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Bilder einer vergangenen Welt Brutales, wunderbares Istanbul

Istanbul ist ebenso die Stadt des Fotografen Ara Güler wie die des Schriftstellers Orhan Pamuk. Der eine gibt der Stadt einen Blick, der andere eine Sprache.

Gülers Bilder der Stadt enstanden zu einer Zeit, als Istanbul noch weit entfernt war von der heutigen Metropole.

Gülers Bilder der Stadt enstanden zu einer Zeit, als Istanbul noch weit entfernt war von der heutigen Metropole.

Eine windschiefe Häuserzeile, jede einzelne Haus wirkt, als sei es auf sehr abenteuerliche Weise zusammengefügt worden und als werde es nun nur noch von einer Wäscheleine voller Handtücher und Herrenunterhemden zusammengehalten, davor eine Kinderbande, keines der Kinder ist wohl älter als acht, alle in etwas verschossener Kleidung, aber ganz offenbar sehr glücklich in irgendein Spiel vertieft. Das Foto hat Ara Güler 1975 im Istanbuler Stadtteil Fatih gemacht.

Istanbul ist Gülers Stadt, 1928 wurde er hier geboren, seit 1947 hat er die Stadt immer wieder fotografiert, nicht so sehr in ihren Postkartenansichten, eher ihre Seele. Beinahe reportagehaft wirken seine Bilder aus den 1940-er bis in die 1980-er Jahre hinein, die nun einem "Istanbul"-Bildband erschienen sind. Güler sieht und fotografiert Fischer, die nach der Arbeit schwatzend beieinandersitzen, Bürgersteige, auf denen Fische feilgeboten werden, in Kneipen trinkende Arbeitslose, Kinder, die in den Ruinen der Stadtmauer Autoreifen flicken, "Arbeitermärkte", auf denen die Arbeitslosen der Stadt mit der Mütze in der Hand darauf warten, dass sie vielleicht für einen Tag auf einer Baustelle gebraucht werden. Unebene Gehsteige mit Kopfsteinpflaster, Straßenverkäufer, die ihre Waren an einer Tragestange balancieren, Lastesel und Brotausträger, Kinder, die zwischen aufgehängter Wäsche Murmeln spielen.

Visuelles Gedächtnis voller Poesie

Die Bilder sind nur karg beschriftet, eine Karte am Ende des Buches gibt aber die Möglichkeit, den Entstehungsort jedes Bildes fast metergenau zu lokalisieren. Das Geschehen im Bild jedoch muss sich der Betrachter selbst erschließen, ist der Mann ein Besenbinder oder ein Straßenfeger? Besucht der Junge seinen Vater in der Werkstatt oder arbeit er schon selbst dort?

Es ist ein Istanbul, das noch weit entfernt von der modernen Metropole der Jetztzeit ist. Aus vielen Bildern spricht Armut und Überlebenskampf, die Menschen auf ihnen wirken oft müde und verbraucht, wie die Gassen durch die sie ziehen. Orhan Pamuk, der türkische Literaturnobelpreisträger und ebenfalls ein Istanbuler, hat zu Gülers Bildern einige Gedanken formuliert. Er teilt mit Güler die Erinnerung an eine Atmosphäre der Stadt, an eine Energie, die er nun in aller Poesie und Vielfalt in diesen Fotos wieder findet.

Gülers "unermessliches Archiv stellt das visuelle Gedächtnis eines halben Jahrhunderts Stadtgeschichte dar", schreibt Pamuk, doch die Bilder gehen in ihrem Gehalt weit über die Stadtgeschichte hinaus. Sie zeigen eine Liebe für die Menschen, ihre Vitalität und ihren Überlebenswillen, die tief berührt.

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Quelle: ntv.de

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