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Bewegende Erinnerungen von Inge Jens "Es war wunderbar"

"Ja, es war wunderbar." Mit diesem Fazit eines reichen Lebens schließen die "Unvollständigen Erinnerungen" von Inge Jens, die sie jetzt vorgelegt hat und dabei auch die letzten, wohl schwierigsten Jahre an der Seite ihres demenzkranken Mannes Walter Jens nicht ausspart.

Trotz dieser schweren Last, die die inzwischen 82-jährige Literaturwissenschaftlerin und Herausgeberin der Thomas-Mann-Tagebücher im hohen Alter noch zu tragen hat, blickt Inge Jens auf ein erfülltes, arbeits- und erlebnisreiches Leben zurück, das sie in ihrem Buch, das am 17. Juli im Rowohlt Verlag erscheint, noch einmal Revue passieren lässt.

In ihren Memoiren mit dem Titel "Unvollständige Erinnerungen" blickt Inge Jens auf ein erfülltes, arbeits- und erlebnisreiches Leben zurück.

In ihren Memoiren mit dem Titel "Unvollständige Erinnerungen" blickt Inge Jens auf ein erfülltes, arbeits- und erlebnisreiches Leben zurück.

(Foto: dpa)

Dazu gehören vor allem auch jene Gespräche mit Zeitzeugen, die sie fasziniert haben: "Ich betrachte es als eines der ganz großen Privilegien meines Lebens, dass ich durch die wachsende Prominenz meines Mannes so oft Gelegenheit hatte, sie zu führen." So habe sie es zum Beispiel "nie als selbstverständlich empfunden, jemandem gegenüberzusitzen, der von Richard Wagner als mein Großvater redete", wenn sie sich an ihre Begegnungen mit dem langjährigen Bayreuther Festspielleiter Wolfgang Wagner erinnert. Prägend waren für Inge Jens aber vor allem ihre Gespräche mit Katia Mann, über die sie später zusammen mit Walter Jens den Bucherfolg "Frau Thomas Mann" publizieren wird, aber auch ihre Begegnungen mit dem Thomas-Mann-Sohn Golo Mann bei der jahrelangen Herausgabe der Tagebücher des "Buddenbrooks"-Autors und Literaturnobelpreisträgers.

Wachsende öffentliche Anerkennung

Unvergessen ist Inge Jens die Antwort der Thomas-Mann-Witwe geblieben, als sie vorsichtshalber fragte, ob sie die erschreckende Reaktion von Thomas Mann auf die Nachricht vom Selbstmord des Sohnes Klaus Mann 1949 lieber streichen sollte. Thomas Mann hatte erwogen, eine Lesereise durch Schweden abzubrechen und dann gemeint, es sei "besser, aktiv zu bleiben". Katia Mann sagte dazu klar und entschieden: "So war er. Das bleibt." Und über ihre Gespräche mit Golo Mann notierte Inge Jens: "Ich habe ihn während all der Jahre unserer Freundschaft nicht ein einziges Mal mein Vater sagen hören - immer TM und meine Mutter."

Mit der Edition der Tagebücher Thomas Manns mit einem von der Herausgeberin mühsam recherchierten und daher ungemein fundierten und allseits bewunderten Anhangsteil - eigentlich ein eigenes Werk - hatte Inge Jens nach eigenen Worten "eine Arbeit gefunden, in der ich meine Interessen und Stärken zur Geltung bringen konnte". Und die mit den Jahren wachsende öffentliche Anerkennung dieser Arbeit stärkte auch das Selbstvertrauen der "Frau an seiner Seite": "Zum ersten Mal bemerkte ich, was es bedeutete, als eigenständige Persönlichkeit und nicht länger nur als Frau eines interessanten und zunehmend berühmten Mannes zu gelten." Denn auch das hatte sie von einem ihrer vielen bedeutenden Gesprächspartner und Weggefährten wie dem Literaturwissenschaftler Hans Mayer gelernt: "Nur durch sinnvolle Arbeit kann ein Mensch wieder zu sich selbst finden."

Streifzug durch die Geschichte

An diesen Arbeiten, Begegnungen und Gesprächen lässt Inge Jens den Leser in lebhaften Berichten noch einmal teilhaben, wozu auch die turbulente Amtszeit ihres Mannes als Präsident der Berliner Akademie der Künste und deren Vereinigung mit der Ost-Berliner Künstlersozietät mit Heiner Müller an der Spitze Anfang der 90er Jahre gehört. Es ist ein Streifzug durch deutsche Geistesgeschichte der Nachkriegszeit, der aber auch bewegende private Erlebnisse nicht ausspart bis hin zu der vor einigen Jahren begonnenen "Reise in die Nacht" ihres Mannes Walter Jens mit der Demenzerkrankung, nachdem der heute 86-jährige Schriftsteller und Rhetoriker schon früher von Depressionen heimgesucht wurde und ein Leben lang mit schwerem Asthma zu kämpfen hatte.

Der eigentliche Abschied ihres Mannes von der Öffentlichkeit hat für Inge Jens mit drei literarisch-musikalischen Abenden im Herbst 2006 in Potsdam, Berlin und Rostock mit Mozarts Requiem und von Walter Jens zusammengestellten Texten begonnen. "Ein von Alter und Krankheit gezeichneter Mann bedenkt den Tod und lässt sich ein auf einen anderen, dessen Requiem ihm seine eigenen Ängste spiegelt, der ihm aber auch die vertrauensvolle Bitte um ein gnädiges Urteil vorspricht", notiert Inge Jens dazu. "Danach ging es rapide bergab." Inge Jens verschont den Leser nicht mit den bei einer schweren Demenz einhergehenden Begleiterscheinungen im häuslichen Alltag in Tübingen mit einem im Haus nachts umherirrenden und schließlich sogar um sich schlagenden Ehemann, was sie an den Rand ihrer psychischen und physischen Belastbarkeit bringt.

Die ersten Monate des Jahres 2007 seien die schlimmsten im bisherigen Verlauf der Krankheit gewesen, der auch immer wieder =leichte Besserungen bringt. "In guten und in schlechten Tagen" ist dieses letzte Kapitel der Erinnerungen einer bemerkenswerten Frau überschrieben, die nach 57 Jahren nie abreißender Gespräche mit einem wortgewaltigen Ehemann nun alleine zurechtkommen muss, "ohne den Menschen, mit dem sich über alles auszutauschen mir so selbstverständlich war wie essen und trinken oder atmen". Eine Frau, die dennoch mit dem Schicksal nicht hadert und sich die übliche Frage "Warum trifft es gerade uns" verbietet, weil man dann doch genauso fragen könnte: "Warum ist es gerade mir - uns - so lange so ungeheuer gut ergangen? Warum war es gerade uns vergönnt, ein so interessantes, erfülltes und - trotz mancher Schwierigkeiten - glückliches Leben zu führen?" Von diesem Leben erzählt dieses erstaunliche Buch. Inge Jens: Unvollständige Erinnerungen

Rowohlt Verlag, Reinbek, 320 S., 19,90 Euro, ISBN 978-3-498-03233-3

Quelle: ntv.de, Wilfried Mommert, dpa

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