermögen hingegen wird trotz der Krise steigen. Ebenso wie die Armut. Es muss schlimm stehen, wenn sogar das Kieler Institut für Weltwirtschaft die Einführung einer Vermögenssteuer befürwortet. Christoph Butterwegge geht dem Phänomen "Armut" in einer von ihm gewohnt akribischen Weise auf den Grund.
"Armut ...", so schreibt der Kölner Professor, "existiert ... nie unabhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen, die sie umgeben." Dem Argument neoliberaler Apologeten, Armut wäre in Deutschland etwas völlig anderes als, zum Beispiel, in Afrika begegnet er mit der Feststellung, dass "Armut nicht aus sich heraus, sondern nur im Kontext ihres Gegenstücks, des Reichtums ... zu verstehen ist".
Leben ohne festen Erwerb führt zum Ausschluss
Kritisch geht das frühere SPD-Mitglied mit der rot-grünen Bundesregierung ins Gericht: Der "massenhafte Bezug und die sich verfestigende Abhängigkeit vieler Menschen von Sozialhilfe (werde) nicht ... als Folge bzw. Ausdruck der wachsenden Armut (begriffen), sondern als ... (Teil-)Erfolg des Wohlfahrtsstaates bei der Armutsbekämpfung" angesehen. Dies gilt auch für die derzeitige Koalition.
Die Aussage des Sozialwissenschaftlers und Berater des einstigen CDU-Generalsekretärs Kurt Biedenkopf, Meinhard Miegel, "ein gewisses Maß an Arbeitslosigkeit für die Betroffenen zwar hart, für die Bevölkerung insgesamt jedoch eher förderlich" wäre, nennt Butterwegge zurecht "gezielt betriebene Entsolidarisierung". Der Autor arbeitet heraus, dass ein Leben ohne festen Erwerb zum Ausschluss immer breiterer Schichten der Gesellschaft von kultureller und politischer Teilhabe führt. Dieser besorgniserregende Umstand hat auch die so genannte Mittelschicht erfasst. Das ist zweifellos Resultat neoliberaler Praxis und für Deutschland neu. Mittelfristig stellt dies eine Gefahr für den Bestand der Demokratie dar.
Nur bedingt zugestimmt werden kann seinen Aussagen zur "dualen Armutsstruktur", die sich "seit geraumer Zeit" in Deutschland wie zuvor schon in anderen westlichen Industriestaaten herausgebildet habe: "Den armen Erwerbslosen, die aufgrund zu niedriger oder fehlender Lohnersatzleistungen auf das Existenzminimum zurückgeworfen werden, sind die erwerbstätigen Armen zur Seite getreten, deren Lohn für ein Leben in gesichertem Wohlstand nicht mehr ausreicht." Dieser Zustand ist eher systemtypisch, seit der Kapitalismus sein Fortbestehen mit sozialen Gerüsten sichert, wenn er auch in verschiedenen Entwicklungsphasen unterschiedlich stark ausgeprägt war.
Neu ist vielmehr, dass dieser Zustand dauerhaft zu werden droht, von den Regierenden nachgerade als axiomatisch betrachtet wird und durch Diskussionen um ein mehr oder weniger an Hartz-IV-Leistungen, eine Rente mit 67 oder 69 kleingeredet wird.
Zwei Wege, um die Armut zu überwinden
Zur Überwindung der Armut schlägt Butterwegge zwei Wege vor, die miteinander "kombinierbar" wären: "1. die Um- bzw. Neuverteilung des Reichtums durch eine andere Wirtschafts-, Finanz-, Familien- und Sozialpolitik ...; 2. die Umstrukturierung des Gesellschaft im Sinne eines umfassenden Ausbaus der sozialen Infrastruktur und einer Perfektionierung der öffentlichen Daseinsfürsorge mit dem Ziel, die Bedeutung der Einkommens- und Vermögensunterschiede generell zu verringern."
Butterwegges Schrift sollte einer künftigen Bundesregierung als Handbuch dienen. Doch – nicht nur, aber auch - angesichts der jüngst bekannt gewordenen Pläne aus dem Hause Guttenberg steht eher zu befürchten, dass die nächste – im Einzelnen wie auch immer zusammengesetzte – Koalition nach Miegelschem Ratschlag darauf hinarbeiten wird, "die tradierte Arbeitnehmergesellschaft zu überwinden und eine eigenverantwortliche Bürgergesellschaft aufzubauen" und damit einen weiteren Schritt in Richtung Demokratiegefährdung in Deutschland geht.
Christoph Butterwegge: "Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird", Campus Verlag, Frankfurt am Main 2009, 378 S.
Meinhard Miegel mit Stefanie Wahl: "Solidarische Grundsicherung, Private Vorsorge - Der Weg aus der Rentenkrise, Schriften des IWG BONN, Olzog-Verlag, München 1999, 188 S.
Quelle: ntv.de