Eine Autobiografie als Roman Emotionen einer Selbstmördertochter
28.07.2013, 08:02 UhrEs ist Sommer und Sunny ist fünf, als sich ihr manisch-depressiver Vater mit einem Skalpell das Leben nimmt. Das Ereignis legt sich wie ein böser Schatten über die Familie. Bis sich Sunny als junge Frau entscheidet, ihre Schuldgefühle abzulegen und nachzuforschen, was wirklich geschehen ist.
Selbstmord ist für Hinterbliebene eine große Bürde, für viele Betroffene sogar ein Tabuthema. Alexa von Heyden kann sich mit ihrem Schicksal erst versöhnen, indem sie einen autobiografischen Roman schreibt und sich d amit als Angehörige eines Selbstmörders outet. Die Autorin setzt sich auf diese besondere Art und Weise mit ihrer Geschichte aktiv auseinander und schafft gleichzeitig einen Roman, der bewegt, schockiert und schließlich Mut macht.
"Hinter dem Blau" erzählt die Geschichte von Sunny, einer Studentin, die an ihrer Abschlussarbeit schreibt. Für diese hat die Mittzwanzigerin das Thema "Lebenslust und Lebensmüdigkeit - Der Selbstmord als Kulturphänomen" gewählt. Die junge Frau kommt über die Auseinandersetzung mit dem Thema scheinbar zufällig zu ihrer eigenen Geschichte. Sunnys Vater, der unter einer manischen Depression litt, nahm sich das Leben, als seine Tochter fünf Jahre alt war. Seitdem ist die Familie in einer Ausnahmesituation und vor allem mit Verdrängung und Schuldgefühlen beschäftigt. Sunny jedoch ist stark genug, die Geschehnisse von damals zu hinterfragen, selbst wenn das bedeutet, alte Wunden wieder aufzubrechen. Sie schafft es, sich selbst an den unsäglichen Tag zu erinnern, an dem sich ihr Vater mit einem Skalpell auf ungewöhnlich zerstörerische Art und Weise getötet hat. Sie schafft es, sich von ihrer Mutter den Nachlass ihres Vaters aushändigen zu lassen und sie schafft es, nachdem sie neue und überraschende Dinge über ihren Vater erfährt, diesem trotz allem zu verzeihen.
Neuer Blick auf psychisch kranke Menschen
Die Rekonstruktion der Umstände führen nicht nur dazu, dass die Protagonistin Sunny Verständnis für ihren psychisch kranken Vater entwickeln kann, sondern, dass auch der Leser besser versteht, in welchem Dilemma manisch-depressive Menschen stecken. Es wird eindeutig klar, dass diese Menschen nicht von anderen gerettet werden können und dass es für den Suizid keine Schuldigen gibt.
Die erfrischende Schreibweise der Autorin ist gespickt mit amüsanten Einzelheiten des Alltags, detaillierten Beschreibungen und einem unverklärten Blick auf die Gefühlswelt der Erzählerin. Dieser zwangslose Stil macht die Geschichte nachvollziehbar und kurzweilig. Der Leser wird tief berührt und mitgenommen, jedoch an keiner Stelle in das Gefühl von Ausweglosigkeit gebracht. Es macht Mut, zu erfahren, welche lösenden Momente entstehen können, wenn man sich bewusst für die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit entscheidet, selbst wenn dabei reichlich Tränen fließen.
Schweres Thema leicht erzählt
Von Heyden gelingt es, das schwere Thema mit unglaublicher Leichtigkeit aufzunehmen und zu verarbeiten. Dabei wird Suizid an keiner Stelle banalisiert oder runtergespielt. Mit viel Gefühl, Entschlossenheit und Mut scheint sich von Heyden ihre eigene Geschichte von der Seele zu schreiben. Dabei leistet die Autorin emotionale Schwerstarbeit. Sie verpackt ihre Vergangenheit in einem lebensnahen und aufschlussreichen Memoir, das klar darstellt, mit welchen Hürden Angehörige von Selbstmördern zu kämpfen haben. Welcher Anstrengung, Kraft und Zeit es bedarf, sich von Wut, Schuldgefühlen und Warum-Fragen zu lösen, um zu vergeben und so endlich zu sich selbst zu finden.
Der Autorin wird bei der Auseinandersetzung mit dem Selbstmord ihres Vaters klar, dass dieser zu ihrer Persönlichkeit dazugehört, dass sie heute ohne den Selbstmord ihres Vaters nicht diejenige wäre, die sie ist. Nur Vergebung und Integration dieses Umstandes können zur Befreiung führen. Und so wie sich Sunny in ihrem Roman befreit, so befreit sich auch von Heyden. Ein beeindruckender Roman. Lesenswert!
Quelle: ntv.de