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Wiedergutmachung Biographie: Inge Müller

Sie war die Frau des Dramatikers Heiner Müller und stünde sicher heute selbstverständlich neben Autorinnen wie Christa Wolf oder Brigitte Reimann, wenn sie sich nicht 1966 erst 41-jährig das Leben genommen hätte. Sie galt als depressiv, ihre Ehe mit Heiner Müller als problematisch. Mit dieser vorsichtig formuliert "einseitigen" Sicht, konnte man Ingeborg Meyer (so wurde sie geboren) kaum gerecht werden.

Im März wäre sie 80 Jahre alt geworden und so ist die von Sonja Hilzinger vorgelegte Müller-Biographie "Das Leben fängt heute an" auch ein Versuch der Wiedergutmachung an einem Leben. Die Germanistin Hilzinger nähert sich dem Kind Ingeborg mit seiner Herkunft aus dem Berliner Arbeitermilieu mit einer liebevollen Großmutter und einer distanzierten Mutter. Sie zeigt das typische Kriegskind, im Januar 1945 noch als Luftwaffenhelferin eingezogen, verschüttet im Bombenhagel der letzten Kriegstage, eine Überlebende, Trümmerfrau.

Was dieses Verschüttetsein und der Verlust der Eltern für die junge Frau bedeutet haben, macht Hilzinger an Müllers Werk deutlich. Da hat ein Mensch das Vertrauen ins Leben verloren und kann diese Tatsache für einige Jahre in der künstlerischen Arbeit kompensieren. Müllers depressive Grundstimmung und die problematische (Arbeits-)Beziehung zu Heiner Müller haben ihr Leben sicher belastet, Hilzinger reduziert Müller aber nicht auf diese beiden Säulen. Sie beschreibt eine Künstlerin auf der Suche nach politischer Heimat, literarischer Form und persönlichem Glück.

So begegnet der Leser einer vielseitigen Frau, Müller schrieb Gedichte und Kindergeschichten, Hörspiele und Dramen, und sie entwarf zumindest ein Prosawerk, für das ihr am Ende der Lebenswille fehlte. Hilzinger ist es ein besonderes Anliegen, das Autorenpaar Müller zu zeigen, Heiner Müller kann bei ihr nicht länger der begabte Dramatiker bleiben, der über eine etwas komplizierte Ehefrau verfügte. Anhand von Arbeitspapieren belegt Hilzinger, wie Inge Müller wesentliche Teile des dramatischen Werkes nicht nur vorangetrieben, sonder mitgeschrieben hat und wie Heiner Müller diese Tatsache im Laufe der Zeit immer weniger wahrhaben wollte.

Hilzinger beschreibt eine Süchtige, die auch dem DDR-Kulturbetrieb immer weniger entgegen zu setzen hatte und die dennoch eine Lebenstüchtigkeit an den Tag legte, die für die Kriegskinder so typisch ist. Hilzinger hat für ihr Buch sorgfältig recherchiert, verliert sich nur manchmal allzu sehr in der Textanalyse. Dennoch wünscht man Müller die so lange überfällige Wiederentdeckung, wenn diese Biographie ein Einstieg dazu ist, hat Hilzinger ihr Ziel sicher erreicht. Und vielleicht ist Müller nach dem Krieg doch nicht "zufällig übrig geblieben", wie sie es selbst in einem frühen Gedicht vermutete.

Sonja Hilzinger: "Das Leben fängt heute an", Aufbau-Verlag, Berlin. 302 Seiten., 22,90 Euro

Quelle: ntv.de

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