Vom Schuss bis zum Genuss Diana ist manchmal ein Luder
04.10.2014, 08:25 Uhr
Diese Ente von Entenliebhaber (2CV) Alexander Russ ist gegrillt.
(Foto: Stocker Verlag)
Die Natur bietet eine erlesene Speisekarte, die Jäger uns zugänglich machen. Österreichische und deutsche Waidmänner verraten ihre besten Rezepte und einiges mehr: Wie Bierdurst bei der Hüttenwirtin bargeldlos gelöscht wird und wer Schuld hat, wenn’s nicht klappt mit dem Bock.
E rfolg fordert eine Fortsetzung - und so laden Lisa und Paul Lensing sowie Joseph Gasteiger-Rabenstein zum zweiten Mal zum Schüsseltrieb in die Küchen prominenter Jäger ein. Nachdem "Jäger kochen Wild" aus dem Leopold Stocker Verlag nun schon in 2. Auflage vorliegt, geben Jagdprofis im zweiten Band "Noch mehr Jäger kochen Wild" noch mehr Wildrezepte, Jagdanekdoten und Jägerlatein preis. Während sich in Band 1 prominente österreichische Jäger in die Töpfe und auf die Finger schauen lassen, kommen in Band 2 deutsche Waidgenossen hinzu. In der Neuerscheinung gibt es eine kleine deutsch-österreichische Übersetzungshilfe für die Leserinnen und Leser beider Länder; auch im ersten Band findet sich ein entsprechendes Glossar.
Die Jägersprache allerdings wird nicht übersetzt, und das ist auch gut so. Einerseits würde der nötige Übersetzungs-Anhang jede Norm sprengen, denn da müsste mitunter jedes dritte Wort "eingedeutscht" werden, andererseits würde die Authentizität vollkommen verloren gehen. Aber genau davon leben diese beiden Bücher mit ihren Jagd- und Kochgeschichten. Wer als nichtjagender Zeitgenosse mit der Jägersprache nicht klar kommt, muss seinen Wissensdurst anders stillen; Internetsuchmaschinen sind da eine große Hilfe, damit man bei "Strich" und "Blasen" nicht auf falsche Gedanken kommt oder meint, "ansprechen" heiße, "Hallo, Rehbock!" zu rufen.

Homa Jordis erzählt vom Phänomen der weißen Hirsche und überzeugt unter anderem mit einem Kürbiskernölparfait.
(Foto: Stocker Verlag)
Die Autoren entlocken zahlreichen bekannten und auch blaublütigen Waidmännern und -frauen Tipps und Tricks für die perfekte Zubereitung von Wildbret, köstliche Rezepte und lustige oder auch nachdenkliche "G'schichtln"; Ansatzschnäpse fehlen ebenso wenig wie Desserts. Der Bogen der Rezepte spannt sich vom Rehragout mit Schokolade über Hirschfleischknödel und Fasanenterrine bis zu Gamsnockerln und Walnussschnaps in Band 1 und in Band 2 von Damwildrücken im Brotmantel über Reh-Minze-Spieße und Jägerbrownie bis zu Kürbiskernölparfait und Wilder Pappelsau (letzteres auch gegen Hämorrhoiden anzuwenden). Insgesamt bieten beide Bücher über 100 Rezepte, die eine willkommene Bereicherung bestehender Rezeptsammlungen für Wildgerichte sein dürften, gehen sie doch in ihrer Komplexität und Raffinesse zumeist weit über allgemein Bekanntes hinaus. Dazu gehört auch, dass die Jagdexperten sich auskennen im kleinen Einmaleins von Ausrüstung und Bekleidung und wissen, was es mit der Jagdmusik auf sich hat und warum Wein und Bier gut sind fürs Wildbret - und den Jäger.
Gegessen wird alles, was geschossen wird
Reich bebildert zeigen die Bücher die Protagonisten privat und in Aktion sowie ihre Küchen-Kreationen. Wildbret aus heimischen Wäldern gehört inzwischen in vielen Haushalten zu einem gesunden Lebensstil. "Weil sich das Tier tagtäglich in der Natur aufhält, ist das Fleisch fett- und kalorienarm und reich an lebensnotwendigen Omega-3-Fettsäuren. Obendrein frisst das Wild nur das, worauf es Lust hat", schreibt Hartwig Fischer, Präsident des Deutschen Jagdverbandes, im Vorwort zum zweiten Band. Rehe zum Beispiel seien wahre Feinschmecker: "Sie äsen nur die süßen Blüten und Knospen - und das macht sich in der Fleischqualität bemerkbar."

Hubert Zussners Wildschweinrücken bekommt den richtigen Pfiff mit einer Apfelsauce.
(Foto: Stocker Verlag)
Der verantwortungsvolle Waidmann verwertet das ganze Tier, das kommt in den beiden Büchern immer wieder zum Ausdruck. "Zu jeder passionierten Jägerfamilie … gehört die Ehrung des Geschöpfes - und das vom Schuss über das Verblasen bis zum Genuss", schreibt Fischer. Und so finden sich auch Rezepte für Innereien, die der Nicht-Jäger leider kaum in die Finger bekommt. Denn Herz, Leber und Lunge sind das "kleine Jägerrecht" und dem Waidmann vorbehalten. Es sei denn, man ist mit ihm eng befreundet und kommt dadurch in den Genuss der schmackhaften Gerichte, die sich daraus zubereiten lassen.
Jäger setzten sich für einen gesunden Wildbestand ein; in Deutschland ist die Jagd eine anerkannte Form des Naturschutzes. Natur- und Tierschützer teilen nicht immer diese Auffassung. Ich gestehe: Auch ich nicht ohne Einschränkung. Eine halbe Million getötete Füchse jedes Jahr in Deutschland sind für mein Dafürhalten zu viel für die Aufrechterhaltung eines "gesunden Wildbestands"; und an Fallen darf ich dabei schon gar nicht denken.
Ich kann auch dem Stolz der Jägerin auf ihr "erstes Murmeltier", das nun ausgestopft und grinsend die Hüttengäste empfängt, und ihrer Jagdgeschichte darüber nichts abgewinnen, aber ich jage ja auch nicht, sondern esse nur gerne Wildbret - Murmeltiere gehören allerdings nicht dazu. Murmeltierbraten ist wohl nur noch in der Mongolei ein Leckerbissen. Dennoch gehören die possierlichen Tierchen in Österreich und Südtirol zum jagdbaren Wild, doch das finden auch dort längst nicht alle gut. In Deutschland ist die Murmeltierjagd verboten. Ihre Gerichte bereitet die hübsche Jungjägerin glücklicherweise mit essbarem Wild zu - und die sind wahrlich vom Feinsten. Am Thema eines Jagdkochbuchs völlig vorbei ist das Foto eines Wiener Waidgenossen nebst Gattin auf kuscheligem Bärenfell. Not amused schaue ich in den aufgerissenen Fang des ehemals stattlichen Tieres (Geschossen in Russland? In Alaska? Der ausgestopfte "Bruno" steht ja woanders.) und sinne verzweifelt über seine Bedeutung als "Wildbret" für heimische Kochtöpfe nach. Das zum Manne gehörende Rezept beinhaltet zum Glück keinen Bärenschinken, sondern kleingeschnittenen Hasen, und das erzählte Jagderlebnis hatte dieser Grünrock mit einem Waldkauz. Wenn ich mal Martin Luther anführen darf: "Jagd ist gut und nutz, wenn der gut und nutz ist, der sie ausübt." Um aber auch den totalen Jagdgegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Es kann sich niemand ernsthaft darauf versteifen, dass Hirschbraten und Rehsteaks verwerflich sind, wenn er Hähnchenbrustfilet, Eisbein oder Rindergulasch verzehrt. Wenn doch, sollte er mal eine industrielle Mastanlage oder gar einen Schlachthof besuchen …
Weiße Flagge und Anstand beim Liebesakt
Die erwähnten beiden Ausrutscher beiseite lassend: Die Jagderlebnisse in beiden Büchern sind eine gute Würze und geben einen Einblick auch in die Gefühlswelt von Jägern. Viele Ansitze, bei denen kein Jäger zum Schuss kam, sind im Nachhinein die schönsten Naturerlebnisse: Da ist der Freund des Jägers, der unbemerkt dem Damwild mit seinem weißen Schal winkt und zur Flucht verhilft, weil ihm die Stille lieber ist, oder der Verzicht der Jägerin, den Bock von der Geiß "herunterzuschießen". Jungjäger mit einer gewissen "Phase der Schießwütigkeit" erfahren eine wirksame Heilung durch Jagdkameraden. Auch eine "eingefleischte" Vegetarierin kommt zu Wort, die Wildschweingrammelschmalz für Pilzaufstrich hielt: Wildschweine sind Pilzliebhaber, deshalb schmeckt ihr Fett danach und ist unvergleichlich edel – selbst für Grünkostliebhaber.

Bertram Quadt steht auf Maibock und hält englische Köchinnen für ein "Überlebensrisiko".
(Foto: Stocker Verlag)
Erzählt wird, wie ein fliegender Spiegelkarpfen einer beim Bock-Ansitz erfolglosen Jägerin doch noch eine "Beute" beschert, oder wie gefährlich es sein kann, mal müssen zu müssen und mit heruntergelassener Hose angesichts eines 100-Kilo-Keilers in eine Art Schockhocke zu verfallen. Jäger wissen sich immer zu helfen: Da geht man auch schon mal im Hochzeitsanzug auf die Pirsch oder löscht den Bierdurst in der Almhütte bargeldlos mittels erlegtem Bock. Und wenn es mal wieder nicht klappt mit der Beute - schuld ist nie der Jäger, sondern "Diana, das Luder", die launische Göttin der Jagd.
Die Lieblingsrezepte und Anekdoten leidenschaftlicher Jäger sind als Hardcover im Großformat beim Leopold Stocker Verlag Graz erschienen. Jeder der zwei Bände hat zahlreiche Farbabbildungen, umfasst 192 Seiten und kostet 39,90 Euro.
Quelle: ntv.de