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"Twitteratur" schreibt die Klassiker neu Der alte Mann und das Funkloch

Klassiker der Weltliteratur in Form von Twitter? Mit 140 Zeichen? Puristen werden Sturm laufen. Dabei ist "Twitteratur" ein großer Spaß. Denn hier twittern Hamlet, Don Quijote, Lady Chatterley und Harry Potter noch selbst. Und der alte Mann ärgert sich über Funklöcher auf dem Meer.

Lady Chatterley teilt mit: "Ich will einfach nur vögeln!" - "jeden Tag, den ganzen Tag".

Lady Chatterley teilt mit: "Ich will einfach nur vögeln!" - "jeden Tag, den ganzen Tag".

(Foto: REUTERS)

Alle reden über Twitter. Oder besser: Alle twittern über Twitter. Der Kommunikationsdienst hat sich, manchen Unkenrufen zum Trotz, etabliert. Wer es nicht kennt: In 140 Zeichen kann man seinen Lesern neuste Begebenheiten, Erlebnisse oder gerade entdeckte Internetvideos kundtun. Dass es dabei nicht immer um tiefschürfende Gedanken geht, kann man sich denken - und entsprechend heftig ist auch immer wieder der Aufschrei von Puristen.

Ja, ganze Romane wurden bereits per Twitter geschrieben. Dass manch Büchernarr da nicht nur das Abendland, sondern die gesamte Weltliteratur am Abgrund sieht, ist klar. Denn, wie bitteschön hätten bei gerademal 140 Zeichen Dostojewski und Mann ihre Werke schreiben oder Cervantes von den Abenteuern Don Quijotes berichten sollen?

Von Shakespeare bis Dan Brown

Alexander Acimen und Emmett Rensin, beide Anfang 20, haben sich daran gemacht, wichtige Werke der Weltliteratur in 140 Zeichen zu verarbeiten. Herausgekommen ist "Twitteratur", erschienen im Verlag Sanssouci. Und die beiden kennen dabei keine Scham: Von "Ilias" und "Göttlicher Komödie" über "Hamlet" und "Die Leiden des jungen Werther" bis "Harry Potter" und "Sakrileg" haben sie sich so gut wie jede Literaturepoche und jeden Klassiker vorgenommen. Wobei angesichts der beiden Studenten der Chicagoer Universität die US-Literatur durchaus großen Raum einnimmt. Mehr als 70 Werke werden so in jeweils mehreren Einträgen, also Tweets, präsentiert.

Doch, wer glaubt, mit dem Buch die Abkürzung für die nächste Klassenarbeit nehmen zu können, irrt sich gewaltig. Denn in den einzelnen Tweets wird nicht etwa die Handlung einfach nachgeplappert - das wäre nun wirklich zu billig gewesen. Viel mehr lassen die offensichtlichen Vielleser Acimen und Rensin die Protagonisten selbst twittern. Deshalb erschließt sich der Spaß des Buches vor allem denen, die die Werke selbst gelesen haben, oder zumindest davon gehört haben und Autor und Buch einordnen können.

"Twitteratur" ist im Sanssouci-Verlag erschienen, hat 208 Seiten im festen Einband und kostet 12,90 Euro (D).

"Twitteratur" ist im Sanssouci-Verlag erschienen, hat 208 Seiten im festen Einband und kostet 12,90 Euro (D).

So schimpft Holden Caufield auf seine Mitmenschen ("Natürlich auch ein Blender."), Lady Chatterley twittert explizit über ihre Affäre mit dem Landarbeiter ("Wir haben es in einer Hütte getrieben, alles andre als schlapp!") und Robinson Crusoe berichtet, wie er Freitag begegnet ist ("Hab nen Kannibalen gerettet."). Und da ist Macbeth, der an seine Frau gerichtet twittert: "@LadyMac: AN DEINEN HÄNDEN IST NICHTS, DU HAST SIE DOCH SCHON HUNDERTMAL GEWASCHEN!!" Und wenn Harry Potter ab Band 3 von seinem Widersacher ziemlich genervt ist ("OMFG SCHON WIEDER VOLDEMORT."), kann man das gerne auch als subtile Kritik an der heutigen Fotsetzungs-Manie lesen.

Benutzerkonto gelöscht

Das ist oft ziemlich amüsant, am meisten, wenn Twitter und die moderne Internet-Kommunikation selbst auf die Schippe genommen werden. So schimpft Hemingways alter Mann etwa über die Funklöcher auf dem Meer, Anna Kareninas Benutzerkonto wird am Ende schlichtweg gelöscht und Hamlet sinniert: "Sein oder Nichtsein? Kann man sich über das irdische Dasein hinaustwittern?". Franz Kafkas Gregor Samsa schließlich beschwert sich, dass nach seiner Verwandlung zum Käfer auch netdoktor.de "keine Hilfe" ist. Dabei fluchen die Protagonisten, dass die Wände wackeln, typische Internet-Abkürzungen wie BAMF, FML, GTFO, LOL und WTF werden aber immerhin in einem Glossar erklärt.

Gerade weil "Twitteratur" diesen Weg geht, ist das Buch ein großer Spaß. Denn man muss schon um die Ecke denken können, um die Einträge der Protagonisten in die Handlung des Buches - so man es denn gelesen hat - zu übersetzen. Wenn etwa Molly Bloom gegen Ende von Joyces' "Ulysses" ihren Gedanken freien Lauf lässt, twittert deren Mann Leopold: "Meine Frau will, dass wir unsere Lebenssäfte mischen. Und sie will sich dabei unterhalten. Was ist nur los mit ihr?" Und bei Cervantes fehlt der Erzähler, stattdessen muss man sich eben noch mehr in die Gedankenwelt Don Quijotes hineinversetzen: "WAS ZUM TEUFEL MACHEN DIESE VERDAMMTEN RIESEN DA? HEILIGE SCHEISSE, DIE HABEN VIER ROTIERENDE ARME!"

"Twitteratur" ist keine simple Nacherzählung, sondern ein Ausdruck sich verändernder Kommunikationsmethoden, es ist die kenntnisreiche Neuinterpretation und frische Kommentierung von Literaturklassikern - ohne diese ersetzen zu wollen oder zu können. Das Buch ist deshalb ein schöner Zeitvertreib für Leseratten mit Lust auf einen oder mehrere kleine Happen zwischendurch.

Der Verlag hat auf www.welttwitteratur.de eine Seite eingerichtet, auf der man seine Lieblingsbücher selbst in Twitterform bringen kann.

Quelle: ntv.de

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