Bücher

"Audi-Ikonen" zum Niederknien Auto-Erotik im Zeichen der vier Ringe

Ein Hingucker: Audi Avus Quattro.

Ein Hingucker: Audi Avus Quattro.

(Foto: Thomas und Maryla Schlegel)

Wunderschön geschwungene Linien, wohlgeformte Hinterteile, markante und im Gedächtnis bleibende Gesichter und Augen, die den Betrachter verschlingen wollen: Wer so etwas sehen will, muss nicht zu einer Miss-Wahl. Ein Bildband reicht dafür aus. Opulent aufgemacht, zeichnet er mit faszinierenden Automobilen eine bewegende Geschichte nach.

Was ist eine Ikone? Laut altgriechischer Definition ist sie ein "Bild" oder "Abbildung" und geht auf das orthodoxe Christentum und das 6. Jahrhundert zurück. Seitdem hat sich die Bedeutung gewandelt und immer wieder angepasst an den jeweiligen Zeitgeist. Heute sind Ikonen nicht mehr nur sakrale Kunst. Die Bedeutung des Wortes wurde aufgebrochen und erweitert. Ikonen sind nun vielmehr Ausdruck für den Kultstatus. Sie stehen für die Verehrung des Besonderen und Außergewöhnlichen. Im übertragenen Sinn verkörpern sie Kontinuität, Einfachheit und Langlebigkeit.

"Audi Ikonen" ist im Verlag Delius Klasing erschienen.

"Audi Ikonen" ist im Verlag Delius Klasing erschienen.

(Foto: Delius Klasing)

Heute können Menschen Ikonen sein oder auch Produkte zum Kultobjekt werden. Letztere erhalten ihren Ikonen-Charak ter durch die Vollkommenheit ihrer Funktionalität oder ihres einzigartigen Designs. Auch die Zeit gewinnt als Ikonen-Kriterium in unserer schnelllebigen Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Eine Ikone ist zweifelsohne zeitlos, prägt aber gleichzeitig einen gewissen Zeitraum, ist also auch epochal. Ob etwas eine Ikone ist, liegt an der subjektiven Wahrnehmung jedes Einzelnen. Für mich sind die Automarke Audi und die unzähligen Modelle ihrer mehr als 100-jährigen Geschichte Ikonen.

Die Verehrung der vier Ringe hat ihren Ursprung bei mir kurz nach der Wende. Das erste "Westauto", das unseren Wartburg ablöst, ist ein Audi 100 mit Fünfzylinder-Motor, Baujahr 1979. Obwohl bereits in die Jahre gekommen, wirkt das kantige Design zeitlos, was wohl auch daran liegt, dass es über mehrere Jahrzehnte den Audi-Stil prägt. Im Fachjargon heißt es "horizontal orientiertes Quaderdesign". Eckig kommt es daher und ist dennoch windschnittig. Die Kraft der fünf Zylinder spielt unser erster Audi nicht lange aus. Am Ende läuft er nur noch auf drei Töpfen. Er wird irgendwann durch einen BMW abgelöst. Dabei hat nicht sehr viel gefehlt und die Marke Audi hätte es bereits Ende der 1960er nicht mehr gegeben.

"Schau hin" und "Horch"

Die Ursprünge reichen bis 1904 zurück, als August Horch in Zwickau die Horch-Werke gründet. 1909 gründet er zudem die Marke Audi, denn nach einem Streit in der Firma braucht der deutsche Autopionier einen neuen Namen für seine Luxusfahrzeuge. Erst will Horch sie "Ecce" (Schau hin) nennen, in Anspielung auf ihre Schönheit. Am Ende wird es "Audi", das lateinische Wort für Horch.

Der Horch 853 gehörte zu den schönsten klassischen Wagen seiner Zeit, ein Sportcabriolet par excellence.

Der Horch 853 gehörte zu den schönsten klassischen Wagen seiner Zeit, ein Sportcabriolet par excellence.

(Foto: Thomas und Maryla Schlegel)

Dem automobilen Aufschwung in den Goldenen Zwanziger Jahren folgt die schwierige Zeit der Weltwirtschaftskrise. Ihr ist die Gründung der Auto Union AG geschuldet, in der sich die vier Automobilhersteller Audi, Horch, DKW und Wanderer zum zweitgrößten A utokonzern des Landes zusammenschließen. Alle Marken werden fortgeführt, ihre Ursprünge liegen im sächsischen Industriezentrum Chemnitz-Zwickau.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es die Auto Union AG nicht mehr. In Ingolstadt gründet sich 1949 die Auto Union GmbH. Ihr Pendant in Zwickau heißt Industrieverwaltung Fahrzeugbau (IFA). Eine Zeit lang entstehen im Westen und Osten nach außen hin baugleich scheinende Automobile unter dem Namen DKW F9 und IFA F9. Der Unterschied liegt unter dem Blechkleid: Während in Zwickau der Dreizylinder-Zweitakter als Motor verbaut wird, ist man in Ingolstadt lange nicht in der Lage, diesen zu entwickeln. Stattdessen greift man auf den Zweizylinder-Motor des DKW F8 aus der Vorkriegszeit zurück. Beiden Modellen liegt aber eine Idee zugrunde: Massenproduktion.

Schauspielerin Magda Schneider posiert mit einem DKW PS 600 S.

Schauspielerin Magda Schneider posiert mit einem DKW PS 600 S.

(Foto: Thomas und Maryla Schlegel)

Darauf fußt auch der Erfolg der Auto Union GmbH in den ersten Jahren der Nachkriegszeit. Viele Bürger im Westen verbinden die Auto Union mit der Marke DKW, was vor allem an den noch zahlreich umherfahrenden Vorkriegsmodellen sowohl auf zwei als auch auf vier Rädern liegt. Der Zweitaktmotor, technisch anspruchslos und robust, liefert ein weiteres Kaufargument.

Erst in den späten 1950ern bekommt DKW und damit auch die Auto Union GmbH Probleme. In der Wirtschaftswunderzeit sind Investitionen nötig, um weiter wachsen und erfolgreich sein zu können. Friedrich Flick, der 41 Prozent an der GmbH hält, bringt einen Zusammenschluss mit Daimler unter Dach und Fach. An Daimler ist Flick mit 38 Prozent beteiligt. Dieser Coup verschafft der Auto Union Zeit. Doch die DKW gelten dank der überlebten Zweitakt-Technik als veraltet. Selbst der völlig neu entwickelte und auf höchstem technischen Niveau basierende F 102 ist Anfang der 1960er ein Flop. Daimler will die Tochter loswerden. Ein Interessent steht Gewehr bei Fuß: Volkswagen.

Der Designer Matthias Kaluza widmete gemeinsam mit einem Fotografenteam dem Projekt "Audi Ikonen" mehr als zwei Jahre.

Der Designer Matthias Kaluza widmete gemeinsam mit einem Fotografenteam dem Projekt "Audi Ikonen" mehr als zwei Jahre.

(Foto: Matthias Kaluza, Delius Klasing)

Die Wolfsburger sind aber weniger am Automobilbau der GmbH interessiert, sondern vielmehr am modernen Produktionsstandort Ingolstadt. Mitte der 1960er ist es soweit. Volkswagen gr eift zu - und schon rollen Hunderttausende Käfer in Oberbayern vom Band. Gleichzeitig arbeitet die Auto Union an einem neuen Mittelklasse-Konzept, basierend auf dem F 102, aber mit Viertakt-Motor. Der Typ F 103 soll zudem nicht unter dem vorbelasteten DKW-Kürzel erscheinen, sondern als Audi. Das soll die vollkommene Neuausrichtung verdeutlichen. Der "Ur-Audi" ist geboren - und ein Erfolg. Sein Nachfolger ist 1972 der Audi 80.

Allerdings hängt die Eigenständigkeit der Auto Union am seidenen Faden. Jede neue Entwicklung muss in Wolfsburg abgesegnet werden. Und die Mutter hätte lieber heute als morgen die Auto Union eingestellt und sich lediglich die Produktionsstätte Ingolstadt einverleibt. Eine "Schwarzentwicklung" bringt die Wende zum Guten.

Neue Symbolik ab 1934: Wanderer-Markenzeichen und das geflügelte "W" in Kombination mit den Vier Ringen

Neue Symbolik ab 1934: Wanderer-Markenzeichen und das geflügelte "W" in Kombination mit den Vier Ringen

(Foto: Thomas und Maryla Schlegel)

Der Typ 104 wird klammheimlich vom Auto-Union-Chefentwickler Dr. Ludwig Kraus auf die Beine gestellt. Erstmal s verzichtet man auf eine DKW-Karosserie und den Einsatz von Mercedes-Motoren. Ein komplett neu entwickeltes Fahrzeug soll entstehen, deutlich größer als der "Ur-Audi". Sein Design, das völlig unamerikanisch, glattflächig und mit einer strengen Linienführung daherkommt und Leichtigkeit und Eleganz verkörpert, kommt in der Öffentlichkeit an - und auch beim VW-Konzernvorstand. Das Entwicklungsverbot wird aufgehoben. Die dezente Trapezlinie des Typs 104, der als Audi 100 auf den Markt kommt, wird für Jahrzehnte zum Markenzeichen der Audi-Modelle. 800.000 Audi 100 rollen bis 1976, als der Nachfolger kommt, vom Band.

Ein Buch zum Niederknien

Mit dem Nachfolger fuhren wir nach der Wende in eine neue gesamtdeutsche Zukunft. Dem BMW folgte ein Audi A4. Und der fährt bis heute noch. Die Zeit, die zwischen diesen beiden Modellen liegt, ist nahezu genauso spannend wie die Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit. Audi ist heute die einzige Marke der einstigen Auto Union. Ihre gemeinsame Geschichte macht sie gleichsam zu Ikonen - nicht nur für mich, sondern auch für Matthias Kaluza.

Mit seinem bei Delius Klasing erschienen Bildband "Audi Ikonen" beweist er das. Auf mehr als 450 Farb- und 130 Schwarz-Weiß-Fotos liefert er Auto-Erotik im Zeichen der Vier Ringe - von eleganten und luxuriösen Vorkriegsmodellen bis hin zu sportlichen Nachkriegsfahrzeugen und hochmodernen Konzepten.

Autos der Marken Horch, DKW, Wanderer, NSU und Audi von 1905 bis 2011 lassen das Herz jedes Auto-Fans höher schlagen, in dessen Adern Audi-Blut fließt. Sei es der Audi Front 225 Roadster, der mit seiner "Schneewittchen"-haften Grazie aus schneeweißem Blechkleid, pechschwarzem Lenkrad und blutroten Ledersitzen verzaubert oder auch der pure Kraft verströmende Wanderer S, der unprätentiöse DKW Front F1 oder der bullig-wuchtige Horch 850 - jedes einzelne Modell ist ein Kultobjekt, ein Abbild an Vollkommenheit und Funktionalität. Zeitlos. Eine Ikone eben, eine "Audi Ikone". Dafür vielen Dank, Herr Kaluza!

"Audi Ikonen" bei Amazon bestellen

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen