Eisner, Gott und die Dropsie Avenue Der Mann, der Superman bekämpfte
25.12.2010, 08:37 Uhr
New York, Dropsie Avenue - Andreas C. Knigge nennt die Straße einen der mythischen Orte der Comicgeschichte.
(Foto: Carlsen Verlag Hamburg 2010)
Eine Mietskaserne in der New Yorker Dropsie Avenue gehört zu den magischen Orten der Literaturgeschichte. Comic-Genie Will Eisner erschafft hier eine kleine Welt, mit all ihrer Liebe und Gewalt. Außerdem erfindet er die Graphic Novel. Und Gott hilft dabei.
Will Eisner hat Superman besiegt. Fast zumindest. Mit Hilfe von Gott. Denn ausgerechnet mit Gott musste Frimme Hersh einen Vertrag schließen. Doch als seine Ziehtochter stirbt, macht er dem Allmächtigen Vorwürfe. Allerdings hätte er wissen sollen, dass mit Gott nicht zu spaßen ist. Doch Frimme ist so wütend, dass er den Vertrag aufkündigt und sein Leben ändert – aus dem freundlichen, gläubigen Juden wird der so rücksichtslose wie steinreiche Immobilienspekulant. Und dann, auf dem Höhepunkt seiner Macht, lässt er einen neuen Vertrag mit Gott aufsetzen. Doch dieser hat seine eigenen Pläne mit Frimme.
"Ein Vertrag mit Gott" heißt diese Comic-Kurzgeschichte. Zeichner Will Eisner brachte sie 1978 heraus, zusammen mit drei weiteren Geschichten. So weit, so gut, möchte man meinen. Doch tatsächlich trat Eisner mit dieser Veröffentlichung eine kleine Comic-Revolution los, die die Vormachtstellung der Superhelden á la Super-, Bat- und Spiderman in Frage stellte. Das Buch gilt als erste "Graphic Novel" und Eisner machte unmissverständlich klar, dass sein Werk etwas anderes wollte, als Kinder zu unterhalten.
Comics für Erwachsene
Eisner, nach dem einer der renommiertesten US-Comicpreise benannt ist, den er witzigerweise dann selbst mehrmals gewann, wollte eine anspruchsvolle Geschichte erzählen, die sich an Erwachsene richtet und traditionelle Vorgaben wie Seitenanzahl und Bildanordnung ignoriert. Dazu erschien sein Werk statt in einem Comicverlag in einem kleinen literarischen Verlag. Und um den Lesern zu zeigen, dass dies kein Kindercomic war, ließ er den Begriff "Graphic Novel" auf das Cover drucken. Es war die Geburt eines neuen Genres, das heute auch in Deutschland seinen – nicht ganz unumstrittenen – Siegeszug angetreten hat.
Der Carlsen-Verlag macht nun mit einer dreibändigen Retrospektive die frühen Graphic Novels von Eisner endlich wieder zugänglich. Im ersten Band, "Ein Vertrag mit Gott", finden sich neben der erwähnten Kurzgeschichtensammlung zudem die Geschichtensammlung "Lebenskraft" als auch das epische "Dropsie Avenue".
Später nannte Eisner die "Relevanz der Themen" und die "Innovation der Darstellung" als Kriterien der Graphic Novels. Für beides bildet "Ein Vertrag mit Gott" die Blaupause, auch wenn Eisner sicher nicht der einzige und erste Künstler war, der inhaltlich und graphisch anspruchsvolle Comics zeichnete. Doch die Formensprache, die er entwickelte, beeinflusst bis heute unzählige Zeichner.
Einerseits ist es die genaue und vielfältige Gestik, die Eisners Stil ausmacht, wie er die einzelnen Charaktere einführt und entwickelt. Andererseits ist es die atmosphärische, detailgetreue Darstellung mit ihrer typischen Schraffierung, die immer wieder fasziniert. Dazu löst Eisner die klassische Panelaufteilung auf. Gerade in "Ein Vertrag mit Gott" nehmen die Bilder oft ganze Seiten ein, Text und Zeichnungen ergänzen sich zu einem grandiosen Ganzen.
Gewalt, Alkohol und Sex

Will Eisner wurde 1917 in Brooklyn geboren, er starb 2005 in Fort Lauderdale nach einer Bypass-Operation.
(Foto: Carlsen Verlag Hamburg 2010)
Doch auch in der Handlung geht Eisner neue Wege. Im Zentrum steht dabei oft die fiktive Dopsie Avenue in der New Yorker Bronx. Hier lebt nicht nur Frimme Hersh, der mit Gott hadert, sondern auch der Hausmeister, der in seiner Einfalt und Einsamkeit zum Opfer eines frühreifen Mädchens wird, hier beginnt ein Straßensänger eine Affäre mit einer verwelkten Diva. Eisner selbst ist als Sohn jüdischer Einwanderer in der Bronx aufgewachsen, und er hat sich die Lebensumstände genau angeschaut. Er schildert die Gewalt, den Alkohol und den Sex. Und doch geht er dabei stets liebe- und verständnisvoll mit seinen Figuren um.
Sind die Geschichten aus "Ein Vertrag mit Gott" noch literarische Skizzen, die menschliche Abgründe zeigen, wird "Dropsie Avenue" von 1995 zur Great American Novel der Comics. Über etwa 150 Jahre erzählt Eisner die Geschichte der Straße vor dem Hintergrund amerikanischer Geschichte. Gerade New York als Schmelztiegel verschiedenster Menschen zeigt sich hier: Auf Niederländer folgen Engländer und Iren, Juden und Italiener, Deutsche, Schwarze und Hispanos. Die Straße erlebt dabei Aufschwung und Niedergang. Dieses Sittenbild der US-Gesellschaft zeigt die Menschen und ihre Schicksale, die miteinander verwoben sind, erzählt von Gewalt und Liebe, Prosperität und Abschwung und streift ganz nebenbei Themen wie soziale Konflikte, Rassismus und Gentrifizierung.
Prototypen der Graphic Novel

"Ein Vertrag mit Gott" ist im Carlsen Verlag erschienen, hat 508 Seiten im Hardcover mit Lesebändchen und kostet 36 Euro (D). Die schwarz-weißen Zeichnungen wurden braun eingefärbt.
Eisner hat mit dem psychologischen "Ein Vertrag mit Gott" und dem epischen "Dropsie Avenue" zwei Prototypen für Graphic Novels geschaffen. Graphisch hat er die Grenzen dabei immer wieder verschoben. Inhaltlich hat er schließlich seine New Yorker Heimat hinter sich gelassen: Seine letzte Graphic Novel handelte etwa von Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Protokolle der Weisen von Zion.
Die dreibändige, im Hardcover edel aufgemachte Eisner-Retrospektive bei Carlsen wird mit den Bänden "New York" und "Lebensbilder" im Jahr 2011 abgeschlossen. Zusammen mit der Wiederveröffentlichung von Eisners früher, umjubelter Superhelden-Schöpfung "The Spirit" (erschienen 1940 bis 1952, deutsch bei Saleck Publications) sind die bedeutendsten Werke eines der wichtigsten Comic-Künstler endlich wieder erhältlich.
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Mehr Hintergrundinfos über Will Eisner und sein Werk gibt es in der gerade erschienenen Ausgabe 53 von "Reddition", der Zeitschrift für graphische Literatur.
Quelle: ntv.de