"Wie deine Mutter" Familienprägungen
30.01.2007, 10:46 UhrEin Blick in den Spiegel bringt es an den Tag: Deutlich treten an der Stirn die Geheimratsecken hervor, die auch der Vater hat. Und herrscht die peinliche Ordnung, die die Mutter hält, nicht auch in der eigenen Wohnung? Mit 15 war es in der Clique ein eisernes Gebot: So wie die Eltern wollte man nie werden - und hat nun doch unbemerkt eine ganze Menge von ihnen übernommen. Ändern lässt sich daran wenig. Sich die Gründe zu verdeutlichen, kann aber dabei helfen, mit mehr Zufriedenheit durch das Leben zu gehen.
"Du bist wie Deine Mutter!": Den meisten Frauen treibe dieser Satz die Zornesröte ins Gesicht, schreibt Dorothee Döring im Buch "Wodurch wir wurden, was wir sind". Schließlich will jede Frau individuell sein. Dennoch ertappen sich der Persönlichkeitstrainerin aus Kaarst (Nordrhein-Westfalen) zufolge viele dabei, genauso zu reagieren wie die eigene Mutter: "Bin ich tolerant oder rechthaberisch? Muss ich immer gewinnen? Das sind Dinge, die man zu Hause lernt."
Alle Menschen übernehmen Aspekte der Persönlichkeit ihrer Eltern. "Ich lebe ja schließlich lange mit meinen Eltern zusammen, und das in einer sehr prägenden Phase", erklärt Tom Diesbrock, Psychologe und Therapeut aus Hamburg. Dorothee Döring formuliert es so: "Es gibt Eigenschaften, die ich nicht löschen kann. Die sind immer auf der Festplatte drauf" - auch wenn sie noch so verhasst sind. Besonders all jene, die sich von ihren Eltern nie wirklich akzeptiert oder genug wahrgenommen gefühlt haben, neigten dann zu der Einstellung "Hilfe, jetzt bin ich doch wie meine Eltern geworden!"
Für viele stehen aber auch positive Eigenschaften im Vordergrund, die sie von den Eltern haben. "Viele sagen auch "Gott sei Dank, ich bin so wie meine Eltern", beobachtet Claudia Viganske, Psychologin und Therapeutin aus Köln. Zu welcher Einstellung jemand neigt, sei nicht zuletzt vom Alter abhängig: "Je älter ein Mensch ist, desto eher söhnt er sich damit aus, seinen Eltern ähnlich zu sein."
Für die Schockierten ist es daher ratsam, den gelassenen Blick der Zufriedenen zu probieren. "Wie ich mich zu meinen Eltern positioniere, ist ja nur ein Zeichen dessen, wie ich im Leben stehe", erläutert Diesbrock. Helfen kann dabei, auf das selbst Erreichte zu schauen: "Ich muss bereit sein, mein Erbe anzutreten, aber mein eigenes Haus zu bauen -und das Ganze nicht als Hypothek zu sehen."
"Man muss sich selbst akzeptieren, wie man ist. Und es muss einen Prozess geistiger Versöhnung geben", sagt Dorothee Döring. Meist trete diese erst ein, wenn die Abnabelung vollständig gelungen ist - denn wer zu sich selbst steht, kann sich auch zu seinen Wurzeln bekennen. Wer sich also über Marotten, die er von den Eltern hat, nicht mehr ärgern muss, hat diesen Prozess erfolgreich absolviert. Allen anderen rät Döring, nicht so viel Energie darauf zu verwenden, gegen die Prägung anzuarbeiten - das sei auf Dauer nur anstrengend.
Eher zum Ziel führe es, Handlungsalternativen zu überlegen und auszuprobieren, sagt Claudia Viganske. Wer also wie seine Mutter unter Aufräumzwang leidet, lässt am besten bewusst ein paar Sachen herumliegen. Und wer überfürsorglich sei, sollte sich Mühe geben, "mal Fünfe gerade sein" zu lassen.
Thorsten Wiese, dpa
Literatur: Dorothee Döring: Wodurch wir wurden, was wir sind - Familienprägungen erkennen und verstehen, Kreuz Verlag, ISBN 978-3-7831-2786-7, 16,95 Euro.
Quelle: ntv.de